Direkt zum Hauptinhalt

Text zum Herzschlag

“Es geschieht nicht oft, dass Teile des Waldes aus dem Gleichtakt des Herzens geraten. Und wenn es geschieht, dann oft unbemerkt. Nur wenige Waldhüter wissen noch, wie man die Zeichen richtig deutet - und noch weniger, von ihnen wissen, wie dieses Leiden zu beheben ist, bevor Schlimmeres geschieht. Denn ein belebter Wald, der aus seinem ewigen Takt geraten ist, beginnt sich selbst zu vernichten. Pflanzen beginnen sich gegenseitig zu erwürgen, um ihren Platz im Wald zu erstreiten - und so manch Kleingetier stirbt unter dem Würgegriff von Ranken und Farnen. Größere Tiere zerreißen sich rein aus dem Hass auf das ihnen fremde Leben und selbst Elemente beginnen sich aufzulehnen: Überflutungen, Erdbeben oder Waldbrände, die von Sturmböen angefacht werden - Kaum ein Wald kann diesem lange standhalten. Und so würde ein Ende gesetzt, der Ewigkeit des Waldes. Kein ewiges, immer neues Leben. Nur noch ewiger Tod.

Meine Lehrerein erzählte mir einst, wie sie und viele andere solch ein Unglück abgewendet haben. Sie erzählte mir von einer monumentalen Kette aus Lebewesen, die sich für die Rettung des Waldes vereint hatten, und den Herzschlag eines gesunden Herzens mit dem des kranken Waldes verbunden hatten. Trommeln, Ruflaute des Lebens! Nicht nur die Lebewesen, die die Kette gebildet hatten, nahmen an diesem Ereignis teil. Alles, was den erstarkenden Herzschlag hören konnte, schien wie durch einen Zauber angelockt zu werden. 

Meine Lehrerin erzählte mir mit tränennassen Augen davon, so sehr schien sie dieses Erlebnis geprägt zu habe. Doch sie erzählte mir auch, dass dies nur der Höhepunkt eines großen Unterfangens gewesen sei, dessen Schritte ich hiermit festhalten will, um sie jenen Waldhütern zu übermitteln, die die Ewigkeit einst hierher bringen wird.

Als eine Verbindung von zwei Orten der Macht ist dies fürwahr kein Werk für wenige Hüter alleine. Alles Leben, das den Wald bewahren will und kann, sollte dabei helfen, sonst vermag der Herzschlag des Waldes in seiner Macht nicht auszuhalten sein. Doch auch die Kraft der Orte, die verbunden werden sollen, sollte vor dem Ritual überprüft werden. Zum Glück war das Herz des kranken Waldes, das meine Lehrerin heilte, immer noch ein starker Ort der Macht, der die Kräfte des gesunden Waldes empfangen konnte. Wäre dem nicht so gewesen, so hätte vielleicht die Kraft der Sterne helfen können - doch niemand von uns vermag sie wirklich sicher zu führen.


Zu Beginn des großen Unterfangens brachte meine Lehrerein zunächst die Kette aus Lebewesen in Position. Sie sollten sich hören können - noch besser, sie sehen sich. Der Zweck der Kette war zwar, den Herzschlag zu übertragen, doch erwies es sich auch in den ersten Schritten der Heilung als hilfreich. Die beiden benötigten Relikte, der brennende Funke des Lebens und das Emblem des Ewigen Kreislaufs mussten noch im gesunden Wald geweiht werden. Durch die Kette konnten sie schnell zum kranken Herz gelangen. Dort konnte der Funke das Herz erleuchten und den Hauch des Todes, der sich auf den Wald gelegt hatte, reinigen. Dann wurde das Emblem im Zentrum des Herzens platziert, um den Herzschlag zu empfangen.


Dann erklang der Herzschlag über dem Wald. Leise begann er im gesunden Teil und wurde von Lebewesen zu Lebewesen aufgegriffen und weitergegeben, bis er schließlich an seinem Ziel ankam. Meine Lehrerin erzählte mir, dass sie es war, die an einem Ort der Macht am Rand des Waldes nach ihm lauschte und so der Kette den Takt vorgab. Ich wunderte mich, warum sie nicht am Herzen selbst lauschte und sie meinte lachend, dass sie so viele Meilen gar nicht hätten verbinden können. Was zählte, war der richtige Takt und die Verbindung zweier Orte der Macht in beiden Wäldern. Dann, so sagte meine Lehrerin, wären es nur wenige Minuten gewesen, bis der Wald wieder im Einklang war. Ich hätte dieses Spektakel gerne gesehen und gehört - doch vielleicht sollte ich froh sein, dass es in meiner Lebenszeit nie notwendig war, dieses Unterfangen durchzuführen.”