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Über Ankorianer

“Blauer Himmel und zarte Wolken hatten wir heute Abend, doch im Wind, der die Zweige der grünenden Büsche bewegt, scheint es zu klagen. Das Leid, das ich an diesen Ankorianern sehe, zerrte damals ja gleichsam an mir, klagend wie der Wind, der die Zeltwände flattern ließ in meiner ersten dürftigen Zuflucht auf Mitraspera. Ich muss mit ihnen fühlen, erkenne ich mich ja selbst in ihnen wieder - Ach, könnte ich mit der sprechen, die ich einst war! Ich wollte ihr sagen, dass es eine Zukunft geben wird. Dass sie hier Freiheit finden wird, und Frieden, und Glück. Ein bescheideneres äußeres Glück, aber wie viel mehr selbst errungene Erfolge und innere Zufriedenheit! 

Nur den geflüchteten Ankorianern konnte ich das nicht sagen. Denn die Leute werden ihnen nicht die Chance auf Anerkennung gewähren, die ich hatte. Nicht wegen dem, was sie in der Vergangenheit taten - sondern, was sie NICHT taten: sich verteidigen. So war der lautstarke Tenor der einseitig geführten Debatte. Anstatt sich gegen die verhassten Herren von Ankor zu stellen, sagen die anderen, und den Vormarsch zu stoppen - Ja anstatt wenigstens ihren Hof bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, fliehen diese einfachen Leute mit Wagen voller Kindern, Hühnern und Hausrat.

Sie sieht niemand aus, der mitten in der Nacht vertrieben wurde, sagen sie. Ihre Habe ist ausgesprochen gut verpackt und vertaut. Man wundert sich, was es sein könnte, denn scheinbar ist das, was sie mit sich führen, zu groß für eine einfache Tasche. Möbelstücke? Gerätschaften? Warum verkaufen sie diese nicht, um sich eine eigene Verteidigung zu leisten? Warum führen sie womöglich die Armee Terra Ankors hierher, sodass sie aus Rachsucht auch über uns herfallen könnte, weil wir den Aufsässigen Obdach gewährt haben? Lange genug sind sie ja unterwegs gewesen, kannten den Weg. Hat sich da nichts Besseres, Näheres angeboten? Warum wollten sie so weit fort und in die Verbotene Zone des Schweigens? Es wisse doch jeder, dass dieser mysteriöse Bereich die Lebensspannen verkürzt.

Sie suchen ein friedvolles Leben durch anständige Arbeit, sagen die Ankorianer. Seien dafür bereit, Lebenszeit zu opfern, auch die ihrer Kinder. Das sei kein hartes Urteil, sondern lebensnotwendig. Nur dort könne man sich dem “Schauder” entziehen, wie sie die Wirkung der Königin von Ankor nennen. Selbst Tote soll sie mit diesem Schauder wieder erheben können. Daher auch ihre schwere Last - Sie wollen nicht, dass ihre Vorfahren als untote Diener wiedererweckt werden. Ihr Seelenheil verlieren.

Was, schreien die Leute auf, ihr habt eure Toten bei euch? Allen steht ins Gesicht geschrieben, dass sie in diesem Augenblick an die Macht der untoten Königin glauben. Wie groß muss die Angst sein, um die Vorfahren aus ihrer Ruhe zu reißen, sie durch das ganze Land zu tragen, ihre Körper umzusiedeln! Ich selbst möchte es zwar nicht wahrhaben, stelle mir aber nach den Schilderungen der Geflüchteten vor, wie willenlose Leichname von Rittern durch die verwaisten Straßen Terra Ankors reiten. Schauerlich!

Obwohl ich stets offen war für Entwicklungen im Namen des Fortschritts, würde auch ich solche Experimente “widernatürlich” nennen. Aus Forschereifer bis an die Grenzen dessen zu gehen, was die Elemente uns ermöglichen, mag einigen schon frevelhaft erscheinen. Ich zähle mich nicht zu ihnen und halte mich für gelassener. Aber die Gesetze der Ewigen zu brechen und ihre Gültigkeit zu leugnen, geht zu weit. Das wäre keine Wissenschaft, welche noch der Wahrheit der Welt verpflichtet ist - Es wäre sklavische Unterwerfung unter einzelne wahnhafte machttrunkene Personen.”