Direkt zum Hauptinhalt

Die Geschichte der Standarte des Sieges

Jahre nachdem Elgon seinen Aufstieg vollendet hatte, war es seiner Sippe erlaubt worden, Land zu erkunden um sich niederzulassen. Da es ein Aeris gefälliges Land sein sollte, suchten sie an der Küste nach einer neuen Heimat. Ein junger Krieger namens Sahid entdeckte eine Insel, welche er näher in Augenschein nehmen wollte. Am folgenden Tag schwamm er zu dem Eiland und erklomm die meerumspülten Klippen mit letzter Kraft. Oben an der Steilwand angekommen, brach der Jüngling zusammen und fiel in einen tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen erwachte Sahid und entdeckte eine Ebene mit mehreren Bächen und kleinen Flüssen. Das hohe Gras wiegte im Wind und er wusste, dies wäre eine neue Heimat für Elgons Sippe. Er verbrachte den ganzen Tag damit diesen Flecken Erde zu erforschen. Am Abend ließ er sich an einem flachen Ufer am Meer nieder und genoss den Sonnenuntergang. Hier richtete er sich für die Nacht ein und legte sich zum Schlafen nieder. Mitten in der Nacht erwachte er durch Geräusche. Ein schlürfendes Geräusch aus seinem Rücken ließ ihn herumfahren. Zwei Gestalten schälten sich aus der Dunkelheit. Im Mondschein sah Sahid die mannshohen Wesen, die nach keiner ihm bekannten Art waren. Sie hatten breite Hände, ähnlich wie bei Fröschen hatten sie Häute zwischen den langen Fingern, die Füße waren Flossen gleich und am merkwürdigsten fand er, waren die Tentakeln, die an Stelle eines Kinns in unterschiedlichen Längen am unteren Ende des Kopfes wucherten. Vorsichtig und leise schlich er von ihnen fort. Bei seinem Rückzug bemerkte er noch mehrere dieser Wesen die aus dem Meer langsam ans Ufer kamen. Eilig lief er durch die Ebene wieder zurück zu den Klippen um im Morgengrauen übers Meer zurück nach Tragant zu schwimmen.
Als er am folgenden Tag wieder in das Lager seines Stammes kam, berichtete er von der Insel und den komischen Wesen, die er beobachtet hatte. Elgon erzählte den anderen, dass es sich hier um sogenannte Ossip handelte, ein Volk, welches im permanenten Krieg mit den Elben läge. Seit Jahrhunderten ging diese Fehde bereits in die Geschichte der Traganter ein. Die Ältesten entschieden, dass sie das Volk, das ihnen hier eine neue Heimat bieten wollte, in diesem Krieg unterstützen würden. Da Sahid die Anzahl der neuen Feinde auf etwa fünfzehn schätzte, entschieden sie, dass eine Schar von wenigen Kriegern auf die Insel geschickt würde um die Tentakelwesen zu vernichten. Zeitgleich sollte ein Bote dem Archon der Elben von ihrer Entdeckung berichten.
Die ausgewählten Männer legten ihre Rüstungen ab um beim Schwimmen nicht behindert zu werden.
Siebzehn Krieger gingen ins Wasser um zur Insel zu schwimmen. In der Meerenge herrschte an diesem Tag ein rauer Wind, der die Wellen aufpeitschte. Als es dunkel wurde, waren alle an den Klippen angekommen. Die Krieger richteten sich ein kaltes Lager ein, denn der Schein eines Feuers hätte in der Ebene weithin gesehen werden können. Am folgenden Tag brachen sie auf um an den gegenüberliegenden Strand des Eilandes zu kommen. Als sie dort abseits des vorherigen Lagerplatzes von Sahid ihr Lager aufschlugen, waren sie sehr vorsichtig um ja nicht von den Ossip überrascht zu werden. Zu viert hielten sie in unterschiedlichen Schichten Wache um sich nach den Anstrengungen etwas auszuruhen.
Als der Mond seinen höchsten Punkt erreicht hatte, hörten die Wachen eine Änderung im Rauschen der Wellen an dem sandigen Ufer. Sie sahen, wie drei der Wesen aus dem Meer kamen und sich umsahen. Schnell waren die Wächter dazu übergegangen, die übrigen Krieger zu wecken. Sogleich machten sie sich daran ihre Waffen kampfbereit zu machen. Nach einigen Minuten standen mehr als ein Dutzend Ossip am Strand. Nachdem sich keine weiteren Feinde mehr zeigten, verteilten sich die Naldarianer lautlos um den Feind zu überraschen. Der Ruf eines Kauzes ertönte in der Stille der Nacht und die Krieger gingen zum Angriff über. Mit ihren Klingen stürmten Sie auf den Feind zu. Als die Meeresbewohner die nahenden Krieger erblickten, griffen auch sie zu den Waffen und eines der Wesen hob eine Muschel an sein Maul und ließ einen tiefen, dumpfen Ton erklingen. Kurz darauf war das Wasser am Strand in Bewegung und eine Vielzahl der Wesen kamen an Land. Die Krieger hatten bereits einige der Kreaturen niedergemacht, als sie die Neuankömmlinge bemerkten. Gegen diese Übermacht hatten sie nicht den Hauch einer Chance und daher zogen sie sich schnellst möglich zurück. Während sie sich zurückzogen, gelang es den Ossip sie immer näher an das Ufer zu drängen. Schon sah man in den Wellen erneute Bewegungen und dunkle Punkte zeigte weitere schreckliche Wesen, die nur darauf warteten, dass die Krieger die Füße ins Wasser setzten um zu vollenden, was ihr Brüder an Land begonnen hatten. Die letzten Tage des Trupps waren gezählt und das wusste jeder Einzelne der Naldarianer, die sich tapfer durch die Massen schlugen. Ein verlorenes Unterfangen. Einer nach dem Anderen fiel auf dem Schlachtfeld bis das Morgengrauen einen leeren Strand in neues Licht tauchte. Die Ossip hatten sich zurückgezogen und die Leichen der tapferen Männer trieben auf das offene Meer hinaus. Niemand kehrte an diesem Tag zurück.
Als bis zum Abend keiner heim gekommen war, war für die Naldarianer klar, dass der Angriff gescheitert war. Die Trauer und der Schrecken die das Volk überfielen, waren groß und die Gebete zu Aeris waren voller Kummer. Elgon saß lange mit Sahid da. Nur die Naldarianer würden wenig ausrichten können, das war beiden klar. Große Kämpfer waren unter ihnen und doch waren sie Wenige an der Zahl. Die Verluste der vergangenen Nacht wogen sehr schwer, zumal keiner abschätzen konnte, wie viele Feine letztendlich bezwungen werden mussten. War das Land es wert? Sollten sie lieber weiter zwischen den Elben leben? Das wollten sie aber doch auch gar nicht aufgeben. Aber jeder ihres Volkes sehnte sich nach einem würdigen Platz für den hohen Tempel von Aeris, den sie alle aus tiefstem Herzen vermissten. Eine neue Heimat für ihr Volk. Eine Heimat, die die Handschrift der Naldarianer trug und ihnen aus der Seele sprach. Was sollten sie also tun? Ein entschlossener Ausdruck trat auf Elgons Züge und er erhob sich. „Ich werde etwas unternehmen, das uns den Sieg bringen wird!“ sprach er und die Zuversicht, die er ausstrahlte, griff bald auf die anderen seines Volkes über. Elgon ging und war drei Tage und Nächte nicht mehr gesehen. Als er zurückkehrte, schritt an seiner Seite Luranor. Ein Hohepriester der Elben war er. Seine harten Züge, die doch etwas ausstrahlten, das Hoffnung in dunkelster Nacht war, wirkten entschlossen. Einige Stunden nachdem Elgon Luranor zu seinem Volk gebracht hatte, versammelten sich weitere Elben. Krieger in voller Rüstung und feingliedrige Bogenschützen mit den Augen eines Falken. Sie ließen sich am Rande des Lagers nieder und warteten.

In der Abenddämmerung hatten sich alle Naldrianer und Elben versammelt und standen in größer werdenden Kreisen auf dem großen Lagerplatz. In der Mitte der Kreise erhob sich eine Standarte, die alle anwesenden um Manneslänge überragte. Sie war mit kostbaren Mustern bestickt, die sich immer wieder zu verändern schienen. Sie flossen ineinander und trennten Zeichen für Zeichen bis sie wieder zu einer Masse verschwammen, nur um erneut zu verfließen. Ein tiefer Gesang schwoll an und die Kreise schienen zu pulsieren, obwohl sich niemand bewusst bewegte. Hatemi, die alte Priesterin der Naldarianer, und Luranor, die in der Mitte standen, hoben die Hände zum Himmel und riefen ihre Gebete in die eingebrochene Nacht.
Die Luft begann zu flirren und als sie sich dem Höhepunkt der Gebete näherten, schoss gleißendes Licht aus jedem der Kreise in die Schwärze der Nacht. Eine Säule aus Licht, das immer wieder von Wirbeln und Luftströmen durchzogen schien, legte sich um die Standarte. Ob es Stunden oder nur Minuten waren, die verstrichen, konnte keiner sagen, denn die Gedanken Aller erfassten ausschließlich die Standarte. Das Licht erlosch und die beiden Priester sanken erschöpft zu Boden und doch schienen beide zufrieden mit ihrem Werk.
Am nächsten Tag zogen sie aus. Boote setzten zu dem Eiland über und brachten die Krieger auf das Land, das noch in dieser Nacht eine Entscheidung erleben würde. Anscheinend hatten die Ossip die Boote bemerkt, denn mit Einbruch der Dunkelheit waren sie da. Kreaturen, die einem Albtraum entsprungen zu sein schienen. Doch dieses Mal waren die Naldarianer und Elben vorbereitet. Die Standarte erhob sich groß und drohend über dem Felde und führte den Angriff an, der der Erste und der Letzte sein sollte. Jetzt würde eine Entscheidung fallen. Sie drangen auf die Ossip ein als wäre der Sturm selbst in ihre Glieder gefahren.
Ein jedes Schwert mähte mit beinahe jedem Streich einen Gegner nieder und das dunkle Blut des Feindes lief alsbald über den Strand ins Meer, aus dem die Kreaturen gestiegen waren. Keiner wurde in dieser Nacht verschont. Ein Ossip starb, als ihm eine Klinge das rechte Auge durchbohrte und ein Anderer sah den Streich, der sein Schicksal besiegelte, noch nicht einmal kommen. Die Standarte wehte über dem Kampffeld im Wind des Meeres und ein leichtes Glimmen schien von den Schriftzeichen auszugehen, die sich noch immer dem Auge nicht gänzlich zeigen wollten. Als der letzte Feind zusammensackte, stand die Erschöpfung in jedem Gesicht. Verluste waren zu beklagen, und doch waren das Wenige im Vergleich zu den Toten der Tentakelwesen, die über den ganzen Strand verteilt lagen. Der Sieg war errungen. Der Preis war zwar hoch gewesen, aber in dieser Nacht wurde das Land geboren, das nun den Aeris Tempel trägt. Die Standarte war zum Symbol für das neue Leben der Naldarianer geworden in dieser Nacht auf dem Eiland.
Die Standarte des Sieges.