Tagebucheintrag 5
“Mir wurde langsam klar, dass der warme Wind nur von mir erdacht wurde und wohl doch kein Zeichen des Wohlwollens der Götter.
Vorbei, zerrissen, allein.
Meine Crew fand mich am Ufer stehend, den Blick hinaus auf die unruhige See gerichtet. Ich hörte sie nicht kommen und sie missdeuten meine fehlende Reaktion als überlegene Distanz und Sicherheit. Sie kann ich augenscheinlich noch täuschen. Mich selbst aber nicht. Sie berichteten mir von ihrer Fahrt Richtung Heimat und dass unser Boot in einer der Buchten auf uns alle wartet, und ich konnte nur tun, als wisse ich das längst. Keine Zweifel machten sich in ihren Gesichtern breit. Kein Auge verschmälerte sich vor Unglauben. Ich ging gemeinsamen Schrittes mit ihnen mit. Gab vor, von meiner Wiederkunft noch verlangsamt zu sein, und folgte ihnen zu meinem Boot. Ist es noch mein Boot? Darf ich mich noch Segelherr nennen, wo ich doch jede Verbindung zu meinem Boot verloren habe? Meine Hand fuhr, ungesehen von allen, über das Holz der Reling und mein Geist suchte nach dem vertrauten Gefühl des Einssein. Mein Boot war mir Gefährtin, achtete auf mich, so wie ich auf sie, und war mir fester Grund auf stürmischer See. Ich konnte ihren Willen lesen, wusste um ihre Eitelkeit, ihren Unmut, aber auch um ihre Freude, wenn die Gischt uns hoch in die Sonnenhimmel trug. Dann konnte ich sie fast hören und nun ist sie verstummt. Ich höre ihre Stimme nicht mehr. Mir wurde eiskalt, als hätte Fufruun mich ein letztes Mal umarmt. Es schien, als wäre ich der Einzige, der mit seinem Versagen zu kämpfen hatte. Ich fühlte mich wie vor dem letzten Kampf auf dem Geisterfelsen. Meine Besatzung begegnet mir mit dem gebührenden Respekt, welchen ich von ihnen gewohnt bin. Nichts deutet darauf hin, dass sie an mir zweifeln, oder gar, und dies war ein Gedanke, welcher gereift, gut genährt war, inzwischen einen anderen, gar besseren Segelherren unterstellt sind. In weiteren Gesprächen versicherten sie mir, dass sie sich auf die bald anstehende Fahrt mit mir als Segelherr bereits vorbereiten, da die Frostwolf bereits in einer nahen Bucht auf uns wartete. Diese Worte wärmten mich, sie zerstreuten die Zweifel, dass sie mich als ihren Segelherren nicht mehr anerkennen würden.
Ich durfte mir vor meiner Besatzung keine Schwäche anmerken lassen. Die kräftigen Schulterschläge und das beherzte Lachen meiner Kameraden tönen mir noch immer in den Ohren. Sie glauben mir, sie glauben an mich. Wie kann es dann sein, dass ich das Schiff, an welches ich mit Göttersegen gebunden war, auch in den einsamsten Momenten der Nacht nicht mehr spüren kann?
So begann ich des Nachts die Frostwolf zu durchwandern. Sie schien in einem, für die lange Zeit des Wartens, sehr guten Zustand, jedoch hier und da war ihr Rumpf von scharfen Felsen beschädigt und es hatten sich schon einige Muscheln an das Holz geheftet. Vielleicht konnte ich so meine Verbindung wieder erstarken lassen. Ich machte mich an die Ausbesserungen, schabte die Muscheln vorsichtig in ein Gefäß, welches ich bei mir trug und tauschte die beschädigten Planken. Mit der Dämmerung des neuen Tages erstrahlte die Frostwolf wieder in ihrer alten Schönheit, doch auch wenn ich mich während der Arbeit wie früher eng mit ihr verbunden fühlte, in mir selbst herrschte noch immer Schweigen ohne Wiederhall“
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