Fredia
Die Geschichte von der mitfühlenden Fredia, die den Toten half -
Fredia war so ungemein talentiert, dass es keine Frage war, ob sie an einer der Akademien aufgenommen werden würde, sondern nur, welche sie letztlich wählte. Sie entschied sich für Atlam, weil es näher an ihrer Heimat Garond lag als Allakain. Einen tadellosen Ruf genossen beide Stätten der Lehre und des Wissens.
Hier wurde ihr Talent geschmiedet und entfaltete sich mit jedem Tag mehr. Niemand wusste um ihre Fähigkeiten mehr als ihre Gefährtin, die sah, mit welcher Leichtigkeit jeglicher Zauber aus Fredias Händen floss. Da, wo andere Adepten stunden- und tagelang immer wieder dieselbe Formel wiederholen, die Kraft in ihrem Geist visualisieren und auf Objekt oder Wesen anwenden mussten, fokussierte Fredia intuitiv und präzise und verstand das Innerste eines Zaubers ohne weitere Erklärung. Was für Fredia einfach erschien, weckte erwartungsgemäß den Neid ihrer Mitstudenten und aus dem anfänglichen Neid wurde ein tiefes Misstrauen ob der Quelle ihrer offensichtlichen Überlegenheit. Fredia nährte dieses Misstrauen nicht, begegnete allen Mitstudierenden freundlich und hilfsbereit und war höflich zu ihren Lehrenden. “Du solltest Dich wehren, sie reden schlecht über Dich und das vollkommen grundlos!”, sagte ihre Gefährtin Hilly immer, aber Fredia war nicht zu bewegen, sich gegen böse Stimmen aufzulehnen. Aggressivität gehörte nicht zu ihren Charaktereigenschaften.
Für die junge Magierin war klar, dass ihr Weg nach dem Abschluss der Ausbildung zurück in ihre Heimat führen würde, wo sie ihrer Gemeinschaft dienen wollte. Garond, der fruchtbare Landstrich weit im Westen des großen Kontinents war als Kornkammer Sarkans bekannt. Mehr als alles andere waren die Bewohnerinnen vom Wetter abhängig. Waren Sonne und Regen ausgeglichen, brachte das reiche Ernte, die auf den Märkten des Landes nicht nur von jenen, die das Land bewohnten, sondern auch von Händlern aus vielen Ländern Sarkans geschätzt wurde. Einfluss auf das Wetter nehmen zu können, galt in Garond verständlicherweise als ehrfurchtgebietende Gabe. Jene, die dazu im Stande waren, wurden einerseits mit großem Respekt behandelt und fast wie Heilige verehrt, andererseits fürchtete man sich vor ihnen und den in ihnen wohnenden, übernatürlichen Fähigkeiten. Fredia kannte die Namen der Magier und Magierinnen, die über die Jahre das Wetter in Garond zu Gunsten der Ernte beeinflusst hatten und wünschte sich nichts mehr, als dass sie eines Tages in diese lange Namensreihe aufgenommen werden würde.
Den Anfang des Krieges nahm sie gar nicht wirklich wahr, ihre Ausbildung hatte erst begonnen und viele neue Gesichter, Namen und vor allem magische Praktiken forderten ihre gesamte Aufmerksamkeit. Sie als Adeptin hatte ohnehin keine eigene Meinung zu haben, also kümmerten sie die zeitweilig hitzigen Diskussionen der ausgebildeten Magier nicht. Das änderte sich, als eines Tages die Hörner von Uuhl nicht mehr zum Studium riefen und hunderte Adepten orientierungslos in den Hallen des Wissens auf die Ankunft ihrer Lehrenden warteten. Das war das Ende der Ausbildung und wer bis zu diesem Zeitpunkt seine Studien nicht nahezu beendet hatte, musste entweder selbst versuchen, mit der ihm innewohnenden Kraft umzugehen, oder sie komplett ignorieren.
Hilly wusste, dass Fredia der frühzeitige Abbruch ihrer Ausbildung nichts von ihren Fähigkeiten kosten würde - ganz im Gegensatz zu ihr selbst. Im Schatten ihrer Gefährtin wollte sie die Gelegenheit nutzen und von ihr lernen, was es zu lernen gab, üben konnte sie auch sehr gut alleine. Der Konflikt zwischen den Magiern war nicht mehr zu ignorieren und sie, die sie als Lernende so lange keine Seite wählen mussten, sahen sich nun gezwungen, genau das zu tun. Im Kollegium der Lehrenden waren die Vorbehalte verschwunden, welche die Adepten davor schützten, in den Konflikt hineingezogen zu werden. Aus Unterrichtsstunden wurden Anwerbeveranstaltungen bei denen die verschiedenen Sichtweisen auf Magie erklärt wurden und plötzlich Bezeichnungen wie “Aufbruch”, “Maßlose” und “Bewahrer” auftauchten, die von nun an ein Gesicht hatten. Wie viele andere junge Magier auch stand Fredia vor der schweren Entscheidung, sich für eine Seite zu verpflichten, ein Leben, ohne einer Denkrichtung anzugehören, schien nicht mehr möglich. Ihr Wunsch, für ihre Gemeinschaft da zu sein, trat hinter der Notwendigkeit, mit allen Konsequenzen eine Seite zu wählen, zurück. Fredia war wegen ihrer unübersehbaren Fähigkeiten ein begehrtes Objekt der Anwerber, die ihr abwechselnd in flammenden Reden die Argumente für die jeweilige Seite darlegen. Und Fredia konnte beide Seiten verstehen. Magie war ihr scheinbar im Überfluss gegeben, sie hatte niemals das Gefühl gehabt, sie irgendwem zu rauben, also verstand sie nicht, warum jene, die sich “die Bewahrer” nannten, so eindringlich davor warnten, eben genau diese Magie zu nutzen. “Der Aufbruch”, wie sich die andere Seite selbst bezeichnete, von den Bewahrern allerdings “Maßlose” genannt, legte seine Argumente genau auf diese Erkenntnis aus. Magie wohnt in einem Magier oder nicht, sagten sie, der Magier sei lediglich das Instrument, auf dem die Magie spielte und wenn er gut ausgebildet oder begabt sei, könne er oder sie Einfluss auf die Melodie nehmen, aber die Magie selbst entscheidet, was sie bewirkte und wie viel. Die Nutzung von Magie zu verbieten sei wie das Verbot, Musik zu machen oder zu hören, man könne sich nicht die Ohren für den Rest des Lebens zuhalten.
Fredia neigte lange Zeit dazu, dem Aufbruch mehr zu glauben, zu wenig fundiert schienen ihr die Argumente der Bewahrer. Sprach aus ihnen am Ende jener Neid, den sie während ihrer gesamten Ausbildung von vielen anderen Adepten gespürt hatte? Den sie sogar hin und wieder in Hilly fühlen konnte? Und was wäre sie als Magierin für ihre Gemeinschaft noch wert, wenn sie die Nutzung der Magie aufgeben würde? Was ist eine Magierin ohne Magie?
Der Krieg selbst war es, der sie schließlich überzeugte. Gemeinsam mit Hilly war sie in eine Schlacht geraten, unsicher, für welche Seite sie sich einsetzen sollte. Als Feuerbälle flogen und Druckwellen über das Feld rasten, blieb für solche Gedanken keine Zeit mehr. Unwillig, jemandem Schaden zuzufügen, wollte Fredia sich verstecken, wohl wissend, dass man sich vor einem magischen Angriff nur schlecht verbergen kann. Hilly war wie immer nur einen Schritt hinter ihr, als sie Schutz hinter einer Felsformation suchte. Fredia fiel außer Atem mit dem Rücken gegen den warmen Felsen und blickte in die Richtung, aus der Hilly sicher gleich auftauchen würde, aber sie wartete vergebens. Auf allen Vieren kriechend wagte sie sich nach einiger Zeit aus ihrem Versteck, nur um wenige Schritte entfernt den leblosen Körper ihrer Gefährtin zu finden.
Nach diesem Erlebnis wechselten sich Zorn und Trauer ab, aber am Ende siegte das Mitgefühl. Denn als wäre mit dem Tod von Hilly ein Schleier von ihren Augen gezogen, erkannte Fredia plötzlich die Seelen der Toten, die keinen Frieden fanden, weil ihnen der Platz fehlte, an dem sie Ruhe finden konnten. Unter ihnen auch ihre Gefährtin Hilly.
Fredias Namen konnte man niemals in den Büchern der Wetterzauberer von Garond finden, aber das war auch nicht mehr ihr Ziel, denn fortan schuf sie Orte für jene, die im Tod keinen Frieden fanden, weil ihnen der passende Ort dafür fehlte. Kaum jemand war zu sehen im Stande, was Fredia sah und schon bald hielten viele sie für merkwürdig, wenn sie mit jemandem sprach, der augenscheinlich nicht da war oder Dinge zusammentrug, die keinen Sinn ergaben.
Letztlich aber wurden die Berichte jener, die sahen, was Fredia tat, gehört und man zollte ihr Respekt und dankte ihr für ihren Einsatz. Der Krieg dauerte an und so verbrachte Fredia den Rest ihres Lebens damit, ihr Mitgefühl dafür einzusetzen, anderen zumindest im Tode zu Frieden und Ruhe zu verhelfen. Nur selten gibt es Wesen, die in der Lage sind, den Toten zu helfen, aus diesem Grund ist Fredias Tun von so großer Bedeutung und wurde verehrt.
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