Von der absoluten Leere
Protokoll eines Vortrags von 13. geheimen Konvent der Wissenden
Das abstrakteste, absoluteste, gefährlichste und vermutlich auch am schwersten zu begreifende Verfemte ist die absolute Leere. Da Ihr, werte Kollegen, ja alle geistig gefestigt und im festen Glauben an die sakralen Elemente seid, werden wir uns erlauben ganz frei zu sprechen, damit Missverständnisse sogleich ausgeschlossen werden. Wir setzen im Gegenzug voraus, das eventuelle Umdeutungen bezüglich ketzerischer Absichten unserer Thesen nicht geschehen werden, da wir uns einig sind, das es uns allen allen um fachliche Erkenntnisse und wertungsfreie Fakten geht.
Beginnen wir sogleich mit der entscheidenden Frage:
Was genau ist die Leere eigentlich?
Nach langen, gefahrvollen Überlegungen sind wir zu einem Ergebnis gelangt, das zwar recht wenig anschaulich, dafür aber in seinem Erklärungspotential überragend ist.
Die Leere ist die Abwesenheit vom Sein selbst. Ein Nicht-Sein-Punkt. In diesem existieren weder Raum, noch Zeit, noch Idee oder Geist, kein Weltgesetz, und kein Sinn. Tatsächlich kann man hier Parallelen zu einem hypopthetischen, zeitlosen Urzustand vor Beginn der Schöpfung ziehen. Dieser Nichtseinzustand stellt aus Sicht unserer Realität ein vollkommenes, in letzter Konsequenz unbegreifbares Paradoxon dar.
Jeglicher Effekt, den wir als „Leerewirken“ beobachten könne, ergibt sich daraus, dass sich Dinge und Wesen aus unserer Realität der Leere annähern und so teilweise aufgelöst werden. Hierdurch entstehen Gebilde, die nur noch halb in der Wirklichkeit verankert sind. Es liegt eine gewisse Versuchung darin, sich teilweise den Regeln der Welt zu entziehen, doch ist der Preis stets der Verlust des eigenen Seins, denn wer sich einmal der Leere bedient hat, dem haftet sie an und verschlingt ihn leise und heimlich mit der Zeit.
„Akolythen“ nennt man diejenigen, welche aus kurzsichtige oder niederen Beweggründen, manche vielleicht auch aus Verzweiflung oder Zwang, der Leere folgen. Sie opfern zunächst ihr immaterielles Wesen, ihre Gedanken, Gefühle und Erinnerungen, bis später ihre ganze Seele und sogar der Leib in der Unwirklichkeit vernichtet werden. Ein verzehrender Strudel aus Vergessen, Verschleierung, Erpessung, Lüge und Verrat sind die Mittel welche die Anhänger der Leere zu nutzen wissen, oder besser gesagt, die von selbst entstehen, wenn Wesen auf diese grausige Art und Weise langsam vergehen. „Negation“ nennt man die vollständige Auflösung eines Dings oder Lebewesens in der Leere, die selbst rückwirkend durch die Zeit zu verlaufen scheint und auch vor Erinnerungen in den Köpfen Anderer an das negierte Gut nicht halt macht.
Einige große Namen und Ereignisse in der Geschicht verbinden sich mit der Leere und ihrer Erschaffung. Zur Blütezeit der Kultur der alten Herrscher lebte der große Denker und Erfinder „Khor'Zuhl“, der Wunderwerke im Segen Aeris' erschuf, allen voran das Netzwerk der Weißen Portale. Sein Meisterschüler war „Ar'Nathan Gilmfridd der Weiße“, aus dem Elementarvolk der „Uhlanen“, der mit Begeisterung und allem Ehrgeiz sich zu beweisen und seinen Meister zu überflügeln gedachte. Dabei erreichte seine aerisgefällige Freigeistigkeit Dimensionen, die gepaart mit Nihilismus und Hochmut nur noch der Ratio gefallen konnten. Auch wenn das Geheimnis der genauen Herstellungsprozedur nie gelüftet wurde; das ganze Volk der Uhlanen wurde durch Ar'Nathan im Zuge der Leereerschaffung ausgerottet. Die leeren Harnische die heute als „Phobosare“ auf den Schlachtfeldern wüten sind der schaurige Rest der von ihrem Volk, der in der Welt verblieb. Ihre Seelen aber wurden geknechtet, mit diesen die Portale Khor'Zuhls korrumpiert und die Welt selbst an den Rand der Negation geführt. Allein Aeris' Streitern gelang es unter größten Opfern den Griff des Nichts nach der Schöpfung im letzten Moment abzuwehren. Doch der Avatar der Luft wurde verdorben und war fortan bekannt als „Aniesha Fey“, die erste Tochter der Negation, Begründerin der Viinshar, während der Erschaffer der Leere und seine hohen Diener selbst zu Giganten der Vernichtung, den „Nophobus“ geworden waren.
In heutiger Zeit treten die Wesen, die sich der Leere bedienen in Form der fast unzerstörbaren Phobosare und der geisterhaften Viinshar auf. Die Schreie der letzteren verbreiten Panik, sie stehlen ihren Feinden Erinnerungen und bieten Arglosen oder seelisch Schwachen verlockende Pakte an, letzteres auch gern in verkleideter Gestalt. So wächst still und leise die Anzahl der Akolythen, während die Gesellschaft der Siedler unterwandert wird. Die Kreaturen der Leere stehen in wechselnden Bündnissen zu anderen Elementen der zweiten Schöpfung, doch stets nur solange sie selbst Nutzen davon haben. Treue oder Ehre kennen sie nicht. Das letzte Ziel der Leere, oder besser, der Endzustand der durch die Natur der Leere angestrebt wird (denn ein tatsächliches eigenes Bewusstsein wie beispielsweise beim Schwarzen Eis ist logischer Weise bei der Leere ausgeschlossen), ist die totale und endgültige Negation der Welt, sprich die Annihilation der gesamten Schöpfung, mit allen Wesen, Dingen, Stoffen, Kräften und Ideen.
In neuster Zeit konnten einige Erfolge im Kampf gegen die Leere verzeichnet werden. So gelang es den verdorbenen Luftavatar zu reinigen und wieder herzustellen, wobei Aniesha Fey vernichtet wurde. Auch soll es gelungen sein Methoden zu entwickeln mit denen Viinshar endgültig zu vernichten sind, und schon seit längerem ist die Kunst bekannt durch Leere verseuchte weiße Portale zu reinigen und wiederum dem Netzwerk Khor'Zuhls hinzuzufügen. Doch nach wie vor liegen die Nophobi im Nichtsein auf der Lauer, nach wie vor treiben unentdeckt und trügerisch Akolythen ihr Unwesen und man munkelt das unter den Kreaturen der Leere schon der durch Aniesha Fey frei gewordene Platz neu besetzt worden sein soll…
Werte Kollegen, wir möchten nun unseren Vortrag abschließen, indem wir die großen Fragen die nun noch zu stellen bleiben aussprechen, ohne eine Antwort geben zu können. Offen bleibt am Ende, wie man jemals der Leere Herr werden soll.
Wie soll man etwas zerstören, das überhaupt nicht ist? Wie soll man etwas überdauern das selbst keine Zeit kennt, und wie soll man später sagen können, „wir haben etwas vernichtet, das dadurch nie gewesen ist?“
(Dieser Text ist eine Abschrift aus der ursprünglichen Wanderbibliothek der Ouai)
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