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Ankunft von Ankorianeren

Wie viel mir mein Werk bedeutet, wurde mir heute noch einmal neu bewusst. Auch wenn  ich mich hier gesellschaftlich gut eingerichtet habe, berührt mich der Alltag der Anderen doch wenig. Meine Forschung ist nicht auf die Bedürfnisse des täglichen Lebens gerichtet und sollte es nie sein. Selbst als ich in der ersten Zeit in unsere Zeltstadt gezwungen war, banale Aufgaben zu übernehmen, konnte ich trotz ihrer Nützlichkeit keinen Reiz für mich darin entdecken. 


Was mich betrifft, so will ich meine Lebenszeit einsetzen, um Erkenntnisse von Dauer zu schaffen, Nein, von Zeitloser Bedeutung. Unabhängig davon, wann mein Werk dereinst entdeckt und wofür es dann eingesetzt wird. Es liegt nicht in meiner Macht, das zu bestimmen. Aber der Gedanke, dass mein Werk weiterleben wird, gibt mir mehr Halt, als ich es mir bisher klargemacht habe. 


Der Anlass war unerwartet. Gestern wurden mir die geflüchteten Ankorianer vorgestellt, welche seit einiger Zeit im Mantel der Nacht in unserer Region ankommen. Ihr Ziel ist ausgerechnet die gemiedene Zone. Kein Ort, um zu siedeln aus meiner Sicht, und dennoch gab es großes Geschrei, man wolle sie nicht dulden. Am Ende hat man mich selbst genötigt, mir die Sache anzusehen, wohl darauf spekuliert, dass ich mich nicht zu Barmherzigkeit verpflichtet fühlen werde. 


Richtig gedacht, die Unabhängigkeit meines Standpunkts wusste ich mir all die Jahre zu bewahren und werde sie auch jetzt verteidigen. So sehe ich es nicht als meine Aufgabe an, jedem zu helfen, die vor der Herrschaft in Terra Ankor zu fliehen. Genauso wenig aber ist es meine Aufgabe, ihnen den Platz hier zu verweigern. Ich gebe nichts auf die Gerüchte, sie trügen selbst Schuld an ihrer Misere und hätten die Verfolgung verdient. Genug habe ich in den Kriegsjahren in Sarkan gesehen, um zu wissen, zu welchen Lösungen die Ehrenhaftesten Personen greifen, wenn sie keinen anderen Ausweg sehen. Ich werde diese Ankorianer nicht verurteilen, aber ich fühlte mich zuerst unwohl in ihrer Nähe und wünschte mir, sie nicht mehr ansehen und ihre heiser geweihten Stimmen nicht mehr hören zu müssen. Die Hoffnungslosigkeit schnürt ihnen die Worte ab. 


Immerhin erspart uns das die Kenntnis ihrer sicher grausamen Geschichte. Nur an ihren Gesichtern ist abzulesen, in welchen Abgrund sie sahen. Sie halten sich aufrecht, sorgen sich bloss um die Belange ihrer Kinder - aber ihr Blick ist unnatürlich offen und leer, wie auf einen fernen Horizont gerichtet. 


Auch die einfachen Leute, die hier leben, vermeiden es, sie anzusehen, wie ich bemerkte. So als würde von diesen Leuten ein böser Keim auf sie überspringen können. Ein trostloser Schatten scheint nicht nur um ihre Augen zu liegen, sondern sie ganz zu umgeben. Ich kenne nur zu gut diesen Fluch der Geflüchteten. Es fällt schwer mit anzusehen, wenn jemand so verloren und ohnmächtig, so ausgestoßen und abhängig von der Gnade Fremder ist,. Nichts können sie uns beiden, mit nichts bezahlen. Schlimmer noch, sie bringen die Erinnerungen zurück an unser eigenes Leid, rühren auch in meinen eigenen inneren an jede Stelle, an der mein Schmerz über das Verlorenen grenzenlos bleibt. Auch nach all diesen Jahren noch riss es mich heute Abend doch wieder hin und die Tränen stiegen so scharf und plötzlich in mir auf, dass ich mich rasch abwenden musste. Scheinbar die Abendsonne betrachtend. 


Kann man es den Leuten verübeln, dass sie nicht erinnert werden wollen? An den Vater, den man nicht mehr um Rat fragen kann. Die Mutter, deren Stimme nie mehr trösten wird. Oder dass ein Kind nie mehr einen solchen Sonnenuntergang auf seinem Gesicht spüren wird.