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Über die Kampftaktik der Naldar

Eine Niederschrift der Schilderung eines Naldar-Angri˙s, wie ich sie von Mellion, einem Waldlaeufer im Gefolge Paolo Armatio’s, vor Kurzem am Lagerfeuer hoerte. Die Luft war kristallklar und eisig Kalt. Selbst der letze Tropfen Wasser schweb-te als Schneekristall zur Erde und huellt nun deren Anlitz in unschuldiges Weiss. Der Schnee glitzerte noch vertaeumt im ersten Licht des anbrechenden Tages und es herrschte Stille - Totenstille.

Neruhn’s Atem bildete kleine Dunstwolken, waehrend seine Augen ueber den eini-ge Meter schraeg unter ihm liegenden Weg wanderten. Hier soll es geschehen! Sein Blick schwenkte ueber seine von einem silbern glaenzenden Kettenhemd geschuetzte Schulter und musterte seine gespannt wartenden Maenner und Frauen. Sie waren alles, was ihm noch geblieben ist, denn Jahr fuer Jahr nimmt die Zahl der Naldar und auch die Zahl seiner Truppen ab. Wie lange werden sie die Siegel noch schuet-zen koennen? Wie lange werden sie dem immer maechtiger werdenden Schwarzen Eis noch die Stirn bieten koennen?
Neruhn Sturmreiter wurde aus seinen Gedanken gerissen, denn seine Ohren vernah-men das nahende Klappern von Hufen und das Knarren von hoelzernen Speichen. Der lang ersehnte Versorgungskonvoi erschien endlich rechts hinter der Huegelkuppe und bewegte sich gemaechlich auf die gut verborgenen Naldar zu. Neruhn press-te seinen angespannten Koerper gegen den felsigen Untergrund und mahnte seine Maenner mit einer kurzen Geste das selbe zu tun. Da war sie wieder, die toedliche Stille, die scheinbar selbst die knurrenden Maegen der Maenner und Frauen verstum-men liess.
Das Blut pochte bereits vor Aufregung in Neruhn’s Schlaefen, doch er zwang sich noch einige Augenblicke zu warten, waehrend der Konvoi beinahe vollstaendig an ihm vorueberzog. In seinem Nacken spuerte er foermlich den heissen Atem seiner et-wa fuenf Dutzend Mann, die mit lauter bis an den Anschlag gespannter Boegen hinter der Anhoehe im frischen Schnee lagen und darauf warteten ihre Pfeile mit toedlicher Sicherheit ins Ziel zu schicken.
Sturmreiter hob endlich seine Hand. Nur eine Radumdrehung noch. Die Pferde schnaub-ten unruhig durch ihre Nuestern, als ihre tierischen Instinkte sich der drohenden Gefahr bewusst wurden. Der Augenblick war gekommen! Neruhn’s Hand schnellte nach unten, und die Stille wurde durchbrochen vom verheissungsvollen Sirren dut-zender toedlicher Pfeile die den stahlblauen Himmel durchstreiften. Ein Pfeil bohrte sich tief in die Brust des Kutschers. Und noch bevor sein leblos zusammensackender Koerper den Boden erreichte, traenkten die ersten Tropfen Essenz seiner bewa˙neten Begleiter den Schnee in dunkles Blau. "Wo war nun euer Sharoun-Ar?"dachte sich Neruhn Sturmreiter und zerschmetterte das Knie eines Rakh ehe sich dieser bewusst wurde, was eigentlich mit ihm geschah.
Das Schicksal nahm seinen Lauf. Und ebenso schnell, wie alles begonnen hatte, war es auch wieder vorbei. Neruhn wischte im Schnee das Blut von seinem Schwert und blickte auf die bis an den Rand beladenen Karren. "Das wird die Truppen des Schwar-zen Eises ho˙entlich empfindlich tre˙en und uns ein, zwei vielleicht sogar drei Wo-chen Zeit erkaufen, bevor der Verlust ersetzt werden kann."liess er seine Gedanken schweifen und bedeutete den Maennern, die Wagen zu entladen.
Kurz darauf zog sich eine Kolonne schwer beladener Naldarianer hinauf zu einer hoeher gelegenen Stelle im Gebirge und zurueck blieb ein Festmahl fuer die Raben.