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Pater Joseph und der Essensdieb

Es begab sich wie so viele Geschichten sich im finsteren Wald. Das Heimatdorf des Pater Joseph lag tief im Wald und wurde schon seit längerem heimgesucht von einer äußerst kuriosen Bestie die Essen stahl. Abends hörte man es oft rascheln im Busch. Ab und zu sah man einen Schemen. Aber so etwas passiert nun einmal im Wald.
Sein Ziehsohn, der kleine süße Waise Julianus, der so gerne Holzfiguren schnitzte. Der hatte am meisten Angst vor der Nacht und noch mehr vor dem mysteriösen Essensdieb. Doch dann verschwanden ein paar Rüben. Ja und dann Kartoffeln. Da wurden die Bauern schon etwas stutzig. Der Dorfjäger wurde gefragt den Übeltäter zu stellen. Doch egal wie er sich auf die Lauer legte… der Jäger konnte den Schemen nicht erwischen. Sodass die Bauern wohl wieder ein paar Kartoffeln verlieren würden. Die Bauern hatten sich schon damit abgefunden und der Dorfjäger aufgegeben. Da platzte es aus Pater Joseph heraus und er forderte die Armbrust des Jägers, denn er würde den Essensdieb stellen.
Ja und dann verschwand ein Huhn. Nein, schlimmer noch zwei. Und da legte sich jetzt der disziplinierte Pater Joseph jede Nacht auf die Lauer. Die Augen hielt er mit schierem Willen auf bis es Morgen war. Ohne das Wesen je zu sehen.
Doch im Morgengrauen des fünften Tages war es ein Graus was ihn erwarten würde. Ohne Schlaf, hungrig und abgekämpft ging Pater Joseph mit der Armbrust des Dorfjägers heim. Er sah die Tür seiner Hütte wie sie auf und zu schlug. Hörte das Kreischen seines kleinen Julianus und einen Schatten ums Eck in den Wald flüchten. Jetzt war es zu weit. Das Wesen hatte ein Kind… seinen Ziehsohn… Josephs kleinen Julianus, der so gerne Holzfiguren schnitzte. Ihn hatte es sich geschnappt. Pater Joseph hatte schnell die Armbrust gespannt. Einen Bolzen auf der Sehne und lief dem Unhold, seiner Beute hinterher.
Seine lange zerschlissene Robe wehte im Wind. Durch das Gebüsch, über tote Bäume, einen Hang hinunter, dem Schemen hinterher. Es war sehr groß. War es immer schon so groß? Oder so groß gewachsen mit der ganzen geklauten Nahrung aus dem Dorf? Das geschwollene düstere Ding krachte jetzt ohne Acht zu geben durch Büsche und riss sogar Bäume aus. Bis es doch schließlich erschöpft und abgekämpft in einer Lichtung zu Rast kam. Dort lag es aufgedunsen, schwarz und rot, pulsierend und schwer atmend. Wenn es denn so etwas überhaupt tat. Was war dieser Klumpen nur?
Joseph betrat die Lichtung. Die Armbrust im Anschlag. Bedacht darauf nicht abzudrücken bevor er seinen Ziehsohn sicher sah, um diesen nicht zu treffen. Und da mit einem Mal warf sich das Wesen mit einem feuchten Klatschen herum, so dass Joseph den kranken Leib von vorne sah.
Der Körper bestand aus vielen Segmenten wie ein Insekt. Mit schwarzen beutelartigen Auswüchsen aus denen kleine menschliche Finger zu wachsen schienen, auf denen es sich fortbewegte.
Das Gesicht der Kreatur bestand aus vielen tausend Zähnen und der weit aufgerissene Rachen war voller Augen. Acht behaarte Beine ragten aus dem Rachen. Als würde eine riesige Spinne in den unzähligen Augäpfeln nisten… und darin gefangen der kleine Julianus.
“Laß ihn los! Gib mir meinen Julianus zurück!”
Schrie Joseph das widerwärtige Geschöpf an. Erschrocken ließ das Wesen den Kleinen fallen in einer rotzigen Lache und wich vor dem erbosten düsteren Pater Joseph zurück, der genau in den Augenrachen zielte.
“Iihhhh…” heulte das Wesen “ich wiiiiiill niiiicht meeehr… iihhhhh…”
Verdutzt rief Joseph zurück:
“Warum tust du es dann? Warum du Ausgeburt der Hölle? Wer ist dein Meister?”
“Iiiiich habe keinen Meister… iiiich habe mich verschäääääätzt iiiin meiner Fooooormeeel. Ich wollte seiiin wie die Spiiiine im Netz. Alles Wissen. Alles seehen. Ein Feeeeehleeer. Ich biiiin zu weiiit gegangen in meiner Zaaaaubeeeereiiiiii. Hiiilft miiiiiir!”
schlotzte das Wesen seine Antworten begleitet von schwarzer Galle.
Und da guckte der kleine süße Julianus über und über mit schwarzem Glibber bedeckt hoch zu seinem Ziehvater. Tränen in den Augen.
“Pater, wir müssen dem missratenen Magier helfen. Sicherlich verdient er eine zweite Chance.”
Und da fiel es Joseph ein, wie Schuppen von den Augen. Das Wesen war kein böser Übeltäter. Oder wollte es zumindest nicht sein. Es war mal ein Magier gewesen, welcher zu viel und unbedacht die Magie nutzte. Und es fragte nun nach Hilfe. Naja, es hatte fast den Julianus gegessen. Aber jetzt wo er darüber nachdachte - es hatte bisher auch nur ein paar Hühner und Kartoffeln verspeist. Und der Julianus mit seinem reinen Herzen hatte recht. Sie mussten dem Wesen helfen. Es war noch nicht zu spät!
So sagte Pater Joseph, die Armbrust ablegend:
“Hör zu du arme Mißgeburt. Wir werden gehen zum Dorf. Und da werde ich die Inquisition rufen. Nur sie wird dir helfen können.”
“Uuuuuh, daaaankeeee! Ich folge dir und waaaarte auf die Inquisiiiiitioooon.”
Und so kamen die Drei zurück in das Dorf tief im Wald.
Zuerst erfolgt ein heilloses Durcheinander, als die Bevölkerung das Biest sah. Aber Joseph vermochte zu ihnen zu sprechen:
“Ihr habt mich gebeten das Wesen zu stellen und das tat ich. Aber ich bin Pater und kein Inquisitor. Dies ist ein missratener Magier und hier kann nur die Inquisition helfen. Also werden wir unsere bürgerliche Pflicht tun und sie rufen! Der Magier wird auf die hohen Herren warten müssen in der Dorfscheune. Wir werden ihm zu essen und zu trinken geben. Schließlich war es auch mal ein Mensch.
Aber just in dem Moment, da begann das schauerliche, geschwürhafte Wesen zu blubbern und zu beben, ja es lachte! Es lachte und lachte! und es platzte! Dicke Fetzen regneten auf dem Dorfplatz, in die Pfurche und auf Dächer und in die Menschenmenge. Und noch während alle überrascht und angeekelt waren und das Geschehen, da geschah es! Aus dem verschieden großen Klumpen da wuchsen überall neue Zähne, Augen, Mäuler und Beine! Viele Zähne und Beine und Haare! Und alle begannen zu fressen! Und sie fraßen und fraßen und ließen nicht ab, bis alles Lebende und alles Essbare mit Haut und Haaren verschlungen war.
Die pulsierenden Massen flossen wieder zu einem großen Klops zusammen und blubberten. Und dann krochen so in den Wald davon, um sich ein neues Dorf zu suchen.