Taez’ Tagebuch
Es verstößt gegen den Kodex der Gesichtslosen, aber ich muss die Dinge aufschreiben, ich weiß mir anders nicht zu helfen. Mein Verstand droht mich zu verlassen, die Erinnerungen werden wirr, die Gesichter vermengen sich, mein eigenes vermag ich wohl kaum noch als solches zu erkennen. Es ist gefährlich, lehrte uns der Meister, allzu oft oder zu lange in anderen Gesichtern zu verweilen, zu leicht verliert man sich in den Angenehmen, wie in den Grausamsten. Und verloren habe ich viel, verloren bin ich gar selbst! Gefangen in diesem Abbild einer Welt! Wie geriet ich hier hinein? Das falsche Gesicht? Der falsche Zeitpunkt, ungesehene Veränderungen, das Überschlagen des Schicksals vielmehr. Denn das richtige Gesicht war es, das richtige Gesicht Shraga zu dienen. Shraga Sigmyndjar, Thul der Luft, der Eiswächter, vergangener Erster der Enneagesimae und – noch klingt es zu merkwürdig, kaum zu greifen – Shraga der Eiserne! Klingt es denn aber falsch? Wer bin ich es mir anzumaßen die Entscheidungen eines so weisen Wesens zu hinterfragen? Wie viel Weisheit, wie viel Einsicht in das große Ganze mag hinter einer solchen Entscheidung – einem Bruch mit allem was einem lange Zeit so eigen war, was man selbst gar erst geboren hat – stehen? Ich vertraue auf den Eiswächter wie ich es eh und je getan habe, wie es der Zirkel noch auf ewig tun wird. Blind würde ich für ihn in den Tod gehen! Ich fürchte, das habe ich bereits getan. In seinem Auftrag folgte ich Nor-Na, mit dem Gesichte einer ihrer treuen Dienerinnen, beschienen von ihrem schöpferischen Licht. Schwer wiegt der Gedanke, dass sie – eine der wahrhaft Großen – fehl geht. Fehl wie sie wohl alle wandeln und schaffen. Fehl wie auch wir gingen. Noch gehen? Einzig Shraga, der die Größe besaß sich und sein Werk zu betrachten und die Fehler – kaum zu fassen, dass auch ein Geist wie seiner vor solchen nicht gefeit ist – die begangen worden waren, als solche zu erkennen. Ihm, dem Thul der Luft höchstselbst, verschaffte ich all jene Informationen über Nor-Nas Werke deren ich habhaft werden konnte. Werde ich eines Tages imstande sein zu ihm zurückzukehren? Vielleicht sogar aus freiem Willen ihm auf seinem Weg zurück zu den Elementen zu folgen? Ich will es versuchen mit jeder Faser meines Seins, denn ging Shraga diesen Weg, so ist es der einzig Richtige. So vieles mehr vermag ich ihm nun zu berichten, nur ist es nun ein Unmögliches geworden. Es gibt keinen Weg hinaus, wie es keinen hinein gibt. Zwei Welten getrennt voneinander. Keinen Weg? Verzweiflung übermannt mich bei diesem Gedanken. Es muss einen geben und gibt es einen, so werde ich ihn finden! Denn wenn doch verloren, so bin ich noch eine der Gesichtslosen! Eine Meisterin der Ouai. Eine Dienerin Shragas.
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Er fehlt mir. Der Zirkel. Ein selbstsüchtiger Teil von mir hofft nicht die Einzige zu sein, die hier gefangen ist, versteckt zwischen Feinden, bemüht nicht aufzufallen, nicht unterzugehen. Aber es liegt in unserem Zweck nicht entdeckt zu werden. Gibt es noch andere, werde ich sie nicht finden, wie auch ich nicht gefunden werde. Einst erwählt aus jenen Meistern der Ouai, deren Geschick in der Täuschung, der Kreativität, der Vielfalt, des Wandels und des Charmes liegt. Gegangen durch eine harte Schule, deren härteste Aufgabe darin liegt sich selbst zu finden, um sich selbst aufgeben zu können. Meisterhafte Spione im Gefolge Shragas. Ihm zu Diensten undurchdringlich, unbekannt und ohne Wahrheit gegen die Welt. Dem Zirkel selbst und ihm gegenüber der Wahrheit, des Vertrauens und der Freundschaft verpflichtet. Ein Verbund in dem man Reinigung, Nähe, offenen Disput und Verständnis findet. Brüder und Schwestern im Geiste. Ein Bund ungezählter Gesichter, vereint im Dienste des Wissens.
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Ich versuche einen Weg zu finden, vertiefe mich in all das Wissen das Nor-Na umgibt. So denn es mir möglich ist. Ich studiere und ergründe Tag für Tag. Versuche zu verstehen und doch ist mein Verstand zu klein auch nur im Ansatz zu begreifen. Hilflos bin ich. Dumm. Ich darf nicht aufgeben, mich nicht verlieren.
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Ich verzehre mich nach der Zuflucht die mir einzig die Gesichtslosen geben können! Nach Austausch, Ordnung der Gedanken, Nähe und Wahrhaftigkeit. Zu lang schon bin ich allein. Allein umgeben von Feinden, denen nicht zu trauen ist. Allein im falschen Ich, im falschem Leben. Der falschen Welt. Alles ist so unsagbar falsch. Die Welt die mich umgibt. Die Gesellschaft die erschaffen wurde! Nichts hat sie gemein mit der Idee der wahrhaft Großen! Nichts mit dem Weg den er vorgab.
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Ich habe die Dienerin Nor-Nas abgelegt. Zu groß die Gefahr endgültig zu ihr zu werden. Ich schäme mich, doch ist dies der klarste Moment, den ich seit Ewigkeiten hatte. Mit Freude habe ich Nor-Na gedient. Fast vergessen wem ich wahrhaftig diene, warum ich in ihrer Nähe weile. Sie verändert sich. Ich muss mir mein Misstrauen bewahren! Mein Wissen um den Frevel des Ganzen.
Ich bin gestorben. Ich. Keiner meiner Gesichter. Ich selbst. Und doch vermag ich hier zu schreiben. Es ist nur schwer zu greifen, schwer zu fassen. Schwer zu erinnern. Ich entdecke Lücken in meinen Erinnerungen, in den Ältesten meiner selbst. Wer war ich? War ich? Bin ich noch ich? Ich fürchte den Verstand zu verlieren. Das darf nicht geschehen. Ich muss das neue Gesicht aufrecht erhalten, besser als das Vergangene. Zu leicht war ich zu opfern, zu nutzlos erschien ich. Nutzen muss das Gesicht bringen.
Gefährlich ist das Spiel, welches ich treibe, Sterben ist schrecklich – unmöglich die Angst davor zu überwinden. Ich muss vorsichtiger werden. Diese Schrift verstecken. Auf keinen Fall darf sie gefunden werden. Vernichten kann ich sie nicht, fürchte ich doch damit so viel mehr als nur Niederschriften zu zerstören.
Ich vermag nicht zu sagen wie lange ich nicht mehr schrieb. Ein einziger Moment der Erinnerung führte mich zu diesem Papier, welches mir den Weg zurück zu einem Ich zeigt, welches nur noch schwer zu begreifen ist. Ich fühle, alles hier ergibt Sinn. Eine unbekannte Wärme. Überrannt von Verzweiflung und Trauer, ob des Verlorenen. Mein Verstand kann es nicht mehr greifen. Ich habe Angst. Taez‘catlhipoca ist mein Name. Taez‘catlhipoca. Taez‘catlhipoca. Taez‘catlhipoca. Taez‘catlhipoca.
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