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Der heilige Creylen, Warner der Seefahrer

Ohne Essen geht es einem auch mit Kiefer nicht gut. Die Hungersnot, die hereinbrach, war die gewaltigste, die es in den Ländereien des Untoten Reiches jemals gab. Am härtesten traf es die, die eigentlich auf Hilfe angewiesen waren, die Pilger. Selbst der ärmste Bauer hatte noch irgendwo ein Stückchen grünes Brot, doch die Pilger, ja die Pilger, die hatten wahrlich nichts!

So konnten sie unmöglich ihre Aufgabe vollbringen, unmöglich Buße tun für ihre Frevel, unmöglich die Heiligkeit der Knochenkönigin preisen. Doch es gab einen, der sich weigerte, zu verzweifeln und sein Leben ein ums andere Mal in die Waagschale warf, um den Pilgern die Reise zu ermöglichen, ohne dass sie zu schwach wurden, um noch beten zu können. Creylen stieg jeden Tag in sein morsches Boot und fuhr zu dem einzigen Ort, an dem sich zu der Zeit die letzten Fische verkrochen hatten: zum Riff von Nathair Creag. Egal, wie fürchterlich die Strömung war und wie gewaltig der Sturm, Tag für Tag wagte er sich hinaus, entriss Aquas gierigen Klauen eine Handvoll Fische und kehrte nach Hause zurück. Doch er behielt nichts von seinen Fängen, er gab alles den Armen und Schwachen. Und obwohl er bereits nur noch aus Haut und Knochen bestand, vollbrachte er sein Werk immer wieder, ohne je zu zweifeln oder zu zögern. Nur einer sah Creylens Taten mit wachsendem Missmut. Aqua, herzloser Mörder aller Fischer und Seemänner, neidete ihm den Ruhm und ersann einen grausamen Plan. Er entsandte seinen ekelhaftesten Dämon, eine gewaltige Seeschlange, die in einer Höhle tief unter dem Nathair Creag-Riff ruhte und bereits unzählige Boote zerfetzt und Fischer zerrissen hatte.

Am darauffolgenden Tag fuhr Creylen erneut zu dem Riff hinaus, ohne zu ahnen, was auf ihn lauerte. Urplötzlich türmte sich vor ihm eine gewaltige Wand aus Fleisch und Schuppen auf und ein Wesen, das aus Jahrtausende alter Bosheit bestand, zeigte seine widerwärtige Fratze. Es war hässlich, zahllose Augen, Stacheln den gesamten Rücken hinunter und ein geiferndes Maul, in dem zwischen den Zähnen noch Fetzen von Haut und Fleisch hingen… An den schartigen Schuppen prangten noch Relikte vergangener Opfer, Überreste von Schiffen und Männern, Taue, Netze, Planken, Knochen, Schädel…ein Wesen aus den tiefsten Tiefen der Alpträume.

Creylen wusste, dass er keine Chance hatte, das Biest zu besiegen. Aber deswegen aufgeben? Niemals, nicht solange noch ein einziger Klumpen Blut durch seine Adern gepresst wurde! Und so griff er zur Axt und leistete erbitterten Widerstand, wehrte sich mit wahrem Heldenmut und hieb dem elenden Dämon sogar ein Auge aus. Vor Schmerz schleuderte der Dämon seinen Leib hin und her, und Creylen wurde umhergewirbelt und nur deshalb nicht an den Steinen im Riff zerschmettert, weil sich sein Arm durch eine Fügung der Knochenkönigin in einem Netz verhedderte. Doch er wusste, dass es vorbei war, denn dass er der Bestie überhaupt Schaden konnte, war bereits gewaltiges Glück gewesen - siegen konnte er niemals.

In diesem Moment, da er zu verzweifeln drohte, keimte in ihm ein Plan: er versuchte nicht, zu fliehen oder seinen Arm zu befreien - im Gegenteil. Er zog die Schlingen fester, zog das Netz über seinen ganzen Körper und schlang noch jedes Tau darum, das er mit seinen knochigen Fingern ertasten konnte. Er zurrte seinen Leib so fest an das Biest, wie es nur ging, sodass er nicht abgeschüttelt werden konnte. Sollte er den Dämon schon nicht besiegen können, so konnte er wenigstens dafür sorgen, dass es keinem anderen mehr Schaden würde. So entschloss er sich, auf dem Rücken des Untiers festgebunden, all jene zu warnen, denen sich Aquas Schoßhund näherte. Das Biest sah das natürlich ungern, versuchte ihn loszuwerden, doch es half nichts, er war fest vertäut. Jahrelang zog es nun durch die Gegend, konnte nicht mehr schlafen, da Creylen auf seinem Rücken war und konnte nichts mehr fressen, da er jedes Boot durch ein lautes, unheilvolles Heulen warnte.