Vrad
Die Geschichte vom wütenden Vrad, der ein Einsehen hatte -
Wenn es jemanden gegeben hat, auf den der Begriff der Maßlosigkeit passte, dann war es sicher Vrad Puternic. Sein Temperament war von klein auf kaum zu bändigen und seine magische Begabung machte eine gute Erziehung für seine Eltern nahezu unmöglich. Maßregeln konnten sie ihn schon sehr bald nicht mehr, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, ernsthafte Konsequenzen zu ertragen. Nachdem Vrad einmal seinem Vater den Mund geraubt hatte und dieser nur knapp dem Tod durch Verhungern entronnen war, weil es einige Tage dauerte, bis ein Magier eintraf, der den Zauber zurücknahm, verlegten sich seine Eltern darauf, ihn lediglich zu ernähren und zu kleiden. Auf sich aufpassen konnte er augenscheinlich ganz allein.
Die Akademien in Atlam und Allakain schafften es nicht, den Kleinen zu bändigen und so entschied man sich, ihn zu einem der Schamanen in die Weiten des nördlichen Sarkan zu geben, auf dass er ihn zähmen möge. Dem Schamanen gelang, was vor ihm noch niemand geschafft hatte, er brachte Vrad dazu, innezuhalten und nachzudenken, bevor er etwas tat. Das geschah nicht von einem Tag auf den anderen, nein, es vergingen viele Jahre, in denen der Schamane Vrad körperlich spüren ließ, wenn er vom gewünschten Weg abwich. Als aus dem unberechenbaren Kind ein Mann geworden war, trug der die Narben seiner Erziehung überall am Körper, damit sie ihn stets daran erinnerten, niemals mehr etwas zu tun, ohne darüber nachzudenken. Seine Erziehung hatte Vrad zwar dazu gebracht, sich zu bändigen, aber nicht seinen Hunger nach Macht und Überlegenheit gestillt. Im Gegenteil, die Unterwerfung unter den Willen seines Erziehers ließ das Feuer seines Machthungers noch heißer brennen als zuvor, er war nur durch die ständigen Maßregelungen, die ihm zuteilwurden, wenn er seinem Temperament freien Lauf lies, gewarnt. In der Einsamkeit der Leere des nördlichen Sarkan formte sich nicht nur der Körper des kleinen Vrad zu einem starken, unbeugsamen, von Narben übersäten Äußeren, auch auf seiner Seele bildeten sich Narben, die niemand sah, die aber ebenso sehr schmerzen.
Vrad verließ seinen Lehrer, als dieser der Ansicht war, er habe seinen Schüler ausreichend geformt und ein äußerlich ruhiger Vrad verließ die Einöde und sah zum ersten Mal in seinem Leben eine große Stadt. Er gab sich den Vergnügungen Paldaions hin und dachte an nichts außer die Freuden, die ihm die Tavernen und Harems der Stadt zu bieten hatten. Möglicherweise wäre aus ihm ein Trunkenbold geworden, der seine Tage in den Schänken verbracht hätte, um sich mit billigen Zaubertricks den nächsten Krug Weins zu verdienen, aber das Schicksal trieb ihm einen Magierkollegen in die Schänke, in der Vrad seinen Abendtrunk nahm.
Das, was dieser Magier erzählte, entflammte den Wunsch nach Magie in Vrad erneut und besonders die Erzählungen über einen Streit, der wohl unter den Magiern ausgebrochen war, faszinierten ihn. Der Magier erzählte von den Bewahrern, die Magie nicht mehr zulassen wollten und die jeden Zauber unter Strafe stellten.
Bei den Worten des Mannes vom Aufbruch schmerzten die Narben auf Vrads Körper in der Erinnerung an die Momente, in denen auch er keine Magie hatte wirken dürfen, ohne dafür gestraft zu werden. Das, was dieser Magier erzählte, war seine Geschichte!
Es bedurfte nicht viel an Überredung und Vrad schloss sich dem Aufbruch an. Hier konnte er endlich seine Talente ausleben, hier gab es Wesen, die sich nicht einsperren lassen wollten und für die Freiheit etwas war, für das sie notfalls auch sterben würden!
Vrad Puternic wurde nicht nur einer der gefürchtetsten Kämpfer für die Sache des Aufbruchs, er suchte stets nach einem Weg, seine Macht zu vergrößern. Gut, dass viele seiner Kameraden aus unterschiedlichsten Disziplinen kamen und ihm eine Ausbildung verschafften, die er bei seinem Lehrer, dem Schamanen, niemals erhalten hatte.
Der Aufbruch erkannte das Potenzial, das in dem jungen Magier steckte, wusste aber auch, dass er zuweilen unberechenbar in seiner Wut war. Jeder von ihnen hatte eine Geschichte, die er oder sie mit sich herumtrug, und dass die von Vrad voller Gewalt war, konnte man ihm ansehen. Ihn auszubilden, während der Krieg sich wie ein Feuer über ganz Sarkan ausbreitete, war nicht einfach, aber viele Magier nahmen sich die Zeit, dem wissbegierigen jungen Mann ihr Spezialgebiet nahezubringen.
Die Elemente hatten es Vrad angetan und auch wenn ihre Stimmen in Sarkan nur leise zu hören waren, war er doch überzeugt, dass ihre Kraft enorm sein würde, wenn es ihm gelänge, sie zu bündeln. Die arkanen Schmiede unter den Magiern des Aufbruchs fertigten während des Krieges mächtige Waffen und nutzten hierzu alle Kräfte und Materialien, derer sie habhaft werden konnten. Sarkan ist reich an Bodenschätzen und so fehlte es nie an edlen Metallen, Kristallen und vielen anderen Reagenzien, vor allem nicht, wenn man keine Skrupel hatte, auch ein Leben für den Erwerb zu opfern.
Vrad verstand, die leisen Stimmen der Elemente um sich herum in der Welt zu hören und er fing diese Stimmen ein und band sie in eine Waffe, die mit den Elementen singen konnte, wenn er es ihr erlaubte. Richtete er die Waffe auf sein Ziel, sangen die darin gefangenen Stimmen und lockten die Energie der Elemente, in diesen Gesang mit einzustimmen. Dann konnte er die geballte Kraft der Elemente aus der Waffe entlassen. Es war ein mächtiger Stab und der erste, an dem Vrad die volle Kraft seiner Schöpfung erprobte, war der namenlose Schamane, der ihn erzogen hatte.
Sein Tun hinterließ eine Spur der Verwüstung und nicht selten löschte er ganze Dörfer aus, wenn sie sich den Bewahrern angeschlossen hatten. Seine Wut kannte keine Grenzen, die Macht, die ihm der Stab verlieh, war wie eine Droge, die ihn berauschte, wann immer er sie benutzte.
Und dann kam der Moment, an dem auch Vrad zum sechsten Nagel gerufen wurde. Lange war er im nördlichen Sarkan unterwegs gewesen und hatte sich den siegenden Truppen der Bewahrer entzogen, doch dann erreichte ihn der Ruf seiner Kameraden, dass der Krieg auf Messers Schneide stünde und seine Hilfe unbedingt gebraucht würde.
An den Truppen der Bewahrer vorbei zum Aufbruch zu gelangen, war nicht leicht und Vrad Puternic stieg über die Pfade der hohen Berge, die das breite Tal säumen, welches zum sechsten Nagel führt.
Eine große, entscheidende Tat sollte stattfinden, eine Barriere würde errichtet werden und er sollte teilhaben an diesem großen Werk. Aber Vrad war abgelenkt, denn seine Waffe fühlte sich anders an als sonst. Das Metall, zu allen Zeiten ruhig in seinen Händen liegend, vibrierte hier durch eine ihm nicht erklärbare Energie, die Stimmen der Elemente, die in der Waffe gefangen waren, sangen drängend und fordernd, als wollten sie ans Licht, und wie in Trance schritt er auf das große Feld, wo der Feind schon aufzog, und richtete seine Waffe auf jene, die am anderen Ende des Schlachtfeldes Stellung bezogen. Ein Lichtblitz schoss aus der Spitze des Stabes, der Gesang der Elemente wuchs zu einem ohrenbetäubenden Schreien an und auf dem Boden öffnete sich eine Schneise, die über viele Meter die Erde nur so in die Luft fliegen ließ. Vrad wurde zurückgeworfen und landete auf dem Rücken, die Waffe fest umklammert, und blickte verwundert und erstaunt der Verwüstung hinterher, die sein Tun hinterlassen hatte.
Als habe man ihm einen Schleier vor den Augen weggezogen, verstand er, dass er etwas in den Händen hielt, dass kein Wesen besitzen sollte. Seine Kameraden kamen auf ihn zugelaufen und wollten ihn feiern, denn ihnen war augenblicklich klar, dass diese Waffe den Krieg verändern konnte. Erste Stimmen riefen, man solle die Barriere nicht errichten, mit dem Stab, der die Elemente rufen konnte, wäre der Krieg so gut wie gewonnen.
Vrad blickte in ihre Gesichter, von Krieg und Verzicht gezeichnet und in ihm sangen die Stimmen der Elemente ein neues Lied. Sie sangen von Freiheit, von Leben und Tod, von Verrat und Treue. Und von Einsicht.
Er sprang auf und lief, den Stab der singenden Elemente fest in seiner Hand haltend, über das Schlachtfeld, hin zu jenen, die er als die Bewahrer kannte. Hinter ihm erhob sich die magische Barriere, bildete sich ein Wall, verschloss sich der Weg nach Norden, begann der Nebel aus dem Boden aufzusteigen. Die Luft schmeckte nach Magie, die Körper jener, die an diesem Werk beteiligt waren, wurden von der Energie durchströmt, die dann in das geleitet wurde, was heute als “der Wall” bekannt ist. Vrad blickte auf die Waffe und schritt an den Punkt, wo erster Nebel seine Füße umwaberten. Unter gewaltiger Anstrengung warf er den Stab hinein in den magischen Nebel, wo ihn niemand je wieder erreichen konnte. Seine Hände hoben sich und er wurde Teil der gewaltigen Macht, die das Delevitum errichtete und die Maßlosen darin einsperrte. Seine ganze Kraft leitete er in diesen Akt, seine Wut, sein Leid und seine nie geweinten Tränen, aber auch seine Brutalität und seine Grausamkeit, die wie Geschwüre in ihm wohnten.
Vrad Puternics Körper fand man zerschmettert am Fuß eines Felsens, von dem er gesprungen war. In ihm war nach der großen Tat noch genau so viel Energie verblieben, wie er brauchte, um seinem Leben ein Ende zu bereiten.
Einsicht, das war es, was Vrad dazu brachte, von dem zu lassen, was er nicht hätte erschaffen sollen.
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