Tagebucheintrag 4
“Das Gespräch mit der Nebelsängerin tat mir gut. Sie bekräftigte mich , dass ich doch nicht verlassen bin. Durch meinen Heldenmut und Stärke im Kampf wird die Gunst der Götter wieder erstarken. Ich kann es bereits vor mir sehen. Ich, der Segelherr der Frostwolf, mit meinen loyalen und kampfeserfahrenen Flutgeborenen hinter mir. Wie wir von meinem Schiff herabschreiten werden und wir mit unseren fellbesetzten Mänteln durch die dichten Reihen der schwachen Atteroner schreiten und klaffende Lücken schlagen. Wie meine Waffe mit Feindesblut getränkt singend Gliedmaßen abtrennt und ich mit Korvaars Feuer in mir meine Feinde besiegen werde.
Die Götter müssen doch wissen, dass ich stark bin. Sie haben mir diese Stärke gegeben und sind mir noch immer gewogen. Und doch, dunkle Träume plagen mich auch weiterhin. Ob ich ein weiteres Mal Smilla aufsuchen soll, um meine Zweifel erneut zu zerstreuen? Nein, gerade sie wies mich an, Stärke zu zeigen.
Ich muss an ihre Worte glauben, und daran, dass die Gunst der Götter nicht verloren ist. Meine Zweifel und Sorgen wurden mir gewiss durch dieses verfluchte Grünzeug eingepflanzt. Dieser Keimling wird noch ein letztes Mal meine Axt zu spüren bekommen. Und nachdem meine vom Eber geschlagene Wunde vollends verheilt ist und eine schön grässliche Narbenwulst an meinen Kampf erinnert, beginne ich unruhig zu werden. Es ist Zeit, wieder in See zu stechen. Ich muss meine Stärke und meinen Mut vor den Göttern beweisen. Ein Kampf muss geschlagen werden. Ein Sieg für die Götter und für mein Dorf. Ich wanderte zu den Küsten unseres Landes. Hier sollte doch mein Schiff voller Sehnsucht auf mich warten, damit sie ihren Segelherren erneut empfangen kann. Nichts! Wie schon in meinen dunklen Träumen, holte mich kein Schiff ab. Lange hätte es schon da sein sollen. Meine Mannschaft begierig ihren Fels, ihren Segelherren abzuholen. Aber kein flatterndes Tuch hatte den Horizont durchbrochen. Kein hölzernes Knarzen hallte von den Felsen wieder. Mein Blick geht hinaus auf die endlose See und der Schrei der Möwen verhöhnt mich. Klein! Klein! Klein!...rufen sie, diese Boten der blauen Weite, und meinen damit mich, der nach seiner einstigen Größe sucht. Mein Boot, das ich immer spüren konnte, jetzt scheint das Band zerrissen, das uns verband. War es das Messer des Zweifels, das es zerschnitten hat? Ist es meine Unsicherheit? Ich, der ich mich nicht mehr wie der Fels in der Brandung fühle, kann ich mein Schiff überhaupt noch rufen? Kann ich meine Mannschaft führen? Was geschieht, wenn sie sich an mich lehnen wollen und merken, dass ich wanke?
An diesem Tag übermannten mich die Wut und die Zweifel. Ich konnte nicht mehr an mich halten und fällte einen jungen und doch schon starken Baum allein mit meinen Fausthieben. Meine blutigen Knöchel bedeckte ich mit etwas Moos. Ich wollte nicht erneut zur Nebelsängerin, da ich sonst Gefahr lief, dass sie meine immer größer werdende Verzweiflung sah.
Tag für Tag wanderte ich zu den Küsten. Immer die Hoffnung darauf gesetzt, noch von der Frostwolf abgeholt zu werden. Doch ich wartete vergebens und hörte nur wieder diese elenden Vögel. Klein! Klein! Klein!...schrien sie zu mir hinab.
Hat die Frostwolf einen neuen Segelherren? Ich versuchte die göttergegebene Verbindung mit meinem Schiff zu erspüren. Ich war mir nicht sicher, ob da etwas war oder mir Askalaar einen Streich spielte. War der warme Windhauch an den eiskalten Küsten ein Zeichen, oder war es nur ein Wunsch?
Weißt Du, Du lästige Sammlung meiner Gedanken, ich stellte selbst irgendwann meinen Titel in Frage. Was heißt es denn schließlich, Segelherr zu sein, wenn man selbst kein Schiff hat oder wenn selbst mein Schiff sich von mir abwandte? Hat dieser blaue Mantel denn noch eine tiefere Bedeutung, außer der Erinnerung an mein Versagen? Bin ich schlussendlich nur noch ein Segelherr der Worte? Wie lange kann ich dieses Spiel noch weitertreiben? Wer soll mich noch als auserkorener Herr eines Schiffes ansehen? Das ganze Dorf wird sich bald über mich lustig machen.
Diese Zweifel nagen immer tiefere Wunden und die dunklen Träume kehren immer öfter zurück. Wie in einem kräftigen Strudel drohe ich langsam in ihnen zu ertrinken. Wie soll ich noch mehr Stärke zeigen, wenn alles mich bereits verlassen hat? Ich darf trotz allem nicht aufgeben! Ansonsten verwirke ich noch die letzte Möglichkeit, auf einen Platz an der Tafel meiner Ahnen.”
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