Kariss' Aufzeichnungen
Endlich haben wir uns von ihnen befreit. Der Wunsch nach Erkenntnis hatte nur zu ihnen geführt, die Sehnsucht nach Freiheit gab uns die Kraft uns wieder von ihnen zu trennen. Doch unter dem, was sie mit uns getan haben, werden noch Generationen unseres Volkes leiden. Womöglich wird ein ewiger Makel auf unseren Seelen haften, der uns an unseren Verrat gegenüber unseren Schöpfern erinnert. Mein persönliches Schicksal wird bald enden. Zu tief sind meine erlittenen Wunden, erlitten im Kampf gegen jene, die uns einst Großes versprachen, uns lockten, uns blendeten, um uns schließlich zu missbrauchen, zu quälen und zu behandeln wie ein Werkstück, an dem man so lange feilen, hobeln und schmieden kann, bis sie genau dem entsprechenden Zwecke dienlich seien. Jetzt sind sie gebannt, die Toria mit ihnen. Welch tragische Entwicklung – der wahrscheinlich die beste Weg für Mitraspera. Die restlichen meines Volkes sind bereits fern von diesem Ort. Aus Angst vor dem Zweifel, gebe ich diese Zeilen an die Wächter des Siegels – denn ob man unseren Seelen den Keim des Zweifels eingeflößt hat, ich weiß es nicht. Ich traue niemanden meines Volkes mehr. Bei all den Experimenten, die sie mit uns durchführten, scheint es mir nicht unmöglich. Allein der Gedanke daran hindert mich mit den anderen Edalphi von hier weg zu ziehen.
Sollte sich jemals jemand anschicken, sich des Schicksals unseres Volkes anzunehmen, die Makel von unseren Seelen zu nehmen, muss sich mein Volk dennoch stets darüber im Klaren sein, dass wir selbst es waren, die die Schuld an diesem Makel tragen.
Wir waren es selbst, die sich vom Zweifel haben verführen lassen. An jene, die sich unseres Makels annehmen, richten sich diese Zeilen. Lange Zeit war ich, wie viele meines Stammes (Palan) sehr skeptisch gewesen, ob der Weg des Zweifels der richtige für das Volk der Edalphi sei. Doch Ahat Decyrmiron überzeugte letztlich auch mich und die übrigen Palan. Es war der Anfang vom Ende. Einige wenige erkannten früh, dass Sim Sin'Karaleth und Ahat Decyrmiron schon von Beginn an fürchterliche Dinge mit den Toria angestellt hatten. Nach einiger Zeit, als wir bereits den entscheidenden Schritt in Richtung der Urzweifler gegangen waren, begann sie an uns anderen mit den selben Grausamkeiten. Eben auch an mir.
Erstaunlicherweise redeten sie sehr oft miteinander, während ich dabei war. Daher bin ich eben auch erst in der Lage darüber zu berichten, was sie genau mit mir machten oder zumindest über die Dinge, die sie preisgaben.
Als sie mich zum ersten Mal in ihre Versuchsräume brachten, war mir noch nicht klar, dass ich bei Weitem nicht der einzige Edalphi hier war und auch lange nicht der letzte gewesen war. Doch das wurde mir dann schon relativ bald bewusst. Zwar lag ich dort zunächst alleine auf einer Pritsche, doch den Apparaturen und Instrumenten sah man an, dass sie an mir nicht zum ersten Mal eine Verwendung fanden. Ab und an hatten die anderen Diener der Urzweifler auch vergessen, die letzten Blutreste vom Boden zu wischen oder einen abgerissenen Kleidungsfetzen am Boden übersehen. Am deutlichsten und gleichzeitig am fürchterlichsten wurde diese Erkenntnis an jenem Tag, an dem ich sogar ein paar Nuraam (goldene Böppel der Edalphi), eingelegt in einer durchsichtigen Flüssigkeit sah, welche sie wohl einem oder einer Edalphi abgeschnitten haben mussten. Nach und nach realisierte ich ebenfalls, dass es eine Unmenge solcher Räume gegeben haben muss. Doch in all der Zeit, bekam ich dort nie andere Edalphi zu Gesicht.
Über ihre Existenz hatte ich lediglich eine Ahnung. Diese Ahnung war es, die mir half die Gespräche von Ahat Decyrmiron und Sim Sin'Karaleth zu begreifen, die mir zu vor so kryptisch vorgekommen waren.
Was sie mit uns machten, verursachte kaum merkliche körperliche Schmerzen. Dennoch erschütterten ihre Experimente an unseren Seelen ganz deutlich spürbar alles, was unsere Leben lebenswert machte. Den Einfluss der Apparaturen, Tränke und Operationen auf meinen Geist kann ich kaum in Sprache fassen. Denn alle Worte, die ich dafür finden kann, beschreiben normale weltliche Erfahrungen und sind schlicht zu schwach – die verderbte Gefühlswelt, der verrückte Verstand – der geringste Gedanke an diese Momente treibt mir einen fürchterlichen Schauder über den Rücken. Ich möchte nicht wissen, wie sich diejenigen fühlen, bei denen die Experimenten der Urzweifler mehr Erfolg hatten als bei uns Palan – und nicht zu reden davon, wie sich die Toria fühlen müssen.
Ihr Ziel war von Anfang an gewesen unsere Seelenfäden von der Seele des Landes vollständig abzutrennen. Von dem, was ich aus ihren Gesprächen verstand, hatten sie schon ab dem allerersten Tag, an dem die Toria auf ihre Seite gewechselt waren, mit den Versuchen begonnen.
Offenbar müssen sich die Strukturen der Seelenfäden von Stamm zu Stamm stark unterscheiden, denn sie konnten nicht an allen Edalphi die gleichen Verfahren und Methoden anwenden, wie ich aus den Gesprächen heraus deutete. Was jetzt genau die Seelenfäden voneinander unterscheidet, das kann ich nicht sagen. Jedenfalls müssen die Unterschiede so eklatant gewesen sein, dass sie wohl bei uns Palan offenbar keinen einzige Erfolg verzeichnen konnten.
Durch einen Zufall muss es passiert sein, dass es ihnen eines Tages gelang, den Seelenfaden einer Toria zu spalten, in eine geistige und eine körperliche Hälfte. Dieser Moment bedeutete für ihre Versuche den Durchbruch. Kurz danach gelang es ihnen bereits in einem nächsten Schritt von jener Toria die geistige Hälfte des Seelenfadens vollständig von der Urseele zu kappen. Stück für Stück riefen sie alle Toria, Lod, Shiam und Iphael zu sich und vollzogen diese Maßnahme an ihren Seelen. Doch nur die Spaltung gelang ihnen an allen außer uns. Offenbar lag es an der unterschiedlichen Beschaffenheit der Seelenfäden, dass wir einerseits davon verschont geblieben waren und andererseits die Toria die einzigen waren, bei denen die Trennung letztlich gelang.
Viel schlimmer noch: Die Urzweifler schafften es sogar, ihre Seelen vollständig von der Seele des Landes zu trennen – zu einem Zeitpunkt, an dem sie gerade dabei waren, die geistigen Seelenfadenhälften der anderen auf eine Trennung vorzubereiten. In diesem Moment wurde uns allen blitzartig klar, wie sehr wir den Elementen und unseren Schöpfern fehlgegangen waren. Es gab für uns jetzt nur noch den Weg zurück, insofern uns unsere Schöpfer hätten verzeihen können.
Der Anblick unserer Ra und Di (Brüder und Schwestern) vom Stamme der Toria gab uns die letzte grauenvolle Vision unseres Frevels, aber auch gleichzeitig den entscheidenden Anschub für unsere Flucht. Wir wollten auf keinem Fall so enden wie sie. Nun sind sie gesiegelt und wir fern von ihnen. Merkwürdig, kurz vor der Siegelung verspürte ich einen heftigen Ruck durch meinen gesamten Körper ziehen. Seitdem kommt mir jeder kleine Augenblick wie eine halbe Ewigkeit vor und es ist, als sei ich seither schon um Jahre gealtert. Dabei dauerte die Zeit, die ich bereits hier unter diesem Baum liege noch nicht länger als erst wenige Tage.
Aber vielleicht ist es auch nur der nahende Tod, der meine Wahrnehmung vernebelt. Ich hoffe irgendjemand mit meinen Aufzeichnungen helfen zu können.
Hoffentlich ist es für mein Volk dann noch nicht zu spät.
Gez. Kariss vom Stamme Palan
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