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Von Ouai und Kell'Goron

Wer Mythodea besiedelt oder bereist wird ihnen nach vermutlich nur kurzer Zeit begegnen. Man nannte sie „die edlen Wilden Mythodeas“, und sie waren die ersten, die die Siedler auf dem neuen Kontinent willkommen hießen. Geherte, Geschichtenerzähler, Chronisten, Weisheitsbewahrer, Diplomaten, die ihren Gegenübern zeitweise Dinge, jenseits alles Denkbaren offenbaren, und anderer Zeit diese wiederum mit fast grausam anmutender Gleichgültigkeit behandeln.
Die Ouai.
Auch wenn sie aus alter Zeit, teilweise gar aus eigener Anschauung die Geschichte des Landes der Elemente kannten, ließen sie die Siedler ihren eigenen Weg finden. Sie zeigten den Auswanderen das Land, warnten sie vor den Gefahren, begleiteten sie an Plätze großer Geheimnisse, doch nie nahmen sie ihnen die Entscheidung ab, was zu tun, oder wohin zu gehen wäre, wem zu trauen und wer zu meiden sei, oder was richtig und was falsch ist.
Ihre Erscheinungen sind meist eher unauffällig, zumindest gegen die bunten Scharen der Siedler, die aus allen Ländern der Welt nach Mythodea strömen. Ouai tragen zumeist blaue Gewänder, die mit eigenartigen Tiersymbolen und unlesbaren Schriftzeichen in gelb bestickt sind, dazu häufig Hüte aus Binsengeflächt und Wanderstäbe. An einer ihren Schläfen befinden sich braune Schmuckmale, die vielleicht gestochen oder auch gebrannt sein mögen. Allen Ouai ist eine unendliche Ruhe und Geduld zu eigen, die sie selbst im Angesicht großer Schlachten und Gefahren nicht verlieren.
Wer Rat sucht, der sollte, wenn er die Ouai fragt, einiges an Zeit und den Willen tief über vieldeutige Antworten nachzudenken mitbringen. Ihnen gelten alle Elemente gleich, ob nun von der ersten, oder der zweiten Schöpfung, denn nach wie vor sehen sie sich als die neutralen Diplomaten aller Jener, die auf Mitraspera leben.

Nach längerm hat sich nun die Herkunft und auch Bruchstückhaft die Geschichte der Ouai offenbart, größtenteils durch ihre eigenen Erzählungen. In längst vergangenen Zeiten sollen auf Mythodea Völker von halbgottgleichen Wesen gelebt haben, die wir heute als 'Alte Herrscher' kennen, deren Zaubermacht es gar ermöglichte selbst eigene Lebewesen und ganze Völker zu erschaffen. Da es zwischen diesen Herrschern wohl von Zeit zu Zeit auch Streit und Krieg gab, erschufen diese aus den Völkern, die sie zuvor gemacht hatten, eine Bruderschaft die sie 'Ouai' nannten. Diese hatten die Aufgabe ihren Herren als Diener, Berater und Diplomaten zur Seite zu stehen. Jene Erwählten legten mit dem Eintritt in die Bruderschaft ihre Identität als angehöriger eines speziellen Volkes ab und gingen ganz in ihren Aufgaben auf. Besondere Gaben und eine fast möchte man glauben endlose Lebensspanne halfen ihnen dabei. Noch heute gewinnen die Ouai ihre Novizen aus den Elementarvölkern. Über die Zeit hinweg, in der die Kulturen der Herrscher manches Zerwürfnis und große Umwälzungen erlebten wandelte sich auch die Bruderschaft der Ouai, und von Dienern einzelner Herren wurden sie zu neutralen Dienern aller, die halfen und berieten, jedoch nie Partei ergriffen, was sie zumeist bis zum heutigen Tage beibehalten haben.

Doch gibt es auch Abtrünnige der Bruderschaft der Ouai, die sich 'Kell'Goron' nennen und nach Macht für sich selbst streben, mit dem Ziel selbst zu Herrschern zu werden, deren Ansprüche sie bezweifeln. Die Spaltung des Ordens fand bereits in alter Zeit statt und dauert bis zum heutigen Tage an, und auch wenn Ouai sonst jeden Kampf meiden und für ihren Pazifismus bekannt sind, soll es grade in jüngerer Zeit zu blutigen Kämpfen zwischen den verfeindeten Orden gekommen sein. Während die Ouai sich in geheimen Orten hoch im Gebirge treffen, so lauern die Kell'Goron in Höhlen, tief unter der Oberfläche. Dort sollen sie Experimente von teilweise sehr zweifelhafter Moralität durchführen, um ihr Bestreben voran zu treiben. Für die Kell'Goron hat jedes Wissen seinen Preis und nichts verschenken sie, schon garnicht an die Siedler, doch wer den Preis zu bezahlen bereit ist, dem mögen vielleicht dunkle Geheimnisse offenbart werden, die ein Ouai niemals Preis geben würde…

Über die 1000 Generationen, in denen die Völker der alten Herrscher für ihre Verbrechen gegen die Schöpfung aus Mythodea verbannt waren, standen die Ouai den Elementarvölkern als Lehrer und Berater zur Seite.

Doch seit dem Eintreffen der Siedler, die nach dem Glauben der Ouai die Nachfahren jener alten Herrscher sind, hat sich für die bedachten Wissensbewahrer und Lehrer vieles geändert: Mit gewaltiger Geschwindigkeit wurde in kaum einem Jahrzehnt fast der gesamte Kontinent neu besiedelt und alle vier Verfemten befreit, sodass ganz Mitraspera nun im Krieg liegt. Was auch immer die Ouai all die Äonen lang erwartet hatten, bezüglich der Gestalt in der ihre Erschaffer wiederkehren würden; die wirre, freiheitsuchende Vielfalt der Siedlerscharen, in der bald jede denkbare Rasse, Glaubensrichtung und Weltanschauung vorkommt, war es gewiss nicht. Vielleicht erklärt diese Woge des Wandels, nach so langer Stasis auch, dass sich viele der Ouai nur schwer auf die neuen Bedingungen einzustellen vermögen, während manch andere ganz von ihr mitgerissen werden.

Wie schon in alter Zeit geschehen, erfuhr der Orden unlängst eine weitere Spaltung: Unter einem jungen Meister mit Namen 'Saleph' traten etliche der Ouai einen Weg an, der sie den Siedlern, die für die sakralen Elemente kämpfen näher brachte, jedoch ihre Neutralität gegenüber den Verfemten aufgeben lies. Die 'Ouai vom Zirkel des Saleph' streben ebenso wie die meisten Siedler danach die Verfemten zu vernichten um die alte ursprüngliche Schöpfungsordnung wieder einzusetzten. Die Folgen sind nur schwer abzusehen.

Es scheint fast, als wären es nicht nur die Siedler, die nun auf Mitraspera Prüfungen unterworfen sind, sondern auch die Ouai, die sich nun ihren Platz in der Welt behaupten müssen…

(Dieser Text ist eine Abschrift aus der ursprünglichen Wanderbibliothek der Ouai)