Funktionsweise des Tribunals
Abschlussbericht des Alchemicus Primus Mastron Greifenfeder
Zusammengestellt im Auftrag des ehrenwerten Kriegskonzils zur Fertigstellung des Tribunals am Sechsten Nagel.
Kopien an die Akademien von Atlam und Allakain.
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Entwurf -
Ehrenwertes Kriegskonzil,
die Arbeiten am Tribunal des Sechsten Nagels gehen ihrem Ende entgegen, und wie von Euch gewünscht, bereite ich mich vor, als Leiter des letzten Bautrupps vor Ort zu bleiben. Ich hoffe, auch wenn ich nicht wie geplant an den anderen Projekten teilnehmen kann, dass diese meine Unterlagen Melafarn und seinen Kollegen dabei helfen wird, den Rand des Dazwischen auch an anderen Orten zu sichern.
Mein Bericht besteht aus drei Teilen:
Teil 1 beschäftigt sich mit meinen Analysen des Phänomens, welches “Dazwischen” genannt wird, selbst. Also jener Barriere aus wilder Magie, die das Delevitum der Maßlosen umgibt.
Teil 2 wird im Detail die Methoden darlegen, welche wir, d.h. das Bauprojekt am Sechsten Nagel, umgesetzt haben, um magische Kräfte aus dem Dazwischen zu ziehen.
Teil 3 wird schließlich weitere Phänomene und Konzepte, wie die Ketten der Zeit, sowie Beobachtungen und Warnungen beinhalten, welche ich in den Jahren des Baus am Sechsten Nagel gesammelt habe.
Ich vertraue darauf, dass mein Bericht mit der notwendigen Vertraulichkeit behandelt wird, enthält er doch sämtliche Baupläne, Beschreibungen und Geheimnisse, die finstere Individuen nutzen könnten, um diese Barriere einzureißen.
So verbleibt mit Hochachtung
Alchemicus Primus Mastron Elogenius Quintus Greifenfeder
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Über die Natur der Magie im Dazwischen
Es ist traurige Wahrheit, dass die hellsten Köpfe Sarkans, was magische Theorien angeht, im Magierkrieg ihr Ende fanden. Viele der Namen, auf deren Werke ich mich in meinen folgenden Thesen stütze, sind schon lange gefallen oder wurden spätestens in der Schlacht des Brennenden Himmels von den herbeigerufenen Schrecken zerfetzt, verbrannt und ihr Erbe zerstört - ganz gleich auf welcher Seite des Krieges sie sich befanden. Nicht einmal Deons Name hat den Krieg überstanden - doch lange Gespräche mit ihm und ausgiebige Tests mit arkanometrischen Tinkturen lassen mich genug Sicherheit in die folgenden Worte gewinnen, um sie Euch, dem Ehrenwerten Kriegskonzil, so zu übersenden.
Was auch immer die Maßlosen im Norden des Sechsten Nagels gefunden haben - Magie muss dort in ungleich größerer Menge vorhanden sein. Wir gehen davon aus, dass das Delevitum selbst in irgendeiner Weise mit dem geheimnisvollen Zufluchtsort, von dem Talinia uns erzählte, zu tun haben muss. Hier im Dazwischen scheint die Magie Sarkans auf die Magie des Delevitums zu treffen und zu einem interessanten Paradoxon zu führen. Obgleich Magie hier allgegenwärtig und reichlich vorhanden ist, haben Magiewirker Probleme, sie zu nutzen. Wir haben die Magie in diesem Bereich “Wilde Magie” getauft, weil sich ihre Regeln von sämtlichen bekannten Traditionen und Magieverständnissen unterscheidet, und doch Merkmale von vielen besitzt.
Wilde Magie tritt dabei in verschiedenen Formen auf, manche davon nützlicher als andere, manche davon jedoch höchst gefährlich. So wie die erste Form, die in diesem Bericht Erwähnung finden soll: Freie Wilde Magie. Alle Ländereien Sarkans sind, so ist vielen bekannt, mal mehr, mal weniger von freier Magie durchzogen, die von Magiewirkenden allerorts genutzt werden kann. Sie fließt durch die Luft, aber auch durch den Boden, durch Menschen und Vieh - und ihre maßlose Verwendung ist letztlich der Auslöser dieses Krieges. Hier, im Dazwischen gibt es einige nennenswerte Unterschiede zu dem, wie wir es in Sarkan sehen. Die Magie, die sonst von magiebegabten Lebewesen benutzt werden kann, widersetzt sich allen bekannten Techniken der Nutzung. Außerdem scheint sie sich von selbst in verschiedenen Effekten zu manifestieren. Wann, wie oft und welche Form von Effekten scheint unvorhersehbar. Es ist allerdings auffällig, dass schädliche oder gefährliche Effekte im Verlauf der Bauarbeiten nach und nach zugenommen haben. Wo wir anfangs noch über plötzliche Färbung der Haare scherzten, kam es gegen Ende der Bauarbeiten oftmals zu spontanen Flammenwolken, plötzlichen Barrieren oder gar Raum-Zeit-Verschiebungen! Statt Arbeit in Gegenmaßnahmen zu setzen, taten wir die letzten Handgriffe in diesem magisch höchst gefährlichen Umfeld. Dies ist auch der Grund, warum wir einige Lagerstätten nicht mehr bergen konnten, als die meisten Arbeiter diesen Ort verließen. Trotz aller Gefahren ist anzumerken, dass das gesamte Projekt ohne diese Wilde Magie niemals hätte verwirklicht werden können. Allein die magische Kraft, die benötigt wird, um die Barriere des Tribunals ein Jahr lang aufrecht zu erhalten, hätte ein schreckliches Opfer für das Land und seine Menschen benötigt - ganz zu schweigen, dass die Länder von Theneris wohl keine solche Kraft mehr aufbringen könnten. Deon sah eine Gelegenheit in der Wilden Magie, und gemeinsam mit allen anwesenden Gelehrten entwickelten wir eine Möglichkeit, diese nutzbar zu machen. Ein Schlüssel dazu ist eine Substanz namens “Geronnene Magie”, die wir im Dazwischen fanden.
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Über die Raffinerien
Während die Kraftgefäße entwickelt wurden, um gezähmte Magie zu halten und transportieren zu können, erforschten wir Möglichkeiten, gezähmte Magie in größeren Mengen zu erhalten - wir wollten die Wilde Magie zähmen. Nach einigen Fehlversuchen gelang uns auch dieses Meisterstück. Der Schlüssel hierzu waren jene Orte, an denen gezähmte Magie auch natürlich vorkam. Ganz genau konnten wir den Prozess nicht verstehen, aber diese Orte scheinen natürliche Strömungen Wilder Magie zu begünstigen, die die “unreinen” Kristalle geronnener Magie verfeinert - oder raffiniert, wie wir Alchemisten zu sagen pflegen. Darauf aufbauend haben wir an diesen Orten Konstrukte errichtet, die in Zusammenarbeit mit den Kraftgefäßen zur Gewinnung von gezähmter Magie genutzt werden können.
Jene Orte waren zunächst kaum zu unterscheiden, doch mit der Zeit lagerten sich kleine Kristalle dort an, die rapide größer wurden - ein hüfthoher Ring aus Kristallen umgibt heute jede unserer Raffinerien. Ich frage mich, wie hoch diese Kristalle wohl noch wachsen können?
Die Raffinerien fokussieren und verstärken die natürlichen wilden Strömungen an diesen Orten und sind daher auch von Nicht-Magiebegabten leicht zu benutzen. Das Grundprinzip ist einfach: Wird ein mit geronnener Magie gefülltes Kraftgefäß in der Raffinerie platziert, beginnt ein Prozess, der einige Minuten dauern kann, an dessen Ende die Kristalle im Inneren des Gefäßes "gereinigt" und somit zu gezähmter Magie geworden sind. Einige meiner Kollegen mögen den Begriff “gereinigt” jedoch nicht - sie bestehen darauf, dass die runden Kristalle, die sich während dieses Prozesses gelegentlich manifestieren, kein Verunreinigungen sind, sondern lediglich elementar geprägte Magie in einer ebenfalls reinen Form. Ein Aspekt der Wilden Magie, der von den anderen getrennt wird. Es gibt alchemistische Vorrichtungen, die Flüssigkeiten in eine Drehbewegung bringen, um ihre Bestandteile voneinander zu trennen - nach meinem Verständnis scheint der Kraftfluss in der Raffinerie ähnlich zu wirken. Anders als in der Alchemie ist dieser Prozess allerdings nicht vorhersehbar. Melafarn machte sich einmal die Mühe, die Kristalle der geronnenen Magie nach Farbe zu sortieren, in der Erwartung, eine Kugel gleicher Farbe zu erhalten. Doch statt der erwarteten roten Kugel erhielt er eine grüne - es scheint also nicht vorhersehbar zu sein.
Ebenfalls kaum vorhersehbar sind die Augenblicke, in denen die Wilde Magie an den Raffinerien in Aufruhr zu geraten scheint. Immerhin kündigt sich dieser gleichzeitig gefährliche, aber auch ertragreiche Zustand schon einige Zeit vorher an, indem die Kristalle um den Platz herum sanft vibrieren und die Temperatur am Ort leicht zu steigen scheint. Die Arbeiter nennen diese Momente “Ausbruch” oder eine “heiße Raffinerie”. Egal wie man es nennt, sicher ist, dass dieser Zustand unbedingt ausgenutzt werden sollte. In diesen Phasen, die manchmal nur wenige Minuten, manchmal aber auch fast eine Stunde lang anhalten, zeigt die Raffinerie besondere Merkmale. Der Energiefluss im Inneren erhöht sich stark. Ausgezehrte Magier können hier innerhalb von Sekunden neue Kraft schöpfen - und riskieren schwere Verletzungen und magische Entladungen, wenn sie sich zu lange dort aufhalten. Viel wichtiger ist jedoch: Statt vorher mühsam gesammelte Kristalle von geronnener Magie zu reinigen, füllt die Raffinerie in diesem Zustand sogar ein leeres Kraftgefäß mit gezähmter Magie auf! Diese Erkenntnis brachte die Arbeit am Tribunal stark voran, konnten wir in diesen Momenten doch so viel effizienter Kraftgefäße mit Magie füllen. Leider ist es uns nicht gelungen, diesen Zustand künstlich hervorzurufen. Wir müssen also die richtigen Momente abwarten.
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Über die Geronnene Magie
Schon kurz nachdem die ersten Ausläufer des Dazwischen den Bauplatz erreicht hatten, fanden Bauarbeiter an mehreren Orten kleine, kantige Kristalle in verschiedenen Farben. Mal waren sie in der Erde zwischen Steinen und Wurzeln zu finden, mal tauchten sie in Pfützen auf, die plötzlich voller Schaum waren. Selbstverständlich wurden sie fleißig gesammelt - dachten wir doch, dass wir auf etwas seltenes, wertvolles gestoßen seien. Doch Proben, die wir an hinzugezogene Spezialisten außerhalb des Dazwischen sandten, lösten sich binnen kürzester Zeit auf - oftmals einhergehend mit Veränderungen ihrer Umwelt. Die Kristalle wirkten magisch. Doch hatten wir sowas noch nie gesehen.
Untersuchungen alchemistischer Natur erbrachten schließlich die Gewissheit: Bei den bunten Kristallen handelte es sich um Wilde Magie, wie sie auch frei in der Umgebung zu finden war. Diese Form hatte sich scheinbar an bestimmten Orten kristallisiert und verfestigt, wie geronnenes Blut. Über die Beziehung zwischen Kristallen und Magie werden in Atlam und Allakain ganze Bücher geschrieben - hier schien es sich um eine weitere Bestätigung dieses Prinzips zu handeln.
Unsere Baustelle war zu dieser Zeit bereit auf der Suche nach einer möglichen Kraftquelle, und viele Gelehrte waren ganz aufgeregt, als sie von der Geronnenen Magie - wie wir sie nun nannten - hörten. Was, wenn wir einfach diese Kristalle nutzen könnten? Genug davon gab es in der Umgebung! Doch die Aufregung wich schnell der Erkenntnis, dass es wohl nicht ganz so einfach werden würde. Ein Indiz dafür waren die vielen Farben der Kristalle. Die Geronnene Magie war nicht weniger wild als ihr freies Gegenstück. Jeder Versuch, sie aus diesem Zustand zu lösen, führte zu gefährlichen Ausbrüchen von unkontrollierter Magie, und selbst dies war nicht einfach - viel zu viel Kraft musste dafür aufgewendet werden bei zu wenig Ertrag.
Doch es zeigte sich, dass die Geronnene Magie nicht die einzige Form verfestigter Magie war, die wir finden konnten. Untersuchungen des Umlands und der Orte, an denen wir Geronnene Magie fanden, ergaben ein interessantes Bild. An manchen Orten schien besonders viel Wilde Magie in einen relativ gleichförmigen Strom geraten zu sein und nun fast vertikal in den oder aus dem Erdboden zu fließen. Diese Orte waren besonders ergiebig an Geronnener Magie. Tatsächlich fanden sich hier, wenn man einige Tage lang keine Magie einsammelte, deutlich größere Kristalle als anderswo. Am spannendsten war jedoch ein Phänomen im Zentrum dieser Orte. Manchmal schienen die Kristalle Geronnener Magie im Zentrum die Farbe zu wechseln, zu einem fahlen Weiß-Grün, welches fast von innen zu leuchten schien. Diese Kristalle - wir nennen sie inzwischen gezähmte Magie - weisen vollkommen andere Merkmale auf. Sie scheinen “reine” Magie zu sein, wenn es so etwas gibt - ungeprägt von irgendwelchen Gedanken, Strömungen und Elementen. Deon verglich die beiden Formen sehr trefflich: “Geronnene und Wilde Magie ist Magie, die alles gleichzeitig sein will - tausend Beschwörungen, die gegeneinander anschreien, doch keine ist lauter als die andere. Wenn wir versuchen, diese Magie zu nutzen, dann haben wir keine Kontrolle darüber. Gezähmte Magie jedoch ist Magie, die alles gleichzeitig sein kann - still wartet sie ab auf ein Wort, eine Geste oder einen Zweck, um sich dann diesem hinzugeben.”
Leider ist diese Gezähmte Magie im Gegensatz zur Geronnenen Magie sehr instabil. Wenn man sie in die Hand nimmt, verschwindet sie fast sofort oder entlädt sich in einem magischen Effekt. Doch auch wenn sie auf dem Boden liegen bleibt, vereint sie sich bald mit der Erde. So konnten wir sie nicht nutzen. Dennoch war der Fund der Gezähmten Magie ein wichtiger Schritt, denn er brachte uns auf die Idee für die Raffinerien und die Kraftgefäße.
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Über die Kraftgefäße
Während einige von uns sich darum kümmern, die Fundorte gezähmter Magie zu untersuchen und dort schließlich die Raffinerien errichtet wurden, suchten andere nach einer Möglichkeit, diese flüchtige Form von Magie zu bewahren. Nach einigen Fehlversuchen, die leider auch einigen Alchemisten und Magier das Leben kosteten, schafften wir es schließlich, etwas zu entwickeln, das sicher genug ist für den täglichen Einsatz auf der Baustelle war.
Wir nennen es, ganz sachlich, Kraftgefäße. Es handelt sich um Röhren aus magisch behandeltem Glas, die an einer Seite einen kupfernen Verschluss, An der anderen Seite einen magisch gezüchteten Crystal aufweisen. Der Grundgedanke für diese Objekte ist eine Abwandlung des Konzeptes vom “Blitz in der Flasche“, ein hoch gefährliches Objekt aus der höheren Alchemie, welches kaum noch benutzt wird. Der Glaskorpus wird mit einem feinen Kristallsand behandelt, um die Energien im Inneren gleichzeitig zu fokussieren und abzuschirmen. Der Kristall am oberen Ende ist der durchlässigste Punkt des Gefäßes: dort kann die Magie im Inneren am besten entzogen oder verändert werden. Das Gegenstück am anderen Ende, der kupferne Verschluss, ist durch alchemistische Behandlung besonders magieabweisend. Dadurch ist es auch der einzige Punkt, an dem das Kraftgefäß sicher berührt werden kann.Der Verschluss lässt sich vorsichtig vom Glaskorpus abschrauben, um geronnene Magiekristalle einzufüllen.
In normaler Nutzung gibt es drei Zustände dieser Gefäße: leere Gefäße sind grundsätzlich ungefährlich für mundane und magische Nutzer gleichermaßen. Auch hier sollte vermieden werden, Glas und Kristalle zu berühren – insbesondere bei magisch begabten Wesenheiten könnte so ein kleiner Teil ihrer Magie entzogen werden, was zu Unwohlsein führen kann.
Gefüllte Gefäße sollten erst einmal betrachtet werden: Ist es noch geronnene Magie - also bunte Kristalle - im Inneren, so gelten die gleichen Vorsichtsmaßnahmen wie bei einem leeren Gefäß. Ist aber gezähmte Magie - weiße, glatte Steine - darin enthalten, so ist höchste Vorsicht geboten. Das Glas, aber vor allem die Kristalle, reagieren auf Berührung und geben dadurch Magie in einem starken, gleichmäßigen Fluss ab. Wird diese Magie nicht gleich einem Zweck zugeführt - wie der Speicherung im natürlichen Kraftgefüge einer Magierin oder einer direkten Verwendung in einem Ritual, - so kann sie sich in gefährlichen Effekten entladen. Die Kraftgefäße können verwendet werden, um verbrauchte Kraft von Magiebegabten zu regenerieren. Häufiger jedoch verwenden wir sie in Gemeinschaftswerken und magischen Zeremonien als Kraftgeber oder zur direkten Aktivierung verschiedener Artefakte und Bauwerke des Tribunals. Das Auditorium, beispielsweise, wird durch Kraftgefäße aktiviert. Ebenso manche der Prüfungen, die auf zusätzliche Kraftquellen angewiesen sind. Konzepte, mit den Kraftgefäßen auch Schutzartefakte gegen die Wilde Magie der Umgebung antreiben, wurden angedacht, aber letztlich verworfen, da das Ende der Bauarbeiten sowieso nahte.
Laut meiner Berechnungen gleicht die Kraft in einem einzelnen Kraftgefäß je nach Einsatzzweck der Kraft von fünf bis zehn erfahrenen Magiebegabten.
Aus genau diesem Grund sollte übrigens vermieden werden, zu versuchen, ein Kraftgefäß direkt aus der Macht von Magiewirkern zu füllen. Dies kann zu einer dauerhaften und gefährlichen Auszehrung der “Spender” führen. Außerdem sind die Kraftgefäße darauf ausgelegt, kristalline Magieformen aufzunehmen. Direkte Magie im Fluss wird das Gefäß fast sofort wieder verlassen. Versuche mit den mysteriösen Perlen aus elementarer Kraft, welche sich gelegentlich an Raffinerien manifestieren, deuten darauf hin, dass die Kraftgefäße auch mit ihnen gefüllt werden könnten - aber es scheint unmöglich, genügend davon in die Finger zu bekommen, bevor sie sich auflösen. Dennoch bin ich neugierig: Wozu könnte wohl eine reine elementare Entladung in einer solchen Kraft eingesetzt werden?
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Über die Ketten der Zeit
Wir kamen hierher mit der Aufgabe, eine Barriere zu erschaffen, die “auf ewig hält, auf dass die Maßlosen erst dann zurückkehren, wenn sie geläutert sind”. Ich sah sofort das Problem. Nichts hält wirklich ewig, eine der Grundregeln der Alchemie - und des Lebens an sich. Wir wussten, dass Magier und Gelehrte Prüfungen gestalten sollten, und das Gerüst dafür sollten wir schaffen. Für mich - und viele andere, die ich überzeugen konnte - bedeutete dies, dass wir ein wichtiges Merkmal in das Tribunal einbauen mussten: Zeit.
Wenn die Maßlosen Magier beliebig viel Zeit für das Erfüllen ihrer Aufgaben hätten, so würden sie wie die Brandung gegen unsere Barriere schlagen, und zwar zuerst abprallen, unseren Schutz im Lauf der Jahre aber immer weiter schwächen. Als ich einen täglichen Rhythmus vorschlug, an dem sich das Tribunal wieder zurücksetzt - 12 Stunden in denen Prüfungen erfüllt werden können und 12 Stunden, in denen das Tribunal ruht und sich regeneriert - lachten viele meiner Kollegen und Kolleginnen zunächst. “Unmöglich”, “Nicht zu realisieren”, “Zu kostspielig!” waren ihre Gedanken. Es schien zunächst, als würde meine Idee abgeschmettert. Doch ich hatte Unterstützer: Mit Deon - wie er sich jetzt nennt - hatte ich in der Nacht zuvor schon darüber geredet und mir seine Ideen angehört. Er ist ein starker Verfechter der Prüfungsidee des Tribunals und weise genug, um auch meine wilden Ideen nicht von vornherein abzuschmettern. Er war sich sicher, dass wir einen Weg finden könnten, das Tribunal zu betreiben - im Delevitum selbst sah er großes Potential. Mit seiner Unterstützung schafften wir es, auch die anderen von dem Konzept der “12 Stunden des Heldenmuts", wie Deon es nannte, zu überzeugen.
Doch ein Problem konnten wir zunächst nicht ausräumen: Sobald die Barriere und die ersten Prüfungen erbaut worden wären, wäre es für die Bauarbeiter kaum noch möglich, den Bauplatz zu verlassen - wir hätten die Prüfungen jeden Tag aufs Neue selbst bestehen müssen. Um weiterhin Baumaterial heranbringen zu können und den Bauarbeitern eine Ruhezeit jenseits des Dazwischen zu bieten, mussten wir eine Lösung finden. Es war die kleine Gesandtschaft aus Rhînland, die uns bereits einige Tage nach den ersten Diskussionen um dieses Problem bereits die Lösung präsentierte. Ich wünschte, ich könnte sagen, ich wäre selbst darauf gekommen, doch erneut überraschten uns die Rhînländer Magiewirker mit ihrem Ideenreichtum und der immensen Macht, die sie befehligen.
Das, was sie uns präsentieren, nannten sie “Goldene Ketten der Zeit”, ein Artefakt, welches auf die Tribunalsäulen abgestimmt war. Laut ihrer Erklärung hatten sie einige magische Gegenstände aus ihrer Heimat dafür geopfert. Mit Details über die Wirkung hielten sie sich zurück, aber sie demonstrierten sie eindrucksvoll: Wurden die Ketten um eine der Prüfungssäulen geschlungen, erkannte das Tribunal diese Prüfung sofort als gelungen - selbst über Nacht hinweg.
Manche meiner Kollegen und Kolleginnen waren über diese Entwicklung nicht sehr glücklich - demonstrierte sie doch, dass das Tribunal überlistet werden konnte. Deswegen wurden die Rhînländer angehalten, keine weiteren dieser Ketten zu produzieren und das Wissen um ihre Erschaffung geheim zu halten. Später fand ich im Gespräch mit Deon heraus, der die Ketten untersucht hatte, dass es sowieso außer Frage stand, mehrere dieser Artefakte zu produzieren: Wir hatten schlichtweg nicht die gleiche Art der Magie zur Verfügung - Deon beschrieb die Magie vage als “lebendig” und “elementar”. Dennoch schien das Konzept unsere beste Möglichkeit zu sein, das gesamte Bauvorhaben zu verwirklichen.
Gemeinsam mit den Rhînländern, Deon sowie einigen anderen Magiern und Alchemisten, wandelten wir das Konzept ab und entwickelten neue Ketten der Zeit. Diese waren nicht mehr golden und längst nicht so mächtig, aber erfüllten ihren Dienst. Sie lösten die Aufgabe nicht mehr, verhinderten aber, dass sie über Nacht zurückgesetzt würde. Außerdem waren sie relativ leicht zu erschaffen. Im Folgenden eine Beschreibung der Herstellung und Verwendung dieser Ketten der Zeit, von manchen “Ketten des Stillstands” genannt:
Grundlage des Artefaktes ist eine zwölfgliedrige Metallkette, deren einzelne Kettenglieder einen Durchmesser von etwa zwei Fingern haben. Diese müssen zunächst auf die wilde Magie im Dazwischen eingestimmt werden. Längere Zeit im Bereich des Tribunals sollte dafür ausreichen. Um den Prozess zu beschleunigen, schreckten die Schmiede die einzelnen Kettenglieder in einem Wasserbad ab, welches mit geronnener Magie versetzt war - eine Idee von mir, auf die ich besonders stolz bin. Das verwendete Metall ist eine Eisen-Kupfer-Legierung - selbst für mich als Alchemisten eine recht ungewöhnliche Verbindung. Die von uns verwendeten Rohstoffe stammen aus einer Mine am äußeren Rand des Delevitums, was vielleicht die ungewöhnlichen Materialeigenschaften erklärt. Die vorbereiteten Ketten konnten nun von den Artefaktmagiern verzaubert werden. Der Verzauberungsvorgang ist ein gefährliches Unterfangen und sollte nur von mehreren Magiern oder Artefaktschmieden gleichzeitig durchgeführt werden. Es hat sich bewährt, dass drei Wirker, die je auf ein gefülltes und gereinigtes Kraftgefäß zurückgreifen können, die Verzauberung vornehmen. Ich selbst verstehe nicht allzu viel von den genauen Vorgängen, aber Deon beschrieb es mir folgendermaßen: Die Kraft muss langsam und kontrolliert aus dem Kraftgefäß gezogen und nach und nach in die Kettenglieder eingeführt werden. Der wilden und beweglichen Magie in ihnen müssten “Fesseln” angelegt werden, um sie, und damit auch die von ihnen umschlungenen Säulen - zu einem Stillstand zu bringen. Dabei würden die Ketten außerordentlich kalt - Deon empfahl entsprechende Vorbereitung. Als ich Schutzhandschuhe vorschlug, lachte er und meinte nur, dass es schwer sei, die benötigten magischen Manipulationen mit Handschuhen durchzuführen. Er schlug entsprechende Schutzzauber vor. Dass die Verzauberung geglückt ist, merkt man vor allem daran, dass sie weiterhin eiskalt bleiben. Für den Transport sollten Handschuhe getragen werden. Die Verwendung des Artefaktes schließlich könnte simpler kaum sein: Werden die Ketten um eine Prüfungssäule gelegt - sie müssen sie nicht einmal komplett umschließen, die Nähe aller zwölf Kettenglieder reicht aus - so wird der magische Zustand im Inneren der Säule “gefesselt”. Eine gelöste Prüfung wird demnach nicht am Abend durch das Tribunal zurückgesetzt. Dies ermöglicht Bauarbeitern, die komplexen Prüfungen des Tribunals gelöst zu halten, um nach ihrer Schicht den Bauplatz verlassen zu können. Ich möchte anmerken, dass diese Wirkweise der Ketten auch einen Nebeneffekt hat: Theoretisch wäre eine ungelöste Prüfung nicht lösbar, solange Ketten darum gelegt sind. Dies hat natürlich keinen praktischen Wert für uns, der Exaktheit meines Berichtes wegen möchte ich dies jedoch dem Kriegskonzil nicht vorenthalten. Außerdem ist anzumerken, dass, sobald die Ketten einmal um eine Prüfung gelegt wurden, sie nicht mehr ohne weiteres zu bewegen oder zu entfernen sind.
Nun, wo die Bauarbeiten fast zuende sind, und die Ketten ihren Dienst fast erfüllt haben, haben wir auch die Möglichkeit untersucht, wie sie wieder zu entfernen sind. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass einige Bauarbeiter und Magier sich für das Wohl und den Schutz Sarkans opfern müssen und auf der verschlossenen Seite des Tribunals bleiben müssen. Sie werden die letzten Verbindungen tätigen, aber auch die verbliebenen Ketten lösen und vernichten. Zur Lösung der Ketten scheint neben roher Gewalt - und der Kraft von mindestens zehn Wesen - vor allem das schnelle Erhitzen auf magischem Weg auszureichen. Die gelösten Ketten bleiben jedoch weiter aktiv, müssen also zerstört werden.
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Über das Tribunal und die Stelen
Mit dem nahenden Abschluss der Bauarbeiten kann ich dem verehrten Kriegskonzil nun endlich auch einen zumindest zum Teil adäquaten Bericht über den Aufbau und die Funktion des Kernstücks unserer Arbeiten geben: Des Tribunalkomplexes.
Der Tribunalkomplex besteht aus dem Tor nach Sarkan selbst, der magisch verstärkten Mauer, dem Auditorium (welches ich im letzten Kapitel gesondert beschreibe) sowie zwölf aktiven Tribunal Stelen und weiteren inaktiven Stelen. Letztere - für das Konzil wohl eher uninteressant - wurden vor allem aus ästhetischen Gründen errichtet, um die Einschüchterungswirkung des Tribunalkomplexes zu verstärken.
Ich beginne meine Beschreibung mit dem wichtigsten Teil, dem Tor: Die Bemühungen all unserer Gelehrten, Alchemisten und Magier haben sich darauf konzentriert, eine größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten. Mächtigste Magie aus nahezu allen Traditionen Sarkans wurde kombiniert, um eine undurchdringliche Barriere zu erschaffen. Dank der Wilden Magie der Ausläufer des Delevitums müssen wir uns über eine Auszehrung des Landes kaum Gedanken machen- Deons Berechnungen zufolge sollte die Barriere mehrere Tausend Jahre problemlos aufrechterhalten werden können. Um die Barriere öffnen zu können, müssen mehrere Faktoren erfüllt sein: Zunächst müssen die zwölf Prüfungsstelen innerhalb des Zeitraums der Prüfungen gelöst worden sein. Dies sendet einen magischen Impuls auf die andere Seite des Tribunals. Die Wächter des Tribunals auf der anderen Seite können zu diesem Zeitpunkt, wenn auch die anderen Protokolle erfüllt sind - wie die Wahl der 12 Botschafter - die Barriere lösen.
Während das Tor selbst vor allem magisch gesichert ist, fließt durch die Mauern des Tribunals ebenfalls stetig Magie, welche diese für alle uns bekannten Mittel unzerstörbar macht. Wir haben sichergestellt, dass keine Armee sich einfach mit Belagerungsgerät durch das Tribunal schießen kann. Die Prüfungen sind für die zurückkehrenden Maßlosen unumgänglich.
Dies führt mich zu den Tribunal Stelen und der “Zeit der zwölf Helden”. Die Aufgabe, die das ehrenwerte Kriegskonzil uns vermachte, war, dafür zu sorgen, dass nur geläuterte Maßlose die Barriere öffnen könnten. Um zu verhindern, dass Maßlose im Laufe der Zeit nach und nach einzelne Prüfungen lösen und so die Barriere immer mehr schwächen, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es nicht sein kann, dass einzelne Prüfungen dauerhaft gelöst bleiben. So haben wir, im Rat mit den verantwortlichen Magiern und Artefaktschmieden, beschlossen, einen Zeitrahmen festzusetzen, in dem die Maßlosen zeigen müssen, dass sie ihren eigenen Prinzipien abgeschworen haben. Nach einigem Überlegen und mit dem Gedanken, dass dieser Ort ursprünglich als Gedenkort an den Krieg gegen die Maßlosen gedacht war, haben wir uns dazu entschlossen, zwölf Geschichten von großen Kriegshelden und - heldinnen in diesem Tribunal zu verewigen. Zwölf Geschichten von zwölf tugendhaften Taten, die in zwölf Stunden nachgeahmt werden müssten. Beginn der Prüfungen ist die zehnte Stunde des Morgens, das Ende somit die zehnte Stunde des Abends. Dies war der Grundgedanke, von dem ausgehend wir den Magiern und Magierinnen, die die Ehre der Prüfungsgestaltung verliehen bekommen haben, freie Hand in der Ausgestaltung der Prüfung ließen. Die Inhalte mehr als einer Prüfung sind bewusst keinem hier arbeitenden Lebewesen bekannt, und es gibt ein striktes Verbot, sich darüber auszutauschen. Niemand sollte die Prüfungen in ihrer Gänze und im Detail kennen - denn nur so kann eine angemessene Prüfung der Maßlosen stattfinden. Dieses Prinzip zeigt sich auch darin, wie Prüfungen abgelegt werden können. Während der Bauarbeiten mussten die Prüfungen einzeln aktiviert werden - mit der endgültigen Fertigstellung und der Bindung von Deon an das Tribunal wird die Rolle des Richters ihm zufallen. Er selbst kennt, nach eigenem Wunsch, keinerlei Inhalte der Prüfungen - kann also keine Hinweise geben. Aber er kann die Analysezauber aktivieren, welche eventuelle Prüflinge testen. Deon spekuliert, dass er durch seine körperlose Bindung auch Splitter seiner selbst ausformen könnte, um mehrere Prüfungen zur gleichen Zeit oder in seiner Abwesenheit abzunehmen. Doch dies ist nur Spekulation - wir sind allesamt gespannt, wie sein zukünftiges Dasein aussehen wird.
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Über das Auditorium
Mehr ein Nachgedanke und eine Lösung für ein aufgekommenes Problem, als ein ursprünglicher Teil des Komplexes, ist das Auditorium. Der Bau dieses Gebäudes wurde notwendig, als klar wurde, dass ein letzter, mutiger Bautrupp von opferbereiten Wesen aus ganz Sarkan im Dazwischen zurückbleiben muss, um die finalen Schritte der Aktivierung des Tribunals durchzuführen. Ein Zurückkehren nach Sarkan steht für diese Gruppe außer Frage, da jeglicher Versuch das Tribunal selbst kompromittieren würde. Gleichzeitig sahen wir es als notwendig, dass die Wächter des Tribunals auf der anderen Seite eine Möglichkeit haben, mit den Prüfungsanwärtern zu kommunizieren, um sicherzustellen, dass diese vertrauenswürdig und reumütig genug sind, um durch die Barriere gelassen zu werden. Auch muss sichergestellt werden, dass die Anwärter von den Protokollen erfahren, die ihnen auferlegt werden. Infolge dieser Herausforderungen wurden Pläne für ein Artefakt gemacht, welches durch Verständigungsmagie eine Brücke zwischen Sarkan und dem Dazwischen schlagen könnte. Die Ergebnisse sind leider nicht ganz wie gewünscht. Statt eines Ortes, an dem Anwärter begutachtet werden können, sind uns lediglich die Übertragung von Sprache sowie eine Art Schattenspiel gelungen. Details sind nahezu nicht auszumachen - dadurch ist die Magie des Dazwischen zu störend. Doch selbst dies stellt selbstverständlich eine Leistung in sich dar - und ist (und bleibt) wohl einzigartig in Sarkan.
Die großen Mengen an Magie, die für das Auditorium benötigt werden, können erneut nur durch die Nutzung gezähmter Magie bereitgestellt werden. Da das Auditorium erst recht spät während der Bauarbeiten gebaut werden konnte, war seine Anbindung an das Tribunal als Kraftquelle nur teilweise möglich. Das Tribunal nutzt überschüssige Magie aus der morgendlichen Aktivierung der Prüfungen sowie die verbliebene Magie, wenn die Prüfungen sich abends deaktivieren. Dies bedeutet, dass es von sich aus jeweils nur zwischen der zehnten und elften Stunde, sowohl vormittags als auch abends, nutzbar ist. Der Wächterorden wurde angehalten, in seine Statuten aufzunehmen, dass zu dieser Zeit Wachdienste im Auditorium der Wächter zu verrichten sind, um eventuelle Kontaktaufnahmen nicht zu verpassen - selbst wenn die Rückkehr der Maßlosen erst in einigen Jahren geschehen sollte.
Für den letzten Bautrupp, der verbleibt, ist das Auditorium außerdem ein Angebot, um Kontakt zu Sarkan zu halten. Neben den eben vorgegebenen Zeiten sollte es dem Trupp auch möglich sein, mittels Kraftgefäßen das Auditorium zu anderen Tageszeiten zu aktivieren. Allerdings haben wir hier einen Sicherheitsmechanismus eingebaut, um einer eventuellen Ausnutzung durch die Maßlosen zu entgehen: Bei einer solchen Aktivierung durch ein Kraftgefäß kann ein kurzer Satz gesprochen werden, der zunächst als ein Impuls zum Auditorium der Wächter geschickt wird. Bis eine Verbindung aufgebaut ist, vergehen jedoch, aufgrund der Verwerfungen der Wilden Magie, vier Stunden. Genug Zeit jedoch, um Briefe vorzubereiten, die diktiert werden können und dann durch die Wächter abgeschickt werden können.
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