Briefe Sarkan / Tribunal Baustelle
Brief 1
(Original in Morse Code)
“Werter Kollege Melafarn,
es ist unglaublich, was Ihr mir berichtet. Wilde Magie! Eine Zone, in der sich ausreichend Magie befindet, die aber nicht nutzbar ist? Und diese Zone ist auch noch in Bewegung? Fast hält es mich nicht mehr hier in meiner Schreibstube und der Wissenschaftler in mir scharrt mit den Füßen. Nach Norden ruft es in mir und eine Abenteuerlust, wie ich sie schon lange nicht mehr verspürt habe, ergreift von mir Besitz, wenn ich Eure Berichte lese. Auch wenn Ihr mit Euren Schreiben nur Eure Pflicht tut, ein alter Mann dankt Euch für einige aufregende Stunden und Fantasien, wenn wieder ein Brief vom Sechsten Nagel eintrifft. Ihr berichtet, dass sich die Ausdehnung der Barriere und des Nebels verlangsamt und sie nur noch wenig pulsiert, wie Atem eines gigantischen Organismus. Ich verstehe, dass dieses Phänomen das Arbeiten erschwert, vor allem vor dem Hintergrund, dass bislang noch kein Weg gefunden wurde, die offenbar in ausreichender Menge vorhandene Energie zu nutzen. Ist sie denn zusätzlich auch gefährlich? Gibt es schon Erkenntnisse, wie lange in dieser Zone überhaupt arbeiten möglich sein wird? Ich habe veranlasst, dass euch weitere Alchemisten zur Verfügung gestellt werden und ich habe deren Einsatzgruppe unsere begabtesten - noch lebenden - Magier hinzugefügt. Ich bin zuversichtlich, dass sie Euch von großer Hilfe sein werden, denn sie repräsentieren alles an magischem Wissen, was nach diesem schrecklichen Krieg noch verblieben ist. Diese Barriere - ich werde mir irgendwann einmal von einem der Spezialisten erklären lassen müssen, wie genau sie zusammengesetzt und entstanden ist - entzieht sich, wenn ich Eure Berichte richtig interpretiere, komplett unserer Kontrolle. Das macht sie als Arbeitsplatz sehr riskant. Vor allem weil man nicht weiß, wo sie am Ende des Tages mit ihrer Ausdehnung Halt machen wird. Es wird Euch interessieren, dass sich in der Heimat gerade eine Institution bildet, die verhindern soll, dass es einen erneuten Konflikt geben wird. Ich sehe beunruhigt auf eine Gruppe, die nahezu fanatisch darüber wachen will, dass jemals wieder irgendwer Magie nutzt, die dem Land oder einem anderen Lebewesen Schaden zufügt. So sicher ich mir bin, dass wir genau das tun sollten - ich meine, keinen Schaden zufügen - so unsicher bin ich mir bei dieser Inquisition, wie sie sich nennt! Wir werden sehen, wie sie sich entwickelt. Aktuell macht sie mir ein wenig Sorgen. Aber vielleicht sind das ja nur Gedanken eines alten kriegsmüden Mannes, der keinen Konflikt mehr in seinem Leben ertragen will, egal von welcher Seite er kommt. Aber zurück zu der Aufgabe, die vor Euch liegt. Das Tribunal, welches konstruiert wurde und nun von Euch gebaut werden soll, erscheint mir suffizient für die Aufgabe, die es erfüllen soll. Ich denke auch, dass eine neutrale Gesinnungsprüfung eines Jeden, der den Durchgang durchschreiten will, unerlässlich ist. Kein Lebewesen sollte diese Entscheidung treffen. Es muss genau Anweisungen geben, Sicherheitsmechanismen müssen eingerichtet werden, damit kein noch so gerissener Geist unseren Schutz untergraben kann. Aber bei allem Enthusiasmus für das Tribunal, bedenkt, dass es noch ein weiteres Bauprojekt gibt, das ebenfalls von großer Bedeutung ist. Ich vertraue Euch!
Passt auf Euch auf.
Magistrat Estron
Schutzbeauftragter nördliches Sarkan”
Brief 2
(Original in Morse Code)
“An das Bauteam am Sechsten Nagel, Archeus, Melafarn
Werter Kollege Melafarn.
Danke für den letzten Bericht von den Bauarbeiten am Durchgang. Seid beruhigt, aktuell gibt es von unserer Seite her keine Erwartungshaltung, die über die Sondierung der Lage hinausgeht. Sicher ist Euch klar, dass die Entdeckung des Durchgangs und damit die Bestätigung der Aussage von Talinia für uns zunächst einmal etwas ist, was wir diskutieren mussten. Dass diese Entdeckung mit einem derart hohen Preis bezahlt werden musste, wird in keiner Sekunde vergessen. Jetzt gilt es, das Beste aus dem zu machen, was wir erfahren konnten. Ihr beschreibt, dass sich als Resultat der Schaffung der Schutzbarriere auf der nördlichen Seite eine Zone gebildet hat, die noch von den Kollegen Mastron und seinem Alchemistenteam analysiert werden muss. Nach allem, was Ihr berichtet, liegt der Schluss nahe, dass wir es mit einer neuartigen Form von Magie zu tun haben. Oder einer alten Form, die wir vielleicht noch gar nicht kennen? Wir sind gespannt auf die Ergebnisse der Untersuchungen. Unsere Anweisung lautet: Ihr solltet besser kein unnötiges Risiko eingehen. Obwohl ich über keinerlei magische Begabung verfüge und die Mechanismen der Entstehung der Barriere nicht verstehe, fasziniert mich die Diskussion über ihre Erschaffung sehr wohl. Schon der Waffenstillstand ist für einen alten Diplomaten wie mich ein Mysterium. Wie konnte es geschehen, dass man sich nach all den Jahren des erbitterten Konfliktes so schnell einig wurde? Ich habe im Laufe meines Lebens schon so manche Verhandlungen geführt. Ich verbeuge mich vor den Kolleginnen und Kollegen, denen es gelungen ist, diesem kräftezehrenden, zerstörerischen Krieg ein so schnelles und unblutiges Ende zu machen. Und da berichten alle davon, dass man sich auf die Schaffung dieser Barriere einigen konnte - und dieser Ort irgendwie außer Kontrolle geraten zu sein scheint. Aber warum? Was ist dort am Sechsten Nagel anders als im Rest von Sarkan? Ihr seht mich fasziniert und gleichzeitig beunruhigt und ich bin froh, dass der Kollege Mastron sich mit seinem Team auf die Suche nach der Antwort macht. Wir diskutieren nach wie vor, ob es notwendig ist, einen Durchgang nach Norden zu erhalten. Der Hintergedanke der Maßlosen, eine geheime Hintertür zu erhalten, wird sicherlich nicht friedlicher Natur gewesen sein. Sie stellen auch in besiegtem Zustand weiterhin eine Gefahr dar, die ich für meinen Teil nicht akzeptieren kann. Daher gehöre ich unbedingt zu den Befürwortern eines dauerhaften Verschlusses. Aber die Entscheidung ist anders ausgefallen und ich kann nur hoffen, dass uns dieser Durchgang nicht eines Tages alles nimmt, was wir nun mühevoll wieder aufbauen.
Es betrübt mich, zu hören, dass die Arbeiten am Tribunal durch die außergewöhnliche Zone, in der sie stattfinden, erschwert sind. Aber ich freue mich zu hören, dass Deon, dem wir neben dem Leid auch die Erkenntnis über den Durchgang zu verdanken haben, seine Hilfe anbietet. Euch wird auffallen, dass ich ihn nicht bei seinem ursprünglichen Namen nenne - die Nachricht seines Schandnamens hat sich schon weit verbreitet. Ihr schreibt, dass aktuell nicht klar ist, welche Energiequelle für das Tribunal zu nutzen ist. Andererseits schreibt Ihr von nahezu unendlicher Energie, die vorhanden ist. Sollten wir mit unserem Tun, mit der Schaffung der Barriere, etwas freigesetzt haben, wie schon zu Beginn gefragt, etwas Neues oder etwas Altes? Ich bin zuversichtlich, dass die Spezialisten in Eurer Gruppe Wege finden werden, um mit den außergewöhnlichen Bedingungen zurechtzukommen.
Der Auftrag ist klar: Schützt den Durchgang zuverlässig, aber verschließt ihn nicht dauerhaft!
Ich erwarte Euren nächsten Bericht voller Ungeduld.
Magistrat Estron
Schutzbeauftragter nördliches Sarkan”
Brief 3
(Original in Morse Code)
“Werter Kollege Melafarn, lieber Archerus,
Eure Berichte sind wie ein Sonnenstrahl in einem Büro, das zunehmend unter der Last des Alltags zu verstauben droht. Die Aufregung des Krieges legt sich langsam, und nun übernehmen wieder die Verwaltungsangestellten das Ruder. Jeder, der einen Funken Verstand in sich trägt, kann spüren, wie alles aufatmet. Die Lebewesen, die Natur, sogar das Land scheinen sich aus einer Anspannung zu lösen, die es seit Jahren - was sage ich, Jahrhunderten - in ihren Klauen gehalten hat. Ich weiß, dass überall in Sarkan jetzt die Aufarbeitung des Krieges beginnt und dass die Frage, wer diesen Konflikt eigentlich begonnen hat, natürlich ganz oben auf der Tagesordnung stehen wird. "Geschichte wird von den Siegern geschrieben", dieser weise Spruch des großen Kriegsherrn Noelopan Ponatarbe gilt auch hier, und ich fürchte, dass es früher oder später zu einer einseitigen Betrachtung der Sache kommen wird. Auch wenn ich kein Magier bin, kann ich mir vorstellen, dass der Beginn dieses schrecklichen Konflikts anders war, als wir ihn uns alle vorstellen. Aber ich will hier nicht weiter spekulieren, solche Gedanken sind mehr als gefährlich. Ich lese mit wachsender Neugierde über all die Dinge, in - wie nennt Ihr es - "dem Dazwischen"? Ihr berichtet von den Überresten gefallener Helden und beschreibt diese Zone als ein sich manifestierendes Reich voller ungezügelter Magie. Ich weiß nicht, ob ich als völlig magieunbegabtes Wesen in der Lage wäre, genau diese Magie zu spüren, aber ich gebe zu, dass Eure Beschreibungen so anschaulich sind, dass ich genau diese Zone in meinen Träumen bereits betreten und durchwandert habe. Auch wenn ich meinen Kollegen Mastron nicht zu meinen Freunden zähle - sein manieriertes Verhalten widerspricht meiner Vorstellung von einem seriösen Alchemisten zutiefst und ich betrachte ihn als einen Fleck auf dem ansonsten makellosen Gewand des Alchemistenberufs - muss ich ihm Anerkennung zollen. Eine Raffinerie. Unglaublich brillant. So wie Sie die Funktionsweise dieser Geräte erklären, klingt es, als hätten Sie die Frage der Energieumwandlung beantwortet? Lasst es mich wissen. Könntet Ihr mir in Eurem nächsten Brief etwas von dieser "ungezähmten Magie" schicken, von der Ihr sprecht? Ich gebe zu, ich bin sehr neugierig. Ich hoffe, dass auch der Bau der Gedenkstätte im Gange ist. Bei aller Arbeit, die wir in den eigentlichen Schutz unserer Heimat stecken, sollten wir die Vorbeugung nicht vergessen. Erinnert Euch an Skythia, die sicherlich einigen Entscheidungsträgern als Inspiration diente, als der Bau der Gedenkstätte beschlossen wurde. Ihr habt mich einmal gefragt, warum diese Gedenkstätte nicht weiter südlich errichtet wurde. Die Antwort ist einfach. Die Gedenkstätte soll eine letzte Bastion gegen diejenigen sein, die hierher kommen, um den Schutzmechanismus zu manipulieren. Was wir in Serkan durch unsere Lehre und Aufklärung nicht tun können, können hoffentlich die Stimmen derer, die gelitten haben, deutlich machen. Deshalb ist dieser Gebäudeschutz nicht weniger wichtig.
Mit wachsender Zuneigung und Respekt
Magistrat Estron
Schutzbeauftragter nördliches Sarkan”
Brief 4
(Original in Ennomos Code)
“Werter Kollege Melafarn, lieber Archerus,
das sind schreckliche Neuigkeiten, wir haben schon so viele gute Magier verloren, den Tod eines weiteren, begabten Magiekundigen können wir kaum verkraften. Nun bleiben fast nur noch Jungmagier übrig, die ihre Ausbildungen nicht beendet haben und nun unter der Aufsicht der Inquisition eben jene beenden sollen, die wenigen ausgebildeten Meister, die im Stande sind, den Nachwuchs auszubilden sehen sich stark beobachtet von den Männern und Frauen in Schwarz und Purpur, mir läuft ein Schauer den Rücken hinunter, wenn ich von ihnen höre und ich bin insgeheim froh, dass ich nicht ihr Interesse wecke. Ich werde die restlichen Jahre meines Dienstes hier verbringen und mich um den Schutz der Nordgrenze und des Übergangs ins Delevitum kümmern. Das sollte sie nicht aufschrecken.
Aber nun zurück zu eurem Bericht. Ich war so optimistisch, als ich von der Idee las, Raffinerien zu errichten und musste meinem “Lieblingsalchemisten” Mastron Respekt zollen, aber dieses Bild rückt sich wohl gerade wieder zurück… wie konnte Mastron nur übersehen, wie volatil diese Energie ist?
Ich finde es bezeichnend, dass ihr die Kraft, die in dieser Zone herrscht, mit dem Atem eines Drachen vergleicht, der mal ruhig atmet und im nächsten Moment Feuer spuckt. Ich habe verstanden, dass eure Arbeit und vor allem die Arbeit am Tribunal dadurch erheblich erschwert wird. Wie wollt ihr diese Energie zuverlässig in die Apparatur leiten, ohne dass sie euch, verzeiht mir die etwas vulgäre Ausdrucksweise, um die Ohren fliegt?
Ein Hoffnungsschimmer scheint zu sein, dass es euch gelungen ist, in Ansätzen das Wesen der wilden Magie zu verstehen, vor mir auf dem Pult liegen die Kristalle, die ihr mir mit eurem letzten Bericht habt zukommen lassen und wie erwartet, sehen sie für mich aus wie harmlose Steinchen. Ich habe sie zu erfühlen versucht, habe mich konzentriert, meine Hand über sie gehalten. Ich gebe zu, ich habe sie sogar mit meiner Zunge kurz berührt, aber außer einer etwas rauen Oberfläche habe ich nichts spüren können. Ich bin nicht magisch begabt und wenn diese Steine mir das nicht beweisen konnten - kann es niemand.
Dass die Kristalle dennoch voller Magie stecken, wurde mir klar, als ich sie kurz ans Fenster legte, weil ich auf meinem Pult Platz brauchte. Die Karten vom Norden wurden aktuell neu gezeichnet und die Barriere muss dort ebenfalls eingepflegt werden, nach und nach kommen die Vermessungstruppen voran und berichten von der Ausdehnung des Nebels. Es wird euch interessieren, dass wir aktuell noch keinen Anhalt dafür haben, dass es einen Ort gibt, an dem diese Barriere nicht existiert. Sie scheint undurchdringlich und vollständig, so dass wir uns an dieser Stelle schon einmal keine Sorge mehr machen müssen. Was im Delevitum ist wird voraussichtlich auch im Delevitum bleiben. Umso wichtiger ist eure Arbeit.
Wo war ich? Ach ja! Die Kristalle lagen auf dem Sims am Fenster, wo meine Frau immer einige Blumen platziert. Sie ist der Ansicht, ein alternder Mann würde sich am Anblick frischen Grüns ergötzen, lassen wir sie in diesem Glauben. Ich empfinde das Gebüsch eher als störend, aber ich möchte sie nicht enttäuschen. Das aktuelle Blumenarrangement hatte seine beste Zeit schon hinter sich und ich rechnete jeden Tag mit der Erneuerung des Straußes, aber schon nach wenigen Minuten neben den Kristallen raschelte es vom Fensterbrett vernehmlich, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich erschreckte, als ich sah, dass sich die teilweise schon verwelkt und braun anmutenden Pflanzen wieder in frischem Grün nach oben reckten! Ich glaube, ihr hättet sehr gelacht, wenn ihr mein Gesicht gesehen hättet. Ich selbst hätte es gerne gesehen, so ungläubig habe ich wahrscheinlich noch nie geschaut.
Auch wenn ich selbst also die Wirkung der Kristalle nicht spüren könnte - wobei ich ständig in mich hinein horche und ich mich frage, ob die Energie, die ich beim lesen eurer Berichte spüre, vielleicht eine Wirkung der wilden Magie sind, die ihr mir unbewusst mit jedem eurer Berichte sendet.
Wie auch immer, dass mit dieser Magie nicht zu spaßen ist, dürfte jetzt klar sein, ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, die notwendige Vorsicht walten zu lassen. Ich hoffe, Alchemist Mastron und die Seinen werden einen Weg finden, die Energien zu zähmen, denn sonst verdurstet ihr in Sichtweite des rettenden Wassers.
Bleibt wachsam und vorsichtig!
Euer Freund
Magistrat Estron,
Schutzbeauftragter Nördliches Sarkan”
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Brief 5
(Original in Morse Code)
“Werter Kollege Melafarn, lieber Archerus,
wie wunderbar. Selten habe ich mich über eine Nachricht so gefreut, wie über Euren letzten Bericht. Ich war, das muss ich zugeben, voller Sorge um euch und die mutigen und tapferen Frauen und Männer, die ihre Leben am Sechsten Nagel riskieren, um unsere Sicherheit zu garantieren.
Es ist gut zu hören, dass der schreckliche Unfall, bei dem vor einigen Monaten jener begabte Magier ums Leben kam, nicht der Beginn einer Reihe von Rückschlägen war, sondern letztlich dazu beigetragen hat, den Mechanismus des Dazwischen besser zu verstehen. Der Atem des Drachen, wie ihr sagtet, ist also das, was man beobachten muss, um den richtigen Moment abzupassen. Es ist wahrlich eine einzigartige Lösung, die ihr dort entwickelt habt und ich kann verstehen, warum sie so lange Zeit in Anspruch nimmt. Wenn dieses “Zuviel an Magie” die ganze Zeit dafür gesorgt hat, dass kein regelrechtes Arbeiten am Tribunal möglich war, dann ist es kein Wunder, dass die Fortschritte so klein erscheinen. Ich verstehe Eure Verärgerung über den Kollegen Holmer Wandfroh, seine Beschwerde erreichte mich in Kopie, als sein Schreiben schon längst per Boten an Euch abgesandt war. Ich gebe zu, ich hätte meine Subalternen besser informieren können, wie sich die Arbeit am Sechsten Nagel entwickelt. Nehmt es als Schrulle eines alten Mannes, dass er den Schriftverkehr mit Euch als sein Eigentum betrachtet und sich schwer tut, die belebende Aufregung, die Eure Berichte in ihm auslösen, mit anderen zu teilen. Dieses Versäumnis hätte allerdings dem Kollegen Wandfroh, der ein echter Wanzenzähler ist, wie ihr euch denken könnt, trotzdem nicht die Erlaubnis gegeben, an mir vorbei eine Anordnung an Euch zu schreiben. Geheimnisverrat, pfft! Ich habe ja schon vieles gehört, aber zu behaupten, Euer Trupp, der sich jeden Tag diesen Gefahren aussetzt, würde unsere Sicherheit gefährden, weil er Dinge im Dazwischen liegen lässt, wo sie von den Maßlosen gefunden werden könnten, ist lächerlich. Habt dennoch ein Auge darauf, bitte. Ich möchte diesem Heuchling kein weiteres Futter gönnen.
Also gut. Die Idee, die Raffinerien genau auf die Fokuspunkte der Wilden Magie zu setzen, ist genial. Jetzt gibt es also ausreichend Energie, um das Tribunal fertigzustellen. Eine Frage bleibt allerdings, die mich schon die ganze Zeit umtreibt. Es ist eine Sache, für alle möglichen Arbeiten und magischen Verfahren und Handlungen ausreichend Energie zu haben, aber wie kann das Tribunal fürderhin mit Energie versorgt werden? Wenn ich Euch richtig verstanden habe, schaffen die Raffinerien ja nur, ausreichend magische Energie zu erstellen, um damit irgendwelche magischen Verrichtungen tun zu können, aber eine dauerhafte Versorgung, wie sie für das Tribunal vonnöten wäre, lässt sich doch damit nicht bewerkstelligen? Hier würde ich mir etwas mehr Aufklärung wünschen. Ansonsten danke ich Euch, dass Ihr mich daran erinnert habt, dass es neben dem Tribunal und dem Erinnerungsmuseum noch ein drittes Bauprojekt gibt. Kaum zu glauben, dass mir gerade dieses Teilprojekt aus dem Sinn kam, wo es doch eines der wichtigen Bestandteile der ganzen Vorrichtung ist.
Ihr berichtet, dass Ihr nun einen Weg gefunden habt, wie man - zumindest zeitweilig - mit dem Auditorium eine Sprechverbindung in die Zone Wilder Magie herstellen kann. Ich finde die Vorstellung, dass einer der Maßlosen an diesen Punkt kommen würde, um mit dem so verhassten Süden Kontakt aufzunehmen, allenfalls amüsant, aber nicht sehr wahrscheinlich. Ich hoffe, dass durch die “Große Tat” das Thema Krieg nun ein für alle Mal ein Ende gefunden hat.
In all der Freude über Euren Erfolg mischt sich auch viel Trauer, wenn Ihr mir von all dem erzählt, was Ihr im Dazwischen an Spuren des Krieges findet. Es ist sinnvoll, diese Zeichen als Beweis dafür zu nehmen, dass Euer Tun von unbedingter Wichtigkeit ist. Ich kenne die einzelnen Prüfungen des Tribunals nicht, aber mir kommen immer wieder die Gedanken, dass es von Bedeutung sein kann, die Maßlosen mit den Folgen ihrer Taten zu konfrontieren. Aber das habt Ihr sicherlich längst bedacht.
Ihr berichtet, dass Deon nach wie vor mit großem Eifer am Bau beteiligt ist. Das ist nur gerecht, denn seine Schwäche hat viel Leid verursacht. Es ist nur seiner Bereitschaft zur Hilfe zu verdanken, dass das Urteil nicht härter ausgefallen ist und ich verrate Euch sicher nichts Neues, wenn ich sage, dass es Einige im Gericht gibt, die ihn lieber tot gesehen hätten. Ich hingegen freunde mich mehr und mehr mit dem Gedanken an, dass der Durchgang erhalten bleibt, und aus meiner anfänglichen Abneigung ist inzwischen echte Begeisterung geworden. Allerdings fürchte ich, wird diese Begeisterung weniger durch die Vorstellung, die Maßlosen könnten zurückkehren ausgelöst, denn durch die ungeheure Leistung, die Ihr am Sechsten Nagel vollbringt.
Bis auf Weiteres
In freundschaftlicher Ergebenheit
Magistrat Estron
Schutzbeauftragter nördliches Sarkan”
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Brief 6
(Original in Morse Code)
“Werter Kollege Melafarn, lieber Archerus,
will er es wirklich tun? Ich bin immer noch etwas sprachlos, muss ich gestehen, denn die Lektüre Eures letzten Berichts hat mir wirklich den Atem geraubt. Wie bestürzt muss er sein, dass er bereit ist, ein solches Opfer zu bringen? Wie groß ist seine Schande, aber vor allem, wie falsch war das Urteil des Gerichts, das ihn zu Beginn sogar beschuldigte, gemeinsame Sache mit den Maßlosen Magiern gemacht zu haben? Wir haben ihm Unrecht getan, das ist sicher. Seid Ihr sicher, dass es keine andere Lösung gibt? Niemand kann im Moment abschätzen, wie lange dieser Durchgang bewacht werden muss, bis die Kriegstreiber aus dem Norden zur Vernunft kommen. Am Ende wird es nie geschehen, und Deon wird bis ans Ende der Zeit dort stehen müssen, und... oh, ich will es mir gar nicht ausmalen... Vielleicht gibt es doch eine andere Lösung....
Ich bin froh zu hören, dass die Arbeit am Tribunal nun zu Ende geht, und ich gestehe, dass ich ruhiger schlafen werde, in dem Wissen, dass keine Gefahr mehr aus dem Norden droht. Jetzt, wo Ihr so lange am Tribunal gearbeitet habt und alle Beweise für die Taten dieser fehlgeleiteten Seelen gesehen habt, haltet Ihr es immer noch für eine gute Idee, ihnen zu erlauben, nach Sarkan zurückzukehren? Ich beneide Eure Gewissheit in dieser Angelegenheit, denn auch wenn ich vom Tribunal als solchem begeistert bin, hinterlässt die Vorstellung, dass eines Tages die Maßlosen Magier dort stehen werden und wir erst dann wissen werden, ob unsere, oder vielmehr Eure, Bemühungen von Erfolg gekrönt waren, ein seltsames Gefühl. Ich habe mich entschieden, Eure Einladung anzunehmen und zum Sechsten Nagel zu kommen, bevor Ihr das Tor endgültig versiegelt. In den letzten Jahren habe ich mich mit vielen meiner Kollegen aus verschiedenen Disziplinen beraten und darüber nachgedacht, wie wir das Tribunal noch sicherer machen können. Ja, die magische Sicherheit ist unverzichtbar und schützt uns vor dem gewaltsamen Eindringen der Maßlosen Magier. Aber eine, sagen wir, völlig weltliche Sicherheit würde uns alle zusätzlich beruhigen, indem wir das Tribunal auf der Seite des Dazwischen mit einer Wachtruppe auf der sarkanischen Seite kombinieren. Bitte seht dies nicht als Misstrauen gegenüber Eurer Arbeit. Seht es eher als zusätzliches Vorhängeschloss an einer Tür, die nicht gut genug gesichert werden kann. Die Aufgaben des Tribunals werden diesen Wachen nicht bekannt sein, außer einem. Und es ist auch ein Grund für mich, zum
Sechsten Nagel zu reisen, obwohl meine Frau mir immer wieder sagt, dass ich für solche Reisen zu alt bin. Ich stimme ihr zu, dass das milde Klima hier in Greifenbronn gut für meine Gelenke ist und die Reise nach Norden über die Eissäulen eine ziemlich beängstigende Idee für mich ist, aber Eure Berichte haben mich so sehr inspiriert, dass ich ein schnelles Abenteuer erleben möchte… um ehrlich zu sein, es wird mein erstes sein, mein lieber Freund.
Der Bote macht sich mit diesem Brief auf den Weg, ich bereite meine Abreise vor und bemühe mich, mich nicht mit zu vielen Annehmlichkeiten zu belasten. Meine Reisegruppe wird in ein paar Tagen aufbrechen und ich denke, wir werden die Baustelle in weniger als vier Monaten erreichen. Eine scheinbar endlose Zeit! Aber ich freue mich darauf, Euch nach Jahren der Korrespondenz endlich zu treffen. Haltet die Tür noch ein wenig länger offen.
Ich freue mich sehr darauf, Euch bald zu sehen.
Magistrat Estron
Schutzbeauftragter nördliches Sarkan”
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