Tagebucheintrag 2
“Ein paar Tage sind vergangen, seit ich mich Dir zuletzt anvertraut hatte. Ich ging, wie ich zuletzt geschrieben hatte, mit einigen Jägern aus meinem Dorf in das schwarzgrüne Herz des Waldes, um einen der großen Eber zu jagen, die in ebenjenen Tiefen leben. Wie ich gehofft habe, konnte ich mich mit einem wilden Gebrüll und Korvaars Namen auf den Lippen in einen Kampf stürzen. Die Geräusche des Ebers, sein knurrendes Grunzen und das schwere Keuchen während er mit mir rang, das tönte mir noch lange in meinen Ohren. Und Gerüche. Die feuchte, schwere Erde während des Kampfes aufgerissen und der kräftige moschusartige Geruch des Tieres. So muss sich ein Kampf anfühlen. Bei den Göttern, endlich habe ich mich wieder wie ein Skarge fühlen können. So lebendig und voller Vertrauen, dass ich im Namen meiner Götter siegen werde. Mein Leben gehört den Göttern. Mein Schicksal wird von den Nebelsängern besungen. Mein Blut gehört Rhînland. Dieses Wissen hat mich durch alle Stürme getragen, die im Leben, die im Tod und auf See. Nie habe ich daran gezweifelt.
Und dann, einer meiner Gefährten feuerte mich gerade besonders an, ich war kurz davor, geradezu in einen Blutrausch zu geraten, dieser verdammte gesalzene Eber stieß mir, als ich mit ihm rang, einen seiner Hauer in meine Seite. Dieses Schmatzen zerrissen Kleidung und der Geruch nach Eisen, als mein Fleisch riss. Und das Gefühl, als würde die Luft aus den Lungen gesaugt werden. Als mich der Eber mit seinem Hauer durchstoßen hatte, konnte ich fühlen, wie mein Leben aus mir herausfloss und auch wenn ich im Kampfe schon oft, ja oft, verwundet wurde, dieses Mal fuhr die Furcht durch meinen Körper. Die Furcht davor, erneut in den Nebeln zu wandern. Diesmal ohne Wiedererwachen. Ein letztes Mal. Auch wenn ich die Namen meiner Götter stets auf den Lippen habe, es fühlt sich leer an, ohne Rückhall. Wie wird es sein, wenn ich ein letztes Mal in den Nebeln wandere, ohne Ewigkeit, ohne Ausweg. Verlassen, so wie ich es schon einmal erlebt hatte.
Aber nein, so etwas darf mich nicht zweifeln lassen. Nicht mich, den Segelherren der Frostwolf. Das Blut floss in kräftigen Strömen an meinem Körper entlang. Aber was kümmert es mich - Nichts.
Letztendlich zog ich doch meinen Dolch und stieß ihn voller Kraft durch das Auge des Ebers. Dieser grunzte noch kurz und brach auf mir zusammen. Nachdem meine Jagdgefährten Ulf und Minik die Wunde mit Moos abgedeckt und mit einem Stück meines Mantels verbunden hatten, schritten wir mit unserer Beute zurück in unser Dorf. Als Zeichen des Sieges schnitt ich diesem Biest für unser Oberhaupt den mit Blut benetzten Hauer ab. Ich hoffe, er wird bei unserem nächsten Fest zu Ehren der Götter verbrannt.
Als die Freude unserer reichen Beute langsam abklang und es an das Verarbeiten des ganzen Tieres ging, suchte ich meine Nebelsängerin auf. Smilla nickte anerkennend über die erste Versorgung, murmelte aber auch, dass nicht mal Gyldra mehr etwas für mich hätte tun können, wenn der Eber nur etwas tiefer getroffen hätte. Ich knurrte sie nur an, dass es dem Schutz der Götter zu verdanken sei. Nachdem sie meine Wunde frisch mit Heilkräutern und Moos versorgt hatte, ging ich zurück zu meinem Lager.
Zweifel, die giftige Saat, hat sich in mir breit gemacht. Und auch wenn ich nach meiner Rückkehr auf Rhînland zunächst einfach nur froh war, erneut für mein Land kämpfen zu dürfen, war die Frage in meinem Inneren doch immer noch da. Habe ich versagt? Haben mir die Götter mit meinem Irrweg durch den Nebel zu verstehen gegeben, dass ich nicht würdig bin? Habe ich zu viele Zweifel? War ich nicht entschlossen genug?
Ich besuchte an einem der nächsten Tage noch vor Sonnenaufgang die Nebelsängerin und ließ neue Heilkräuter und Moos aufbringen. Damit das Dorf kein Zeichen von Schwäche wahrnahm und sich eine schöne Narbe entwickelt, konnte ich eine weitere Heldengeschichte erzählen.
Nun sind ein paar Tage in Rhînland vergangen und ich habe beschlossen, mich Dir einmal mehr anzuvertrauen. Nachdem ich wieder auf Rhînland zurückgekehrt war, kamen sie nicht immer vereinzelt im Mondzyklus. Aber sie waren da. Sie kamen, wenn ich mich auf meine Schlafstätte begab, um mich für den nächsten Tag auszuruhen. Einige unserer Geiseln hatten davon erzählt. Ich denke sie nannten es Albträume. Dunkle Visionen. Vorahnungen des Grauens. Sie folgten mir. Meist blieben nur Bruchstücke von Erinnerungen zurück, wenn ich schweißdurchtränkt mit einem Schrei oder einem Aufstöhnen von meiner Schlafstätte erschreckte. Deutlich kann ich mich noch an dieses ekelhafte Gewächs erinnern. Soll Korvaars Schmiedefeuer es verbrennen. Wann immer der Keimling in meinen dunklen Träumen auftaucht, bleibt dieses Gefühl zurück, der Leere, als hätte mein Glauben keine Bedeutung mehr. Als hätten die Götter mich von sich gestoßen. Ich schrie im Schlaf und die Meinen glaubten, meine Verletzung sei daran schuld. In Wahrheit war es meine Verzweiflung, meine Angst, die sich ihren Weg aus mir heraus bahnte. Ich war zu schwach, sie auszuhalten. Ist das der Grund warum mir die Götter nicht mehr gewogen sind?
Niemand darf davon erfahren und den Göttern werde ich beweisen, dass ich würdig bin.
Dunkel träume ich. Habe noch von keinem anderen Skargen gehört, dass er schweißgebadet und mit einem Schrei auf den Lippen aufgewacht war. Es sei denn, er würde von Kampfeslärm geweckt. Ich sollte dies fürs Erste nur Dir anvertrauen, schließlich werde ich Dich bald verbrennen und mit Dir all meine dunklen Gedanken.”
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