Ein Leben für den Propheten
Aufgeschrieben nach den erzählten Erinnerungen von Yaz'mi zusammengefasst in den Schriften „Ein Leben für den Propheten“
Mit zitternden Fingern griff er nach dem verborgenen Schatz, den er fast übersehen, wenn nicht gar zertrampelt hatte. Was ihn bewahrt hatte, war das schwindende Licht des Tages, welches sich in dem erstaunlich glattem Metall gespiegelt und seine Aufmerksamkeit damit auf sich gelenkt hatte. Tonlos die Lippen bewegend dankte er jenen hinter den Spiegeln, die ab und an ihre Gnade auch den Niedersten schenkten und hob das, was sie ihm gezeigt hatten, an. Faustgroß lag es in seiner Hand, funkelnd, als wäre es gerade eben erst gefertigt worden. Was es nun war, dieses Gebilde aus Metall und abgebrochenen Drähten, in dessen Mitte ein grüner Stein eingebettet war, konnte er nicht sagen. Aber das war auch egal. Er musste nicht wissen, was es war. Er musste es nur ihnen bringen und sie, sie würden es einbauen in das große Wunderwerk ihrer Errettung.
Hastig, aber dabei darauf bedacht, dass seinem Fund nichts passierte, schob er es in sein der vielen, kleinen Taschen, die er zu diesem Zweck immer am Leib trug und machte sich auf den Weg zum Hort. Dabei war jede dunkle Gasse verdächtig, jede Bewegung, die er nur aus de Augenwinkel wahrnahm gefährlich… Hätten die Negatoren ihn mit seinem Schatz erwischt und könnte er ihnen nicht erklären, warum er so etwas bei sich trug … Feiner Schweiß der angst bildete sich auch seiner Stirn, als er seine Schritte beschleunigte.
Es musste ein guter Tag sein, ein Glückstag, denn er erreichte sein Ziel, ohne behelligt zu werden. Ohne, dass sich jemand an seine Füße geheftet hatte, um heraus zu finden, wohin es ihn trieb – zumindest hatte er nichts bemerkt. Kur'mi hob die Hand und klopfte an die unscheinbare Holztür des Gebäudes zu dem es ihn getrieben hatte. Er hasste diesen Moment des Klopfens fast noch mehr als den Weg hierher. Ständig änderten sie den Code, jedes Mal wurde er länger, komplizierter und damit für ihn noch unmerkbarer. Und ganz egal, ob sie sein Gesicht kannten oder nicht, ohne das richtige Klopfzeichen hätte man ihm nicht die Tür geöffnet und er wäre auch niemals wieder an das neue Klopfzeichen gekommen.
„Du bist spät“ Mehr Feststellung als Anklage, also schnaubte er nur und bedeutete der Kan vor sich gefälligst voran zu gehen. Ihr zu zeigen, was er gefunden hatte .. nein. Er wollte es ihm als erstes zeigen. Jenem, der ihnen den Weg zu Erleuchtung wies, den Weg aus dieser Qual, in die sie immer und immer wieder hineingeboren wurden, der ständige Blick auf den kommenden Untergang dieser Welt. Die rechte Hand fest um die Tasche gelegt, die seinen Schatz beinhaltete, folgte er ihr in die Tiefe, in der sie ihre Zusammenkünfte hatten. Der Bunker war ein Fund ihres Propheten gewesen, hier war es auch, wo er das Apparatenkonstrukt entdeckt hatte – oder das, was noch von ihm übrig geblieben war. Und genau vor ihm stand er auch, als sie bei ankamen.
Kur'mi stahl sich einen direkten Blick auf den Mann und das Konstrukt, ehe er den Kopf senkte und auf den Boden vor sich sah. Er war ein unscheinbarer Mann, ihr Prophet. Gekleidet in den Farben der Kaste der Träumer, weil er sich nicht von ihnen abheben wollte, obwohl ihm aufgrund seines Wissens mit Sicherheit eine andere Farbe, eine andere Kaste zugestanden hätte. Alleine dafür, dass er sich zu ihnen herabließ verehrte er ihn. Aber noch viel mehr tat er es, weil er sein Wissen mit ihnen geteilt hatte. Weil er ihnen aufgezeigt hatte, dass sie die Technologie, die ihnen einst zur Verfügung gestanden hatte, nicht einfach so verloren hatten. Nein. Jene, die sie geschaffen und erzogen hatten, waren enttäuscht von ihnen gewesen, aufgrund einer unaussprechlichen Tat, an die ihre Seelen sich nicht mehr erinnern mochten, die aber immer noch an ihnen klebte. Deswegen hatten sie ihre Geschenke mit sich genommen, waren selbst von keinem Auge mehr erblickt worden und hatten sie zurückgelassen. Und ihnen schwanden die Dinge mit jedem Tag. Rosteten. Waren nicht mehr zu reparieren. Fielen einfach auseinander. Mussten zerstört werden, um andere Dinge damit zu bauen… endlose Sünde, an deren Ende der letzte Tag dieser Welt stehen würde. Sobald kein Geschenk der Großen des Zweifels mehr Bestand hatte, würden sie alle ihre Augen für immer schließen.
Und dagegen mussten sie angehen. Ihr Prophet hatte den Anfang gemacht, als er die Reste dieses wunderbaren Konstrukts gefunden hatte und sie, sie trugen dazu bei. Suchten nach Teilen, die er möglicherweise benötigen könnte, erbeuteten Pläne oder gar noch ganze Apparaturen, die ihn weiterbrachten… was ihnen in die Hände fiel, schleppten sie zu ihm, in der Hoffnung, dass er dieses Ding zum Laufen bringen konnte, damit die Großen des Zweifels sahen, dass es auch noch Träumer gab, die ihre Geschenke schätzten, die trotz ihrer Strafe in der Lage waren, sie zu erhalten und sich ihnen dann vielleicht offenbaren und sie alle retten würden.
„Du hast etwas gefunden?“ Die Stimme des Propheten drang unvermittelt an seinen Geist, durch seine Gedanken hindurch und er schreckte hoch, die Wangen rot vor Scham „Ja… ja, ich …“ „bring es mir“ Kur'mi wühlte tief in der Tasche und zog seinen Schatz hervor, den er ihm so unbedingt zeigen wollte. Damit er stolz auf ihn war. Und dann durchfuhr ihn kalter Schrecken. Das, was er für einen grünen Stein gehalten hatte, was in tausend Einzelteile zersplittert, von denen sich zwei in seinen Daumen bohrten. Der Schmerz war egal, aber er hatte … er hatte es zerstört. War doch so vorsichtig gewesen, aber musste es … Ängstlich blickte er hoch und war für einen Augenblick lang erleichtert, weil auf dem Gesicht seines Propheten ein Lächeln lag.. Ein strahlendes. „Eine Gleichrichterphotodiode“ Kur'mi verstand kein Wort, aber scheinbar war das Teil wichtig gewesen. Wirklich wichtig …
„Ja, ich …“ Es wurde ihm aus der Hand genommen und sofort verdüsterte sich das Gesicht seines Propheten. „Sie ist kaputt“ Keine Feststellung. Nur eine Anklage. „ich weiß nicht, wie das passieren konnte, ich habe es gehütet wie meinen Augapfel, aber…“
Eine herrische Bewegung schnitt ihm das Wort ab. „So achtest du also auf deinen Augapfel, ja?“ Die Frage war sanft gestellt, mit einem Lächeln, welches die von Wut verzerrten Züge seines Propheten sofort wieder geglättet hatte. Fast schon beruhigend legte er eine Hand an seine Wange und gerade, als er das Gefühl hatte, dass vielleicht doch alles in Ordnung wäre, packte er mit der anderen Hand seinen Hinterkopf und es bohrte sich der Daumen seinen Propheten tief in Kur'mis rechtes Auge.
Der Schmerz, der durch seinen Kopf fuhr, war unbeschreiblich, aber der Griff des Kans vor ihm unerbittlich. Er konnte seine eigenen Schreie in dem Raum widerhallen hören und gerade, als er glaubte, vor Schmerzen den Verstand zu verlieren, ließ der Prophet von ihm ab. Wimmernd wankte er zurück, die Nässe auf seinen Wangen eine Mischung aus Tränen, Blut und dem, was von seinem rechten Auge noch übrig war, das wusste er. Es war nur gerecht gewesen und würde ihn, solange er in diesem Körper existierte, daran erinnern, das er mit den Schätzen, die er fand, sorgfältiger umgehen musste Sie konnten sich keine Fehler mehr leisten.
Das Ende war nah.
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