Das Versprechen
Der Winter als Jahreszeit war noch jung und von vielen gefürchtet, als ein kleiner Junge mit nackten Füßen und zitternden Händen durch die Straßen einer großen Stadt stolperte. Kälte und Eis waren übermütig in ihrem Spiel. Der Schnee biss den Jungen in Zehen und Finger, die Schneeflocken tanzten in seinem Haar und der Wind rief laut nach ihm, doch der Junge wollte nicht hören. Laute Worte hatten ihn sein kurzes Leben lang verfolgt und er hatte gelernt sich davor zu hüten. Fortgelaufen war er, einfach nur fort, einem inneren Drang folgend. Nach vorne, nur nicht zurück.
Da ging nun der kleine Junge mit seinen nackten Füßen, die ganz rot und blau vor Kälte waren, durch die Kälte und Finsternis. Die Straßen waren leer, nun, da die Nacht hereingebrochen war. Der Wind wanderte als Einziger durch die Straßen, nur hier und da drang Lachen aus den steinernen Wohnhäusern und Tavernen. Erschöpft kauerte sich der Junge in einen Winkel zwischen zwei Häusern, von denen das eine etwas weiter in die Straße vorsprang als das andere. Zurück konnte und wollte er nicht, zurück an den Ort wo die Liebe nicht lebte und nur Schläge auf ihn warteten. Lieber allein in der Kälte bleiben. Die kleinen Hände jedoch waren fast erstarrt, daran änderten auch Stolz und Hochmut nichts. Der Junge steckte die zitternden Finger in die Taschen seines Gewandes, damit er sie sich etwas erwärmen dürfte, als die vereisten Fingerspitzen überraschenderweise auf etwas stießen. Drei Zündhölzer! Ach, was würden die guttun!
Rrrtsch! Wie es sprühte und brannte! Es war eine helle, warme Flamme, wie ein kleines Licht, als er die Hände darüberhielt; es war ein wunderbares Licht! Es schien dem kleinen Jungen wirklich, als säße er vor einem großen Lagerfeuer und das Rauschen des Windes klang plötzlich nach den schönsten Melodien, die man je gehört hatte! Das Feuer brannte so schön und wärmte so gut. Der Kleine streckte schon die Füße aus, um auch diese zu wärmen – da erlosch das Flämmchen erbarmungslos, das fröhliche Lager verschwand und er hatte nur die Überreste des abgebrannten Hölzchens in der Hand. So schön es gebrannt hatte, nun war es vergangen. Nur die Melodie des Windes war geblieben.
Ein zweites Hölzchen wurde angestrichen; rrrtsch, es leuchtete und wärmte und brachte Hoffnung, und wo der Schein auf die Mauer fiel, wurde sie durchsichtig und dahinter sah der Junge die herrlichsten Speisen. Herrlich gebratene Dinge, Äpfel und getrocknete Früchte, dampfenden Tee. Doch als der Junge nach dem Bild greifen wollte, das die Flammen ihm malten, verbrannte er sich nur die Finger. Das zweite Zündhölzchen erlosch, und es blieb nur die dicke, feuchtkalte Mauer zurück.
Das letzte Hölzchen, der letzte Rausch, die letzte Flucht. Es brannte, es zischte, wisperte wunderschöne Versprechen und am Ende blieb doch nur der Schmerz der Verbrannten und kalte Asche auf totem Holz.
Der Junge sah der Flamme beim Sterben zu, als er hinter der dünnen Rauchsäule plötzlich etwas anderes bemerkte. Ein paar tiefblaue Augen schwebten zwischen den tanzenden Schneeflocken. Träumte er etwa noch immer?
„Oh, nimm mich mit! Ich weiß, du bist fort, wenn das Zündhölzchen erlischt, du verschwindest wie alles was es versprach, doch bitte nimm mich mit!“
Da gesellte sich eine weibliche Stimme zu den blauen Augen, die neuen Tatendrang in dem jungen Herzen weckte. „Ich gehöre nicht den Flammen und ich verspreche nichts.“, sagte sie bestimmt. Eine Gestalt schien mehr und mehr aus dem Schnee zu wachsen. „Na, komm.“ Eine Hand streckte sich aus all dem Weiß dem Jungen entgegen. „Der Winter gehört Aeris, er verlangt Wandel, du darfst ihm nicht mit den gleichen Waffen begegnen wie dem Sommer.„ Die Hand machte eine auffordernde Bewegung. „Na, komm. Bei uns passt ein kleiner Wanderer wie du gut dazu.“
Jetzt erst begriff der Junge, dass weiße Kleidung und Turban die Fremde im Schnee verborgen hatten. Rasch und fast wie im Traum ergriff er die behandschuhten Finger. Bald schon fand er sich in den wärmenden Armen der Fremden wieder und unter ihrem rettenden Mantel geborgen, machten sich der Junge und die Naldar auf den Weg.
Verlassen lagen die Straßen wieder da und vergessen waren die Zündhölzchen, die alsbald unter dem dicht fallenden Schnee verschwanden.
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