Von der Erschaffung der Verfemten
Fragen eines unbekannten Schülers an einen unbekannten Meister
Ist diese Schöpfung begrenzt?
„Ja“ und „Nein“, spricht der Weise.
„Nein“ insofern, dass es offensichtlich in der Vergangenheit gelang, der Welt neue Kräfte, ja gar Elemente hinzuzufügen.
„Ja“ insofern, dass hierdurch die Gesamtmenge all dessen, was Mitraspera ausmacht nicht erhöht wurde.
Hier liegt der Kern des Kamnpfes um diese Welt im Sinne des übergeordneten Blicks des Erleuchteten, den nur wenige Sterbliche je erlangen werden.
Jene Kräfte, die wir heute als „Verfemte“ kennt, sind nur die vier größten von unzähligen neuen Ideen, die im Zeitalter der Herrscher erdacht wurden, und die über das, was bis dahin die Schöpfung ausmachte hinausgingen.
So sind in Grunde alle Verfemten gleich?
Hier endet schon, so fundermental auch die Übereinstimmung ist, die Gemeinsamkeiten zwischen den Verfemten. Jedes ist anders in Struktur, Herkunft und (un-)Natur als die Übrigen. Nur dies Eine verbindes sie: Die Quelle der Ideen.
Auf dem Scheitelpunkt der Kultur der Herrscher erkannten diese die Quelle der Schöpfung und ihre eigne Grenzen. Doch der Wille diese zu überwinden war ihnen zu eigen, entstammen doch ihre Seelen selbst dereinst jener Kraft, an deren Quelle alles begann…
Doch was mag diese Quelle sein?
„Ratio“ nannten die Herrscher das Überwinden der Grenzen der Welt um des Neuen selbst Willen, und „Urzweifler“ nannten sich jene, die mit ihren Ideen die Welt überfluteten. Während diese dachten und ersannen, waren es jedoch Andere, die schlussendlich die Ideen in die Tat umsetzten, auf die eine oder andere Art die Grenzen der Weltordnung überlisteten und Neues erschufen. Dies taten sie aus verschiedenen Beweggründen, mochte es Angst vor dem Tod, Neugier, Größenwahn, Hoffnung auf eine bessere Zukunft, Arroganz oder schiere Verzweiflung sein; Jeder handelte für sich und einzigartig, manche niederträchtig, manche nobel im Geiste. Das Ergebnis waren neue Aspekte in der Welt. Welcher wahren Natur aber jene ungeheure Macht ist, die die Geister der Herrscher entflammt haben mag, dass sie höher als selbst die Sterne und tiefer als die Grundfesten der Erde zu denken vermochten… ist vielleicht das größte Geheimnis dieser Welt.
Es verbleibt die Frage: Was macht aus einer kruden Idee oder einer verrückten Erfindung ein Element, oder zumindest eine Kraft, die die wahren Elemente herausfordern kann?
Die Antwort liegt dem erleuchteten Geist nah: Der Stoff, aus dem die Welt besteht - wobei dieses Wort nun auch Kräfte, Energien und den Raum selbst einschließen soll - ist begrenzt, und kann nicht neu erschaffen, wohl aber umverteilt werden. Hier scheint es einige der Welt zu Grunde liegende Gezetze zu geben. Gesetzte der „Symetrie“ oder des „Gleichgewichts“:
Durch die Erschaffung neuer Kräfte, war ein neues Gleichgewicht in der Welt entstanden, nicht mehr nur unter den Sakralelementen, sondern auch zwischen diesen und den neuen Schöpfungen, da diese eben nicht mehr Teil der Elemente, wohl aber der Welt insgesammt waren. Auch folgte daraus, das die vier neuen Ideen, die wir als die großen Verfemten kennen, nur deshalb zu großen Verfemten wurden, weil ihnen die vier großen Sakralelemente gegenüber standen.
Doch je mehr Substanz und Aspekte der Welt in die neuen Schöpfungen floss, desto weniger verblieb für die alten. Niemand wieß wohl, wie viele Ideen der Herrscher es noch gab, die aber nie Macht erlangten, sondern vergessen wurden.
Wussten die Erdenker der Verfemten denn darum? Gaben sie ihre Welt gar mit Absicht dem Verfall an Heim?
Als einige Herrscher begriffen, was sie angerichtet hatten, und erkannten welche Gefahr von neuen „Schöpfungen“ ausging, handelten sie in einem nie gekannten Moment der Einigkeit, verbündeten sich über alle Grenzen der Bräuche und Meinungen hinweg in einem „Pakt der Neun“ genannten Bündnis und versiegelten Ratio. So endete der Strom der Ideen, doch die neuen Kräfte, die schon geschaffen worden waren, wuchsen und eine weitere Gefahr in diesen offenbarte sich: Während, trotz ewiger Konflikte, Gegensätzen und Kämpfen die Sakralelemente sich selbst erhielten und ohne Widerspruch eine stabile und lebensfähige Welt bildeten, waren die Verfemten in sich widersprüchlich, uneins und zerstörten ohne Neues dafür zu schaffen. Irgendwann verschlangen sie ihre Erschaffer und fuhren fortan wild über die Welt dahin, um diese ganz zu vernichten. Mochte Ratio auch besigt worden sein, ihre Saat, das Verfemte, triumphierte und erst der Eingriff der Quihen Assil, der Weltenbauer der sakralen Elemente, konnte ihrem Treiben Einhalt gebieten. Dies nannte man den „Weltenbrand“.
Doch warum gibt es die Verfemten dann noch immer?
Warum sie nicht zerstört wurden, und was geschieht, wenn Ratio wieder freigelassen wird, kann nur die Zeit zeigen. Wer kann schon sagen was geschieht, wenn Geschaffene zu Schöpfern werden und Schöpfer vor den Werken Geschaffener verstummen…
Muss es denn so kommen?
Ach, alles ereignet sich einmal nur, aber einmal muss alles geschehen…
(Dieser Text ist eine Abschrift aus der ursprünglichen Wanderbibliothek der Ouai)
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