Die erste Reise in den Süden
Alnock berichtet
Es ist schon beinahe nicht mehr Morgen, als Alnock Ginster endlich die Stadt verlässt. Zu Vieles war noch zu erledigen: Ein Rundgang durch die Stadt, mit allen Wachen auf den Türmen, der Mauer und am Tor sprechen, Rückkehr in das Haus der Wache und weitere Gespräche.
Sein Schritt ist eilig, denn die Aufgabe, die er sich selbst gestellt hat, ist zwar wichtig, aber wichtig ist auch seine neue. Außerdem befürchtet er, die Rückkehr der Herrin der Stadt zu verpassen, etwas, das er sich nicht leicht vergeben würde.
Doch er hat sein Wort gegeben, wenn auch nur sich selbst.
Seine Beine gehen den Weg ohne dass es Nachdenken von Alnocks Seite braucht. Oft ist er ihn schon gegangen, und er kennt jede Wegwarte an ihm genau: Den mosbewachsenen Stein am Wegesrand, den Baum, den der Blitz gespalten hat. Die Weggabelung mit den Brombeersträuchern. Der Weg fliegt dahin, während in Alnocks Kopf sich Gedanken langsam ordnen. Laufen hat seit jeher dazu geführt, seinen Kopf zu klären. Alnock läuft gerne, jedenfalls wenn sich die Strecken in Maßen halten. Mit der Herrin dieser Lande hat er jedoch in diesem Sommer seine Meisterin gefunden. Alnock glaubt nicht, dass er jemals - abgesehen vom Avatar der Erde - ein Wesen mit mehr Leben in sich getroffen hat.
Schließlich erreicht er sein Ziel: Die Mühle, deren Baustelle für vier Monate sein Heim und seine Aufgabe war. Vielleicht ist es Zufall. Wenn man an Zufälle glaubt. Denn der erste Mensch, den Alnock trifft, ist sein Freund Phronséas. Der junge, hochgewachsene Ire steht dort, wo man den Weg weit überblicken kann, so als erwarte er jemanden.
Beide Männer gehen aufeinander zu und umarmen sich heftig, halten sich dann auf Armeslänge voneinander weg und betrachten sich genau. Ihre Begrüßung braucht nicht viele Worte, und zumindest Alnock hat Tränen in den Augen.
„Ruf alle zusammen,“ flüstert er schließlich. „Männer, Frauen, Kinder, Greise. Sie sind die Neuen Kinder des Landes. Sie alle sollen es hören. Ich bin gekommen, um zu berichten, was im Süden geschah.“
Es riecht nach Holz, Getreide und Mehl. Der Raum ist nicht sonderlich hoch, aber groß genug, um die Bewohner der kleinen Siedlung an der Mühle zu fassen. Männer und Frauen sitzen auf Bänken, auf selbst mitgebrachten Schemeln oder einfach auf dem Fußboden. Mütter und Väter haben ihre Sprößlinge auf dem Schoß, einige der Männer - und auch ein paar Frauen - rauchen geschnitzte Pfeifen mit kleinen Köpfen. Durch die Fenster fällt Licht herein und fängt sich auf dem allgegenwärtigen Mehlstaub.
Alnock lehnt an einem der Balken des Ständerwerks, den er selbst eingezogen hat. Noch einmal sammelt er seine Gedanken, dann stößt er sich ab und stellt sich vor die wartende Zuhörerschaft.
„Ihr alle kennt mich. Ihr alle habt an meiner Seite geschwitzt und geschüftet, um dieses Haus“ er macht eine Geste, die den Raum einschließt „zu bauen. Ihr alle wisst, dass ich Euch vor einigen Wochen verlassen habe, um in den Süden zu gehen, dem Ruf der Elemente folgend, in ihrem Namen zu streiten. Heute bin ich hierher zurück gekehrt, um Euch zu berichten, was im Süden geschah.“
Er macht eine Pause, blickt in die vertrauten Gesichter, eins nach dem anderen, und fährt fort: „Ich werde die Geschichte erzählen, wie ich sie erlebt habe. Und ich werde das erzählen, was ich nach den Ereignissen erfragt habe. Denn Vieles ist geschehen im Süden, das ich nicht verstand, oder das ich mir erklären lassen musste.
Es ist wichtig, zu verstehen. Es ist wichtig, dass wir alle, die neuen Kinder des Landes, begreifen, was um uns herum geschieht. Denn dieses Land ist Schauplatz eines Krieges. Wer unwissend oder blind durch solch ein Land wandelt oder in ihm lebt, der lebt in schlimmerer Bedrohung als jener, der um die Gefahren weiß. Dies ist, was ich glaube. Und darum bin ich hier.“
Erneut macht Alnock eine Pause und geht dabei langsam einige Schritte herum, ohne die Zuhörer jedoch aus den Augen zu lassen.
„Manches von dem, was ich erzählen werde, mag schrecklich klingen. Bei Manchem mögt Ihr Euch fragen, ob Eure Kinder es wirklich hören sollten. Bedenkt aber dies: Sie leben in diesem Land. Die Geschichte des Landes und die Geschehnisse in ihm sind Bestandteil ihres Lebens. Sie davor zu beschützen, heißt, Ihnen das Verständnis vorzuenthalten. Und ohne Verständnis können sie nur scheitern bei der Aufgabe, die wir an sie weiter geben werden.
Manches von dem, was ich berichten werde, werdet Ihr hingegen nicht verstehen. Dies liegt dann daran, dass ich kein Erzähler von Geschichten oder Barde bin. Ich bin nur ein einfacher Mann, der eine Geschichte erzählt. Wo Ihr nicht versteht, was ich berichte, unterbrecht mich bitte und stellt Fragen, solange, bis Eure Neugierde befriedigt ist.
Anderes mögt Ihr schon wissen, und Euch fragen, warum ich es erzähle, wo es doch so offensichtlich und bekannt ist. Die Antwort ist die: Ich möchte, dass auch der letzte von Euch versteht. Und so werde ich auch den letzten von Euch an dem Punkt des Weges abholen, an dem er steht. Und das heißt, dass ich den Weg von Anfang an gehen muss.
Viele Fragen hingegen werden offen bleiben. Ich kann Euch auf dem Weg des Wissens nur so weit führen, wie ich selbst ihn kenne. Ich ermahne Euch: Geht diesen Weg weiter! Sprecht mit Euren Druiden, sprecht miteinander! Und erzählt die Geschichte, die ich Euch erzähle, jenen, die hierher kommen, um ihr Korn mahlen zu lassen. So wird der Keim des Wissens aufgehen und sich ausbreiten, und vielleicht erleben wir oder Eure Kinder oder Eure Kindeskinder den Moment, wo diese Frucht geerntet und der Konflikt, in dem dieses Land steckt, beendet werden kann.“
Er grinst kurz.
„Lang fürwahr war diese Vorrede, und länger noch wird meine Erzählung. Nur heute habe ich, um sie zum Ende zu bringen, aus Gründen, die am Ende meiner Geschichte offenbart werden. Nun aber lasst mich beginnen!“
„Ihr erinnert Euch wohl noch alle, wie ich mich eines Morgens von hier davon schlich.“
Alnock lächelt entschuldigend und zuckt mit den Schultern.
„Bitte vergebt mir dies. Ich bin nicht gut darin, mich zu verabschieden. Und ich hatte ein wenig Angst, dass es doch jemandem von Euch gelingen könnte, mich umzustimmen.“
Sein Blick sucht den von Phronseas, doch kann er dessen Blick nicht deuten. Innerlich seufzend fährt Alnock fort:
„Ich war spät dran, so dachte ich, doch erreichte ich die übrigen Reisenden aus dem Westen noch vor dem Tor in den Leib der Erde. Gemeinsam mit ihnen bat ich die Malaka`Re, die Hüterin der Tore und Wege der Erde, um das Recht, die Passage in den Süden zu nutzen.
Der Weg durch den Leib der Erde war seltsam und wundervoll zugleich. In mir sind keine Worte, die die Eindrücke beschreiben könnten. Vieles war seltsam an dieser Reise unter steinernem Himmel, doch das seltsamste war die Zeit. Vielleicht war es eine Täuschung, doch kam mir die Reise in den Süden, auf die andere Seite des Meeres, wenn die Geschichten stimmen, kaum länger vor als einige Stunden.
Als wir wieder aus dem Leib unserer Mutter Terra heraustraten, waren wir in einem weiten, flachen Land. Die Sonne brannte heiß hernieder, und anfänglich plagten uns unzählige von hartnäckigen Stechfliegen. Ich traf dort im Süden Gefährten wieder: Die Zugvögel und jene, die mit ihnen gereist waren. Einige meiner Freunde fehlten. Einige neue Gefährten lernte ich kennen. Es war ein größerer Trupp, wohl an die zwei Dutzend Köpfe stark, der schließlich zusammen mit mir das Lager aufschlug. Um uns herum sprossen die Zelte wie Pilze aus dem Boden. Immer mehr und mehr kamen, so viele, dass die Enge im Lager erdrückend wurde und schließlich die Palisaden - kaum fertig errichtet - abgerissen und nach außen verschoben werden mussten, um allen Siedlern Platz zu schaffen. So viele waren in Terras Namen gekommen!
Nun, Aufbau und Befestigung des Lagers dauerten bis zur Abenddämmerung. Etwa zu dieser Zeit entschloss ich mich, einen Erkundungsgang durch das Lager zu machen. Ich besuchte die Steine, die Terras Schrein dort bilden und um die herum das Lager errichtet worden war. Ich besah mir Palisade und Tor. Ich suchte nach bekannten Gesichtern und fand eine Gruppe von Legionären, die durchs Lager marschierte. Ihnen folgte ich und geriet in ein Treffen der Siedler des Westens, dem die Nyame vorsaß, und zu dem die Männer der Legion unterwegs waren.
Ich weiß nicht, was mich an jenem Abend ritt. Ich gesellte mich dazu. Sie alle stellten sich einander vor, da noch nicht ein jeder einen jeden getroffen hatte, wie es schien. Als die Reihe an mich kam, da wurde mir ein wenig mulmig. Ich gebe nicht viel auf Titel, doch war ich nur ein einfacher Bauer, und die um mich herum waren Fürsten und Führer, die wichtige Dinge zu besprechen hatten.“
In Alnocks Tonfall, aber auch in Mimik und Gestik spielt er unbewusst die Erlebnisse noch einmal durch, macht sie so für seine Zuhörer greifbarer.
„Ich stellte mich schließlich vor, und wie überrascht war ich, als die Nyame, die Herrin des Westens, meinen Namen kannte, wusste, dass ich mit Euch diese Mühle hier gebaut habe, sogar meine Hände ergriff und mir dafür dankte.“
Nun werden die Augen des Mannes feucht, und er muss eine Pause einlegen, um ein Taschentuch hervor zu holen und sich die Nase zu schneuzen.
„Ich werde diesen Abend nie vergessen, und gleichzeitig werde ich mich wohl niemals richtig an ihn erinnern können. Die Herrin des Westens - und nur sie - war Zentrum meiner Aufmerksamkeit. Siobhán wirkte so klein, so … so verletzlich! Und doch gleichzeitig so voller Kraft! Sie erschien wie ein junges Mädchen, und im selben Moment wie die Verkörperung des Landes und der Leute vom Westlichen Siegel.“
Er seufzt, grinst dann jedoch, als er sich der Zuhörerschaft erinnert. Er zieht seine Augenbrauen hoch und zieht eine seltsame Grimasse.
„In einem Moment saß ich noch mit den Anderen im Kreis, im nächsten kniete ich vor der Nyame, und schwor ihr mit zittriger Stimme Treue. Warum? Wegen Euch, schätze ich. Wegen der herzlichen Aufnahme, die mir die Leute des Westens haben zuteil werden lassen. Wegen Eures offenen und ehrlichen Wesens. Weil ich zurückzahlen wollte, was Ihr so freimütig gegeben habt. Darum wohl. Doch nicht nur. Ich glaube, ich entdeckte etwas in ihr, das es Wert war, vor ihr zu knien.“
Seine Stimme wird leiser, ein Flüstern fast.
„Sie war das erste sterbliche Wesen, vor dem ich, vor dem überhaupt ein Ginster seit Generationen gekniet hat. Und nicht das letzte. In diesen Tagen im Süden kniete ich noch vor zwei Anderen. Doch nicht so, wie vor ihr.“
Er blickt auf, sammelt sich, kehrt zurück aus seinen Erinnerungen, die ihn für einen Moment beinahe überwältigt hätten.
„Doch ich greife meiner Geschichte vor.
Dies ist ermüdender, als ich gedacht habe. Würde mir bitte jemand einen Becher mit Wasser reichen? Mein Hals ist rauh, und noch Vieles gibt es zu berichten.“
Alnock hat kaum ausgesprochen, da strecken ihm eifrige Hände ein halbes Dutzend Hörner mit Ale und einige Becher entgegen, aus denen es verdächtige nach etwas aus Dubhgaills Brennerei duftet.
Aus dem Halbdunkel im hinteren Bereich des Raumes ist Gepolter zu hören, gefolgt von einem Kreischen, Geklirr und dann Gelächter, das sich immer weiter ausbreitet. Ein schlacksiger Halbwüchsiger, in seiner Eile, dem bewunderten Mühlenbauer, Nyamen-Begleiter und Wachhauptmann etwas Wasser zu besorgen (das natürlich niemand greifbar hat, schließlich sollte es ein lustiger Abend werden), war über seine eigenen Füße oder die von jemand anderem gestolpert, hatte den Wasserkrug über ein vor ihm sitzendes Mädchen mit langen Zöpfen ausgeleert und den Becher fallen lassen. Mit hochrotem Kopf sitzt er inmitten einer Wasserlache, während sein „Opfer“ ihn auf gälisch anschreit.
Es dauert eine Weile, bis sich der Tumult gelegt hat und ein voller Wasserkrug nebst Becher bei Alnock gelandet ist, doch nach und nach breitet sich wieder erwartungsvolle Stille im Raum aus.
Alnock trinkt langsam, in dem vergeblichen Versuch, seiner Belustigung Herr zu werden. Schließlich stellt er den Becher ab, noch immer lächelnd, und spricht in Richtung des Verursacher des Mißgeschicks:
„Gräme Dich nicht. Dies oder Ähnliches wird Dir noch viele Male geschehen im Leben. Und sei versichert, dass das Wasser immer das hübscheste Mädchen trifft, das sich finden lässt. Besser, Du gewöhnst Dich daran, so wie der Rest von uns.“
Kurz geht ein Lachen durch den Raum, in das Alnock einfällt. Dann jedoch kehrt Ernsthaftigkeit auf sein Gesicht zurück. Er fordert die Anwesenden mit einer Geste zur Ruhe auf, und fährt in seinem Bericht fort:
„Noch bei dieser Versammlung stellte Siobhán einige ihrer Begleiter vor: Ihre Schwester Maedhbh, eine Priesterin und Collin, einen Spottbarden. Selten sah ich eine anmutigere Frau unter den Menschen als Maedhbh NíCharthaigh, und ihre Klugheit steht ihrer Anmut in Nichts nach! Collin, den Spottbarden hingegen schloss ich wegen seiner offenen Art sofort ins Herz.
Später erwähnte die Nyame, dass sie im letzten Jahr Begleiter hatte, die ihr ihre Schwester aus dem Norden gestellt hatte. Sie war voller Lob über diese Begleiter, doch sprach sie von ihrem Wunsch, in diesem Jahr eine Leibwache zu haben, die weniger Aufsehen erregt. Zu jenem Zeitpunkt habe ich diese Worte nicht verstanden, nicht gefolgert, dass die Begleiter, die die Nyame des Nordens Siobhán sandte, ihrem eigenen Volk entstammten. Ihr wisst vielleicht, dass die Nyame des Nordens, deren Name Ka'Shalee Zress' lautet“ dieser Name kommt nicht flüssig über Alnocks Lippen, doch so, als habe er ihn schon mehrmals gebraucht oder seine Aussprache geübt „eine dunkle Elfe ist, eine Drow. Ihr Volk hat unter vielen Siedlern einen schlechten Ruf, und seine Angehörigen sind Opfer vieler Anfeindungen durch Gruppen von Siedlern, die schlimme Erfahrungen mit anderen Angehörigen dieses Volkes gemacht haben.
Siobhán erklärte, dass sie Collin MacCorribh zum Führer ihrer Wachen erwählt hatte, und dass sie von Landnehmern des Westens erwartete, für diese Wachen bei Bedarf Krieger zu entsenden.
Im Anschluss an dieses Treffen meldete ich mich bei Collin und sagte ihm zu, an der Aufgabe, die Nyame des Westens zu schützen, mit zu arbeiten. So wurde ich einer der Wächter Siobhán NíCharthaighs.
Noch an diesem Abend hatte sie vieles vor: Am Herzen lag ihr, gewisse Personen in allen Lagern zu finden, die sie ihre Stimmen nannte: Die Stimmen der Nyame des Westens. Diese Personen sollten Wissen zusammentragen und bündeln, jede in ihrem Lager, und dieses Wissen auch anderen zur Verfügung stellen. Siobhán ließ durch einen Ausrufer in den Lagern dieses bekannt machen, und auch, dass sie am nächsten Tag zur zehnten Stunde ein Treffen abhalten wollte in der Stadt mit jenen, die diese Aufgabe zu übernehmen bereit wären.
Dann brachen wir auf in die anderen Elementlager, denn Siobhán wollte jedem der Schreine ihre Aufwartung machen. An diesem Abend führte Collin den Wachtrupp an, und ich hatte Muße, mir die Lager und ihre Bewohner etwas genauer zu betrachten. Alle Lager waren groß und voller Leben, wenn auch keines so viele Mitglieder wie das Terras hatte. Über Allem jedoch lag eine angespannte Stimmung, die ich mir nicht genau zu erklären vermochte.
Spät am Abend, wohl schon nach Mitternacht, begrüßten Archon und Nyame des Südens die Siedler. Ich war dort, doch etwas abseits, und konnte kaum ein Wort verstehen von dem, was die beiden Herrscher des Südens sprachen.
Manch' Überlegung ist vor und auf der Reise angestellt worden über den Süden. Ich selbst habe die schreckliche Knochenkönigin im letzten Sommer gesehen, die doch eingeschlossen sein sollte unter dem südlichen Siegel. Auch ich vermutete, dass das Siegel geöffnet und das Untote Fleisch, der furchtbare Widerpart zu Terra, befreit worden waren. Ich hoffte, dass es einen Archon und eine Nyame gab, bevor dies geschah, doch ich wußte es nicht. Nun, es gab sie: Archon des Südens ist ein Elf mit Namen Nuven Feraen, und der Name seiner Nyame lautet Aysa. Sie entstammt dem Volk der Edalphi, von dem ich bis dahin noch nicht gehört hatte.
Beide hielten Hofe auf Thronen unter einer mächtigen Statue, die vor einem Stück einer gewaltigen Mauer stand. Beide wurden begleitet von ihrem Hofstaat, Elfen und Edalphi allesamt. Nur der Schwager des Archons und Bruder der Nyame musste entschuldigt werden.
Mir waren es zu viele Leute dort, die zu eng gedrängt standen. Ich war froh, als wir bald danach weiter zogen, obwohl die Audienz noch nicht beendet war. Siobhán hatte zu viel vor, um länger zu verweilen, und dies stellte sich als glückliche Wendung für uns heraus. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn wir noch länger an diesem Ort verweilt hätten.
So aber zogen wir weiter, in eines der Lager - ich weiß nicht mehr, in welches - und hörten den Tumult, der kurz darauf ausbrach, nur aus der Ferne.“
Alnocks Gesichtsausdruck ist traurig geworden. Er macht eine Pause und schenkt sich noch von dem Wasser nach, nimmt bedächtig einen Schluck und schaut in die Menge.
Er lässt eine lange Zeit verstreichen, bevor er erneut seine Stimme erhebt. Sein Blick wandert von den Gesichtern der Iren im Raum zum Boden. Regungslos steht er eine Weile dort und sammelt seine Gedanken. Dann hebt sich sein Blick, und dieser ist hart geworden, eindringlich, vielleicht sogar ein wenig unangenehm.
„Ich bin mir nicht sicher, wo wir waren, als die Kunde uns erreichte. Es mag im Lager Terras gewesen sein. Es ist nicht wichtig. Ich weiß auch nicht mehr, wer die Kunde überbrachte. Auch dies scheint mir nicht wichtig zu sein.
Was war geschehen? Einige Zeit nach unserem Aufbruch von den Herrschern des Südens hatte ein Elf der Nyame eine Botschaft überbracht. Sein Name ist An'nai Carneth von Tragant - oder zumindest so ähnlich - und er ist aus dem Hause des Archons und Neches'Re der Nyame. Das heißt, dass er ihr Streiter ist, der Erste unter denen, auf die sie sich stützen kann und wenn dieser Bund ein guter ist auch ihr Vertrauter und Freund. Wirklich viel weiß ich über dieses Amt auch nicht, doch habe ich die Neches'Re der Nyamen aus Ost, Nord und West zumindest getroffen und kann nur sagen, dass jedem von ihnen eine Bereitschaft zur Aufopferung, eine Hingabe und ein Mut in einem Maße zu eigen sind, das mich beschämt.
Doch ich schweife ab, und das an einem Punkt, der besonders wichtig ist für die weiteren Ereignisse. Der Neches'Re überbrachte Aysa, der Nyame des Südens, also eine Botschaft. Daraufhin griff die Nyame zu einem Dolch, welcher sich als vergiftet herausstellen sollte, und stach damit auf ihren Archon ein, welcher ja auch ihr Gemahl ist. Der Archon wurde getroffen, und das Gift begann schon, ihn zu töten, als die Elemente selbst eingriffen. Diesen Mord von einer Nyame an ihrem eigenen Archon durften sie nicht zulassen, und so hielten sie die Zeit an, was diese beiden betraf. Wie Statuen standen sie da, Aysa mit dem Dolch in der Hand und Nuven tödlich getroffen. Was den Hofstaat anging: Elfen und Edalphi fielen sofort übereinander her und töteten sich wie in blinder Raserei gegenseitig. Nur Wenige entkamen dem Gemetzel.“
Dies ist ein wichtiger Punkt in der Erzählung, die Alnock an diesem Abend vor diesen Leuten machen will, und er lässt den Zuhörern die Zeit, das Gesagte zu verarbeiten oder Fragen zu stellen.
Nach einer kleinen Weile, als ihm klar wird, dass keine Fragen kommen, fährt er fort:
„Das war für uns alle eine unglaubliche, verstörende Neuigkeit. Ich meine, Archon und Nyame, diese beiden sollen zusammen herrschen, zusammen stehen, gemeinsam gegen die Antielemente kämpfen, und nicht miteinander! Ihr alle wisst, dass hier im Westen der Archon lange nicht da war und ich verrate wohl auch nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass das Verhältnis zwischen unserer Nyame und ihrem Archon nicht das herzlichste ist, aber dies?! Wir alle waren wie vor den Kopf geschlagen.
Siobhán eilte ins Magielager, ich glaube, um sich mit den weisen Magistern dort zu besprechen. Mittlerweile war es tiefe Nacht. Kaum waren wir dort angekommen, traf Thorus ein, Archon des Ostens und eine der bemerkenswertesten Gestalten, die ich je zu Gesicht bekommen habe.
Wir erfuhren bald, dass die Leiber vieler oder aller der Edalphi nach der Bluttat verschwunden waren. Und jene, die sich um die Leichen der Elfen aus dem Hofstaat kümmern wollten, kamen alsbald zurück und berichteten davon, dass diese sich erhoben hatten und als Widergänger die Nacht durchstreiften. Der Untot hatte sich ihrer bemächtigt.
Thorus verließ das Lager sofort - ich glaube, seine Worte waren 'Ich gehe spielen' oder so ähnlich, und kam kurz darauf zurück mit Blut am Schuh und der entrüsteten Aussage 'Einer hat mich gebissen! Durch den Stiefel!'.
Wir selbst trafen auf untote Elfengestalten in dieser Nacht, doch sie waren wie kopflos, irrten wie blind umher, doch jener eine, den wir bekämpften, wollte und wollte nicht ruhig liegen bleiben und erhob sich erst dann nicht mehr, als wir seinen Körper buchstäblich in Stücke gehauen hatten.“
Alnocks Blick fällt auf eins der Kinder, einen Knaben von vielleicht fünf Jahren, dessen Augen sich geweitet haben vor Angst und der den Arm seiner Mutter umklammert. Er hat gewusst, dass dies der schwierige Teil werden würde. Entschlossen fährt er fort.
„Wir kehrten zurück ins Lager der Erde, wo ein Ritual im Gange war, den Avatar unseres Elementes zu rufen. Wenige waren noch wach im Lager, und die Anrufung dauerte lange, so lange, dass ich schon glaubte, Terra würde nicht erscheinen. Doch sie erschien, und nicht allein.
Der Avatar der Erde erschien, und sie wirkte auf mich unverändert und doch ganz anders, als im letzten Jahr. Sie war angespannt, wütend und in ihren Augen war ein Schmerz, den keiner von uns fassen konnte. Sie richtete das Wort an uns, und ihre Worte waren fordernd und befehlend. Sie sprach nicht viel. Sie forderte uns nur auf, zu klären, welche Umstände zum Mordversuch der Nyame des Südens an ihrem Archon geführt hatten, doch ihr Tonfall machte mehr als deutlich, wie besorgt sie war. Sie wies die Bewohner des Lagers auch an, die Banner des Archons erneut zu erringen, um diesen zu stärken. Dann stellte sie die Person vor, die sie begleitete: Prinz Marak der Tapfere, Prinz des Südens aus vergangenen Zeiten. Ein Geist. Wirklich und wahrhaftig ein Geist.
Der Prinz erhob ebenfalls das Wort. Seine Rede war beinahe beleidigend. Er verlachte das Lager für seine mangelnde Disziplin. Damit meinte er wohl, dass die Krieger nicht als militärische Einheit zu kämpfen vermochten, dass sie nicht gewohnt oder willens waren, Formationen zu bilden oder Befehlen zu folgen. Nach diesen Worten verkündete er, dass er vom folgenden Morgen an die 50 besten Krieger, die sich bei ihm meldeten, ausbilden wollte.
Kaum hatte er dies gesagt, so bat Siobhán Collin MacCorribh, sich diesen 50 anzuschließen. Collin übertrug mir in seiner Abwesenheit den Schutz unserer Herrin, und von diesem Moment an bis zum Schluß war ich derjenige, der die Verantwortung für Siobháns Wohlergehen trug.
Eine schwere Bürde für diese alten Schultern …“
Seine Worte werden zu einem Flüstern, und sein Gesicht drückt inneren Schmerz aus.
Nach wenigen Herzschlägen hellt sich sein Gesicht wieder auf.
„Andere kamen hinzu, um meine Bürde zu teilen. Großartige Menschen, viele hier aus dem Westen, aber auch andere, deren Bereitschft, für diese Aufgabe bis zum Äußersten zu gehen, mich immer wieder anspornte, ihnen nachzueifern: Die Krieger des Stammes MacManner, allen voran ihr Sippenkönig Allasdair, Die Achenar, von denen ich später noch berichten möchte. Auch meine Freunde von den Zugvögeln sprangen in die Bresche, wenn es nötig war. Häufig begleiteten uns Naldar. Die Naldar sind eines der Elementarvölker, und sie folgen Aeris mit Hingabe. Bei jedem Kampf gegen die Verfehmten waren sie dabei und kämpften auf der Seite der Siedler. Und wie schlecht wurde es ihnen gedankt.“
Wieder verstummt der Erzähler, und eine Mischung aus Gram und Wut lässt in seinem Gesicht tiefe Falten hervortreten, die sein Alter deutlich machen.
„Doch greife ich schon wieder vor. Was geschah noch in dieser Nacht? Ich selbst habe nichts mehr erlebt, da ich mich, in der Stunde des Morgengrauens wohl, zur Ruhe begab, nachdem ich mich davon überzeugen ließ, dass Siobhán nicht vorhatte, das Lager vor ihrer eigenen Ruhe noch einmal zu verlassen.
Was in den anderen Lagern in dieser Nacht noch geschah, davon hörte ich an den folgenden Tagen nur Gerüchte. Sie können falsch sein, doch möchte ich Euch einige davon nicht vorenthalten.
Nun, zu mehr oder weniger der Zeit, als im Erdlager Terra gerufen wurde, riefen auch die anderen Lager ihre Avatare. Es erschienen alle, und anders als im Jahr zuvor fehlte kein Avatar im Reigen der Fünf. Ihr wisst vielleicht, dass im letzten Sommer Ignis, Avatar des Feuers, den Herrn des Schwarzen Eises, den Sharun'Ar, den die Knochenkönigin zu einem untoten Leben verholfen hatte, angriff und mit ihm verschwand. Siobhán wusste zu berichten, dass Ignis und der Sharun'Ar in einer anderen Welt miteinander kämpften, und das Ignis' Anwesenheit in dieser Welt dem Sharun'Ar den Rückweg in die unsere versperrte. Manche Stimme überlegte, ob es weise sei, Ignis zu rufen. Ich maße mir hier keine Meinung an. Ignis ist Sache des Feuerlagers, und Ignis' Kinder beschlossen, ihn zu rufen. Ignis kam, doch er war schrecklich verunstaltet und geschwärzt und verbrannt und wohl auch wie von Sinnen. Er befahl seinen Kindern, sich zu sammeln und mit ihm zusammen die Tiefen des Lagers der Bewohner des Nordens anzugreifen, jene Höhlen, die man gemeinhin den Dungeon nennt und die wohl mit dem Netzwerk von Gängen und Kavernen verbunden ist, welches die Bewohner Underdark nennen.
Gerüchte aus dem Dungeon besagten später auch, dass der Sharun'Ar dort gesehen wurde und das er sich brüstete, Ignis im Kampf getötet zu haben. Dies jedoch scheint mir nicht richtig zu sein. Vielmehr glaube ich, dass die Bewohner des Feuerlagers durch das Rufen von Ignis dem Sharun'Ar einen Weg zurück in unsere Welt geöffnet haben. Ob es der Sharun'Ar war, der auf ihr Rufen hin erschien und dem sie in den Dungeon folgten, vermag ich nicht zu sagen.
Und von allen diesen Dingen bemerkte ich Nichts, denn ich lag auf meinem Lager, erschöpft von den Strapazen von Reise, Aufbau und erstem, ereignisreichen Abend an der Seite der Herrin des Westens.“
Der ehemalige Bauer greift erneut nach dem Krug und schenkt sich nach, dann nimmt er einen großen Zug aus dem Becher. Sein Ärmel wischt die Tropfen aus seinem Bart.
Alnock beginnt wieder, im vorderen Teil des Raumes auf und ab zu gehen, während er mit seiner Erzählung fort fährt.
„Nur kurz war meine Nacht. Zwar war meine Erschöpfung groß, doch um mich herum erwachte das Lager zum Leben, und so erwachte auch ich nach viel zu wenigen Stunden. Schnell stillte ich meinen Durst, der groß war, und meinen Hunger, von dem ich dies nicht sagen kann, an der reichlich gedeckten Tafel der Zugvögel. Mir blieb noch Zeit, einige Worte des Bedauerns in Richtung jener zu richten, die mir am meisten am Herzen liegen, dann machte ich mich auf zu den Zelten derer, die mit den Namaras und ihrer Nyame in den Süden gereist waren.
Siobhán war noch nicht erwacht, und so hatte ich Gelegenheit, all diese Leute kennen zu lernen: Krieger, Freie, Druiden. Es war ein gastfreundliches Völkchen, und auch wenn mir nicht alle Namen im Gedächtnis geblieben sind, so werde ich dennoch kein Gesicht vergessen.“
Er tritt ans Fenster und blickt hinaus, verstummt jedoch dabei nicht.
„Noch bevor die Nyame erwachte, gesellte sich glaube ich der Kantor der Achenar zu uns. Die Achenar. Ich versprach, noch über sie zu berichten, und dies will ich jetzt tun. Doch muss ich gesetehen, dass ich gar so viel gar nicht weiß. Ich weiß jedoch, dass sie hier sind, im Westen, und den Turm der Künste und Handwerke bauen - ich glaube, so nannte er es. Wenn Ihr also mehr über sie erfahren wollt, geht zu der Stelle, an der der Turm entsteht, und fragt dort nach.
Doch kehren wir zurück zum Thema: Die Achenar. So wie ich es verstanden habe, glauben sie alle an die gleichen Götter, und ihr Glaube vereint sie. Wenn ich das nicht ganz und gar falsch verstanden habe - ich bin nicht sehr oft in der Vergangenheit mit den Lehren irgendwelcher Priester zusammen gekommen - verehren sie Achenar, der der oberste Diener eines Gottes ist, den sie Yol heißen. Die Achenar sind ein Orden, so nennt man es wohl. Ihre Ziele sind nicht niedrig gesteckt: Sie wollen Zusammenarbeit zwischen den Siedlern, zum Wohle der ganzen Schöpfung. Wenn sie Schöpfung sagen, dann meinen sie die ursprünglichen, wahren Fünf, nicht die verdrehten, das Leben verneinenden sogenannten Antielemente der zweiten Schöpfung. Die Achenar beraten und begleiten Nyamen und Archonten aller Siegel. Sie urteilen nicht nach Rasse oder Hautfarbe, und sie sind allerorten und bei den Mächtigen aller Siegel in hohem Ansehen.
Vom Orden der Achenar gesellte sich wohl schon am ersten Tage der Kantor zu uns. Kantor ist nicht sein Name, sondern eine Beschreibung seiner Tätigkeit im Orden. Wenn ich es nicht völlig falsch verstanden habe - ich muss es schon wieder so sagen, verzeiht mir - ist ein Kantor derjenige, der eine Gruppe von Sängern anleitet. Ich weiß nicht, warum ein Sänger bei den Achenar in hohem Ansehen steht, doch dies tut er dort zweifelsohne. Der Kantor jedenfalls war wohl von den Achenar dazu bestimmt, als Siobháns Begleiter und Ratgeber sie zu begleiten, und dies tat er denn auch. Er bemühte sich nebenbei, mir Grundlagen der Kunst der Bewachung zu vermitteln, aber ich fürchte, ich war kein sonderlich guter Schüler. Er selbst wurde zu einer der größten Bedrohungen für Sobhán, doch dies geschah erst später am Tage, fast schon am Abend, und ich möchte davon jetzt noch nicht berichten.“
Im Laufe der Erzählung hat sich Alnock wieder den Zuhörern zu gewandt.
„So waren wir denn schon zu zweit beinahe ständige Begleiter der Nyame: Der Kantor der Achenar, gewandet in Grau und der Farbe dunklen Weines und ich selbst. Hinzu kam nach Siobháns Wunsch zu jeder Zeit ein Druide. Doch an Druiden hatte die angereiste Gruppe keinen Überfluss. Maedhbh war da, von der ich schon berichtet habe, und Sinead, beide von den Namara. Ich bin sicher, dass Ihr beide kennt.
Um ehrlich zu sein blieb der größte Teil dieser Aufgabe an Maedhbh hängen, die in Regen, Wind und brennender Sonne klaglos neben ihrer Schwester einher marschierte und manches Mal einen Apfel oder eine andere Leckerei aus der unergründlichen Tasche zog, die sie mit sich trug, und uns so unsere Bürde ein wenig erleichterte.
Dieser zweite Tag im Süden war bedeckt und kühl. Der Himmel hatte sich in Erwartung dessen, was da noch kommen sollte, verhangen, und dies, so erschien es mir, war die passende Reaktion auf der Ereignisse der letzten Nacht.
Während um uns herum die Ersten loszogen, um mit dem Prinzen des Südens - mit unserem Prinzen Marak, denn in den anderen Lagern waren andere Prinzen aufgetaucht, allesamt Geister - zu üben oder um sich daran zu machen, Banner der Macht zu gewinnen, um Nuven zu stärken, erhob sich schließlich unsere Herrin. Sie sah müde aus, matt und sehr besorgt. Doch sie bestand darauf, zur verabredeten zehnten Stunde nach Mitternacht in der Stadt jene zu treffen, die ihre Stimmen sein wollten.
Und so geschah es denn auch.“
Alnock hält inne und lächelt hintergründig.
„Ich glaube nicht, dass es besonders viele Wesen gibt, die sie dazu bringen können, sich etwas aus dem Kopf zu schlagen.“
„So zogen wir denn los in die Stadt. Von Ferne erscholl Kampfeslärm, und später erfuhren wir, dass Schwarzes Eis einige der Lager angriff, was zur Folge hatte, dass einige der Bewerber für die Posten der Stimmen erst später eintrafen.
Dennoch waren schon Viele da. Aus allen Lagern waren Freiwillige gekommen, um die schwere Aufgabe zu übernehmen, die die Nyame des Westens für sie vorgesehen hatte.
Das Treffen zog sich hin, und ich folgte ihm nicht sehr aufmerksam, denn meine Aufgabe war der Schutz, und so war mein Blick nach Außen gerichtet. Ich weiß jedoch, dass sich in allen Lagern mehrere Personen fanden, die sich die Aufgabe teilen wollten.
Das Treffen zog sich bis in den späten Mittag hinein, und hernach war Siobhán erschöpft und musste sich noch ein wenig zur Ruhe begeben. Bei all der Energie, die sie an den Tag legt, vergisst man leicht, dass sie eine Sterbliche ist, eine Frau von nicht gerade großem Wuchs. Manchmal glaube ich, dass sie selbst es auch hin und wieder vergisst.“
Er lächelt warm, wie in Erinnerung an eine Begebenheit, die mit dem eben Gesagten zusammen hängt.
„Während wir im Erdlager weilten, kamen die Viinshar, die auch Töchter der Leere geheißen werden. Die Viinshar sind schreckliche Gegner. Ihre Schreie verursachen selbst im Herzen des mutigsten Kriegers kopflose Furcht, und ihre Zauberei ist stark und sucht ihresgleichen auf Mythodea. Es sind Frauen, hochgewachsen und schlank zumeist, von beinahe verführerischem Aussehen, und doch geisterhaft und mit einer Aura der Kälte um sich herum. Unterschätzt sie niemals. Ein Schwert kann sie nicht verletzen, ein Schild sie nicht aufhalten. Mut, ja selbst Halsstarrigkeit sind keine Wehr gegen sie. Sie sind nur Wenige - und dafür danke ich den Elementen innig - doch selbst Archonten und Nyamen haben ihre Mühe, gegen sie zu bestehen. Ihre Führerin trägt den Namen Aniesha Fey, und sie ist von allen Viinshar die schrecklichste. Schlimmer als ihre Fähigkeit, Furcht in die Herzen zu pflanzen und Magie zu wirken, ist die Art der Leere, zu kämpfen. Anders als das Schwarze Eis oder das Untote Fleisch stellt sie keine Armeen auf, kämpft nicht mit blankem Stahl und zerschmetternder Wucht, sondern mit Tücke, Hinterlist und Täuschung. Wie Ihr noch sehen werdet. Doch zunächst: Ich selbst habe sie nicht gesehen, denn auch ich gönnte mir nach der kurzen Nacht etwas Ruhe, doch sie waren da: Die Viinshar, mit ihrer Königin, und es waren der Prinz des Südens, Marak der Tapfere, und Terra selbst, die sie aus dem Lager vertrieben. Denn die Waffe des Prinzen, geisterhaft wie er selbst, vermochte die Viinshar zu verletzen. Und Terras Macht konnten sie nicht widerstehen.
Als ich erwachte, war der Spuk schon vorbei. Siobhan ruhte noch, doch wollte sie am Nachmittag an einem Ritual teilnehmen, auf Einladung des Kantors. Er hatte davon gesprochen, dass dieses Ritual des Schutzes bedurfte, und so bat ich die zehnte Legion und Andere aus dem Lager um ihre Hilfe. Und dieses möchte ich Euch verkünden: Sie zögerten keinen Augenblick. In Windeseile waren sie zum Aufbruch bereit und besonders die Zehnte begleitete uns in perfekter soldatischer Ordnung. Maedhbh MacNamara begleitete ihre Schwester auf diesen Gang, der uns vor das Neutrale Lager führte. Dort warteten die Achenar, allesamt gekleidet in die Farben ihres Ordens, ein Anblick, der mir das Herz aufgehen ließ.
Der Kantor hatte auch die anderen Nyamen eingeladen, ihn bei dem Ritual zu unterstützen, mit dem er bewirken wollte, dass er selbst im Namen der fünf Elemente Waffen segnen könnte, auf dass sie die Macht hätten, die Viinshar zu töten. Doch von den anderen kam keine. Der Dungeon war gerade angegriffen worden, und wo die Herrin des Ostens weilte, war nicht bekannt. Etwas abseits führte das Feuerlage ein Ritual durch, wohl um ihren Avatar zu reinigen oder zu stärken. Es erschien mir nicht als gutes Zeichen, dass mit unserem Erscheinen auch ein gleichmäßiger, kräftiger Regen einsetzte.
Schließlich beschlossen jene der Achenar, die sich an dem Ritual beteiligen wollten, dass es an der Zeit sei. Siobhán und Maedhbh begaben sich an den vorbereiteten Ritualplatz, ich selbst und die Krieger der Achenar und des Erdlagers, die uns begleitet hatten, bildeten als Ritualwache einen Kreis um sie.
Das Ritual begann, und nur wenige Herzschläge später erscholl aus Richtung unseres Lagers, des Erdlagers, ein Schrei wie aus hundert Kehlen, der nicht verstummen wollte. Läufer kamen und berichteten die schreckliche Wahrheit: Das Untote Fleisch marschierte in schier endlosem Heerwurm auf das Lager Terras zu. Hunderte kamen unter dem Banner des weißen Schädels, und bei ihnen war eine Monstrosität, die mir als Fleisch-Golem beschrieben wurde, doppelt so hoch wie ein Mann und so breit wie ein Scheunentor.“
Alnocks Gesicht zeigt inneren Schmerz, und wie beschwörend erhebt er die Hände zu seinem Publikum.
„Was hätte ich tun sollen? Um mich herum Krieger, die ihre Zelte, ihren Besitz, ihre Lieben im Erdlager wussten. Die durch ihr Wort gebunden waren, das Ritual zu schützen, deren Herzen jedoch bei dem Angriff aufs Lager waren.
Ich ließ sie gehen, sandte sie fort. Langsam, spärlich - zu spärlich - machten sich Trupps aus den anderen Lagern auf: Von den Neutralen, die einige mitnahmen, die bei der Ritualwache standen und unsere Reihen noch weiter ausdünnten. Von Luft, Feuer und Wasser. Doch all diese zogen in kleinen Trupps los, und bald schon konnten wir Verletzte sehen, die sich, alleine oder auf Kameraden gestützt, zurück schleppten in ihre Lager. Mir selbst stand das Wasser in den Augen. Ich fühlte, dass meine Gefährten in der Verteidigung des Lagers um ihr Leben rangen. Ich fühlte, dass das Erdlager fallen musste, angesichts der Zahlen in denen die Untoten es bestürmten.
Und plötzlich“ Das Wort wird mit Schärfe gesprochen und hallt wie ein Peitschenknall durch den Raum. „hatte der Kantor das Ritual beendet. Die Krieger der Achenar stürzten herbei und griffen nach den Waffen, die sie in den Ritualkreis gelegt hatten, auf dass sie gesegnet würden. Einige stürmten los, um dem Erdlager beizustehen. Der Kantor wirkte erleichtert, stolz und fast beschwingt, wenn auch etwas erschöpft, als er sich seine eigene Waffe griff, eine seltsame Axt in flammenden Farben.
Ich konnte es sehen, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich, als er die Axt genau betrachtete. Er wollte noch etwas sagen, brachte aber keine Worte heraus, die ich verstanden hätte - dann brach er auf der Stelle wie vom Blitz getroffen zusammen. Und mit ihm Siobhán und Maedhbh MacNamara.“
Alnock stützt sich schwer auf einen Tisch, so als hätten seine Beine nicht die Kraft, sein Gewicht zu tragen.
„Ich war wie von Sinnen. Ich stürzte zu Siobhán, kniete an ihrem kleinen, leblosen Körper nieder und knetete ihre Hand, sprach zu ihr, versuchte, sie zurück zu holen. Ihre Hand war so klamm, so kalt, dass ich dachte, sie würde sterben. Ich kniete dort und war bereit zu sterben, damit sie lebt. Mein Gesicht war feucht vom Regen und den Tränen, die ich vergoss. Und da erst begriff ich, wie lieb ich sie gewonnen hatte, die Herrin des Westens.“
Er zieht ein Taschentuch hervor und schneuzt sich geräuschvoll, fährt sich dann mit dem Handrücken über die feuchten Augen.
„Um mich herum rannten Leute umher, riefen und brüllten Befehle, doch ich nahm dies nicht wirklich wahr. Auch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht einmal aufsah, um zu schauen, wie es Maedhbh ging. Ich kniete bei der leblosen Herrin dieses Landes und wusste, dass mit ihr auch das Land sterben würde, das ich lieb gewonnen hatte. Dann riss mich jemand hoch und schrie mich an, dass ich aus dem Kreis verschwinden sollte, und Magier machten sich daran, das Ritual zu beenden oder aufzuheben oder …“
Er holt tief Luft, zwingt sich zur Ruhe.
„Der Kantor wollte zuviel erreichen, wollte mehr Macht bündeln, als ein Sterblicher aushalten kann, so jedenfalls wurde es mir hernach erklärt. Die Energie hatte ihn und die Frauen nieder gestreckt, und diese Energie musste abgeleitet werden. Also stellten die Magier den Ritualplatz wieder her und machten sich an die Arbeit. Und ich stiefelte nebenher auf und ab wie ein Mann, dessen Frau zum ersten Mal in den Wehen liegt. Ein Mann holte mich zurück aus dem Wahn, der sich meiner zu bemächtigen drohte, einer der Achenar und ihr erster Ritter, ein Herr von Stauffenberg. Er verstand meine Sorge, verstand auch meinen Zwiespalt zwischen der Pflicht, Siobhán zu schützen und der Verpflichtung Terra und dem Erdlager gegenüber.
Die Kampfgeräusche aus Richtung des Lagers Terras hörten und hörten nicht auf. Kampfschreie, Schmerzensschreie, all das wehte der Wind zu uns herüber, und die lange Kette jener, die geschlagen und verletzt in die anderen Lager zurück kehrten, riss nicht ab. Einige fragte ich über die Lage, doch sie schüttelten nur traurig den Kopf.
Es war eine lange Zeit, die die Magier oder Priester benötigten, um die Energie des Rituals abzuleiten. Irgendwann kamen die Untoten auch zu uns. Es waren nur Wenige zunächst, doch wir mussten das Schlimmste befürchten und durften nicht weichen, denn Siobhán, Maedhbh und der Kantor durften nicht bewegt werden. Der erste Ritter der Achenar und ich führten ein langes Gespräch, unterbrochen von Angriffen von Gruppen von Untoten, zwei Männer, die den sicheren Tod vor Augen hatten. Ich habe nie viel gehalten von Rittern und Edlen, doch dieser war ein Mann so ehrenhaft, weise und mutig, dass ich den Elementen dankbar sein muss für die Gunst, ihn getroffen haben zu dürfen.“
Anspannung fällt ab vom letzten Nachkommen von Grimmnock Ginster, und seine Haltung entspannt sich.
„Nach wohl einer Stunde war es vorbei. Die Magier hatten ihr Werk vollbracht, und ich eilte zu Siobhán. Ihre Hand war noch immer kalt, doch kehrte Farbe in ihre Wangen zurück. Sie würde leben. Gemeinsam trugen wir sie und Maedhbh zu den Heilern im Lager der Neutralen, wo sie lange Zeit brauchten, um das Bewußtsein weider zu erlangen.“
Alnock kehrt zurück zum Tisch und lehnt sich an dessen Kante. Seine Stimme ist ruhig, als er fortfährt:
„Diese Stunden an jenem verregneten Tag gehören zu den schlimmsten Erlebnissen, die ich je durchmachen musste. Und doch hatten sie auch ihr Gutes, denn sie klärten meinen Geist und ließen mich erkennen, wo ich wirklich stehe.
Ich war bei Siobhán geblieben, hatte um sie gebangt und um sie geweint, während das Erdlager vom Feind überrannt wurde. Oh, ich war noch immer und bin noch immer ein Kind Terras, keine Frage. Doch im ersten Jahr, im letzten Jahr, wandte ich mich den Elementen zu und dem Land. Nun aber hatte ich mich für seine Bewohner entschieden, und hatte entschieden, wenn nötig mein Leben zu geben, um dem Westen, diesem Land hier“ er stampft mit dem Fuß auf, und kleine Wölkchen von Staub erheben sich in die Luft und brechen das einfallende Licht „seine Herrin, seine Führung, sein Wohlergehen zu bewahren.“
Er seufzt tief und zuckt dann entschuldigend mit den Schultern.
„Es hätte mir von Anfang an klar sein müssen: Wir Sterblichen dienen den Elementen, doch wir können ihnen nicht direkt dienen. Wie soll ich, Alnock Ginster, Terras Diener sein, wenn nicht durch den Dienst am Land und seinen Bewohnern? Ich kann nicht hingehen, wo sie hingeht. Ich kann nicht Dinge tun, die sie tut. Ich kann nicht sehen, was sie sieht. Was ich kann, ist den Bewohnern des Landes zu dienen. Terra braucht Siedler, die stark sind, mutig und die den Kampf gegen die Verfehmten zu führen bereit sind. Terra braucht Siedler, die die Wahren Fünf ehren und in ihrem Namen streiten. Terra braucht keinen alten Mann, der sich kopflos in den Tod stürzt, ihren Namen auf den Lippen.
Mein Herz, das erkannte ich an diesem Nachmittag, hatte dies längst durchschaut. Ich war zur Nyame des Westens gegangen und hatte Treue geschworen. Ich hatte mich angeboten, sie zu schützen so gut ich es vermochte und dies, ohne sie wirklich zu kennen. Mein Herz hatte sich längst entschieden, hatte entschieden, dass mein Platz hier ist, im Westen, und dass meine Aufgaben darin liegen würden, den Westen stark zu machen.
Liebreiz und Würde der Herrin dieser Lande mögen ihr übriges getan haben, und vielleicht auch die besondere Magie, die ihr zu eigen ist und die die Herzen der Menschen zu berühren vermag. Überzeugt hat mich jedoch, dass sie mitfühlend ist, und dass sie selbst mit dem einfachsten Mann und der einfachsten Frau redet wie mit einem Gleichgestellten.“
Eine Weile schweigt der Mann, dann schüttelt er den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, die sich seiner bemächtigt haben. Er lächelt in die Runde, doch es ist ein wehmütiges Lächeln.
„Nach langer Zeit kehrten wir zurück in das Lager Terras - oder das, was davon übrig war. Der Untod hatte es überrannt, hatte die Palisaden eingerissen, das Lager geschleift, Terras Schrein entweiht. Überall sah man Verletzte mit blutigen Verbänden, niedergeschlagene Gesichter mit verzweifelten, beinahe leeren Augen.
Von Überall her jedoch erscholl auch das Hämmern und Sägen derer, die schon dabei waren, das Lager wieder aufzubauen. Zelte wurden geflickt und wieder aufgestellt, Kohlebecken und Dreibeine wieder aufgerichtet. Von hier und da drang schon wieder der Geruch von Gebratenem in meine Nase.
Terras Lager war besiegt worden, dem Erdboden gleichgemacht. Doch der Wille derer, die Terra folgten, war größtenteils ungebrochen.“
Nun ist sein Lächeln echt.
„Wir SIND der Fels! Sie waren es, sie alle. Selbst die Verwundeten und Verzweifelten packten nach und nach mit an, und vor Einbruch der Nacht war das Lager neu errichtet, liefen die Vorbereitungen, Terras Schrein zu reinigen. Ein jeder im Lager verausgabte sich an diesem Abend über die Grenze dessen, wass menschenmöglich erscheint. Doch wo am späten Nachmittag nur rauchende Trümmer und Verletzte zu sehen waren, da stand am Abend erneut ein Lager, in dem Terra gepriesen wurde.“
„Doch noch Anderes war geschehen, von dem ich Euch berichten möchte:
Im Dungeon, der Wohnstatt der Herrin und des Herrn des Nordens, war ein Schrein gefunden worden, der den Kell Goron zugeschrieben wurde. Für jene von Euch, die mit diesem Namen nichts anzufangen wissen, dies: Ihr habt bestimmt schon vom Volke der Ouai gehört. Sie sind wohl Diener der Elemente, denn sie wirken mit an dem Verfahren, mit dem Archonten und Nyamen bestimmt werden. Sie versuchen, eine strenge Neutralität einzuhalten, und ich glaube fast, dass sie die Antielemente in diese Haltung mit einschließen.
Ich selbst habe erst ein paar ihres Volkes getroffen, und sie erschienen mir freundlich, doch sehr zurückhaltend. Ohne Zweifel verfügen sie über großes Wissen, doch scheinen sie zu zögern, dieses mit den Siedlern zu teilen. Dennoch sind sie den Siedlern schon oft eine große Hilfe gewesen.
Die Ouai und die Kell Goron gehören dem gleichen Volk an, doch die Kell Goron haben den Weg der Neutralität verlassen und sich den Verfehmten verschrieben, oder sich selbst. Ich selbst habe im letzten Jahr in den Kavernen unter dem Schrein von Shan Meng-Ray (oder wie dieser Ort auch immer heißen mag) einen Kell Goron getroffen, und er war ein fürchterlicher Gegner. Dass es in den Kavernen der Erde im Süden so einen Schrein gab, war sehr beunruhigend, und Prinz Marak und seine 50 Krieger bemühten sich, die Barriere, die ihn schützte, zu zerstören - zumindest glaube ich das. Ich hatte mit dem Geist des vergangenen Prinzen des Südens nicht viel zu tun, und auch selten Zeit, mir die Geschichten anderer Siedler anzuhören.
Noch schlimmer war, dass Skarr, die Malaka'Re, nach dem Angriff an jenem Tag die Steine vermisste, mit denen sie die Wege durch die Erde für uns geöffnet hatte. Skarr war sehr verzweifelt. Ihr müsst das verstehen. Sie ist kein Mensch. Sie ist …. sie ist eben Skarr. Sie gehört zur Rattenrotte. Sie hat das Amt der Hüterin der Pforten, der Malaka'Re, von Terra erstritten, und das reicht mir aus, um zu wissen, dass sie meine Hochachtung verdient. Sicherlich, sie ist ein wenig schmutzig, und manchmal riecht sie nicht sonderlich gut, aber sie hat ein gutes Herz und einen wachen Verstand!“
Alnocks Tonfall ist trotzig, und er reckt unbewußt das Kinn vor, in stummer Herausforderung an die Kelten, seine Worte in Frage zu ziehen.
„Ohne diese Kristalle, die die Edalphi Kristalle Mitrasperas nennen, war uns der Weg zurück in den Norden versperrt. Schlimmer noch: Hatte der Feind die Kristalle, war womöglich dem Untot durch die Pforten der Erde der Weg in Osten, Norden und Westen offen.
Siobhán jedenfalls war sehr beunruhigt.
Mir blieb nicht viel Zeit, um nach meinen Gefährten von den Zugvögeln zu schauen, die zu meiner großen Erleichterung alle wohlauf waren, wenn auch zerschlagen und erschöpft. Dann ging es schon wieder weiter, in dieses und jenes Lager, obwohl die Nacht bereits hereingebrochen war. Irgendwann an diesem Abend begannen meine Füße, mir Ihre Dankbarkeit über stundenlanges Gerenne in schwerer Rüstung durch dumpfen Schmerz auszudrücken. Dieses Gefühl sollte mich in diesen Tagen nicht mehr verlassen.
Irgendwann in dieser Nacht trafen wir im Lager des Feuers auf Magica, den Avatar der Magie. Unsere Nyame unterhielt sich lange mit ihr. Eines der Gesprächsthemen war der Archon des Westens, den sie seit langen Jahren nicht gesehen hatte und der nicht auf ihre Versuche, mit ihm in Kontakt zu kommen, antwortete.
Sie vermutete ihn im Lager der Orken gleich nebenan. Ihr Herz schien zerrissen. Sie getraute sich nicht, zum Lager der Orks zu gehen und dort nach ihm zu suchen, doch die Pflicht, ihr Bedürfnis, dieses Land zu schützen durch die Mitarbeit ihres Archons, drängten sie, genau dies zu tun. Schließlich beschloss der Avatar der Magie selbst, sie in das Lager zu geleiten und für ihren Schutz zu sorgen. Ich selbst und die übrige Leibwache, einige von ihnen Zugvögel, warteten wohl eine lange halbe Stunde vor dem Tor, neugierig beäugt von den Wachen des Orklagers.
Als sie schließlich wieder herauskamen, war den Gesichtern von Avatar und Nyame anzusehen, dass sie keinen Erfolg gehabt hatten. Zwar gab es starke Anzeichen dafür, dass Ker''jac Turach, Archon des Westens, im Lager der Orks weilte, doch in jener Nacht war er nicht zu finden.
Wir begleiteten eine niedergeschlagene Siobhán NiCharthaigh zurück ins Erdlager. Doch kaum waren wir dort angekommen, da überkam die Herrin des Westens eine Ahnung von schlimmer Magie aus dem Dungeon. So aufgeregt war sie, so beunruhigt, dass wir überlegten, das Lager aus dem Schlaf zu reißen, zu dem sich beinahe alle Bewohner begeben hatten.
Schließlich taten wir es nicht, sondern riefen nur noch einige derer zu uns, die noch nicht zu Bett gegangen waren. Wohl an die zwanzig Köpfe stark war der Trupp, der in Windeseile zusammen gestellt war und in Richtung des Eingangs des Dungeons eilte. Siobhán war außer sich, und sie trieb uns an, als hätte wir an diesem Tage nichts anderes getan, als geruht. Ich hatte große Schwierigkeiten, sie zu überholen, um den Schutz nach vorne zu übernehmen - wieder einmal.“
Alnock lächelt bei diesen Worten, und der milde Spott gilt ihm selbst.
Schnell erzählt er weiter:
„Es war sehr schlammig auf dem Weg zum Dungeon. Der lang anhaltende Regen hatte den Boden aufgeweicht, und viele Füße, die diesen Weg vor unseren gegangen waren, hatten ein übriges getan, um ihm seine Festigkeit zu nehmen. Wo es sehr schlimm war, hatten findige Köpfe Bohlen ausgelegt.
Schließlich erreichten wir ein finsteres Loch in einem Hügel: Den Eingang. Keine Wache stand dort, kein hilfreicher Geist, und so mussten wir uns in völliger Finsternis unseren Weg in den Tunnel bahnen.
Wie überrascht war ich, als vor uns schließlich Licht auftauchte und ich kurz danach eine Höhle betrat, die wie eine Schneke ausstaffiert war. Es gab einen Thresen, Bänke und Tische, und sogar eine Bedienung, obwohl ich beim besten Willen nicht zu sagen vermag, ob es sich um einen Burschen oder eine Maid handelte.
Siobhán rief uns in einer Ecke zusammen und erklärte uns einige wichtige Dinge. Dies war die Heimstatt der Drow und anderer Kreaturen mit uns seltsam anmutenden Sitten. Siobhán schärfte uns ein, die Frauen der Drow weder offen anzuschauen, noch sie anzusprechen. Dann bat sie uns, hier einen Moment zu warten, da sie alleine ihre „Schwester“, die Nyame des Nordens, aufsuchen wollte. Sie verließ die Kaverne durch eine geschickt getarnte Tür, die mir im Dämmerlicht niemals aufgefallen wäre.
Da standen wir nun, mehr als ein Dutzend Krieger, und versuchten, nicht aufzufallen. Seltsam waren die Wesen in jener Schenke, fremdartig. Ich war froh, dass sie uns nicht mehr Aufmerksamkeit schenkten als ein paar flüchtige Blicke. Offenbar waren Besucher in diesem unterirdischen Wirtshaus gar nicht so selten, denn noch Andere kamen, die ich für Oberflächenbewohner hielt, oder gingen.
Der kurze Moment, den Siobhán uns zu warten geheißen hatte, verging, dann noch einer und noch einer. Der Kantor der Achenar, glaube ich mich zu erinnern, stürmte irgendwann der Nyame hinterher. Er haderte sehr mit sich selbst zu diesem Zeitpunkt, war voller Schuldgefühle wegen des mißglückten Rituals und dessen Folgen für Siobhán und Maedhbh. Er versuchte in einer Art, die ich als wirr und krankhaft empfand, sich selbst zu bestrafen. Für wirklich zurechnungsfähig hielt ich ihn nicht.
Andere wollten ihm folgen, doch die Besonneren unter uns bestanden darauf, an dem Ort zu warten, an dem zu verweilen Siobhán uns gebeten hatte.
Eine Weile später betraten Tiara Lea, Nyame des Ostens und Thorus, ihr Archon, die Kaverne und verließen sie sofort wieder durch die versteckte Tür. Nicht viel später folgten der Avatar des Feuers, Ignis, und der der Luft, Aeris. Ich machte mir große Sorgen, gedachte ich doch der Tatsache, dass wir hierher gekommen waren, weil Siobhán mächtige böse Magie, Nekromantie, Totenbeschwörung aus diesen Höhlen gefühlt hatte.
Nach noch einer Weile kam ein Drow aus jener schon mehrfach genannten Tür zu uns und forderte uns auf, ihm zu folgen. So durchschritten auch wir diese Pforte. Der Drow, ich habe ihn noch mehrfach getroffen im Süden und glaube, dass er der Neches'Re von Ka'Shalee Zress, der Nyame des nördlichen Siegels, ist. Sicher bin ich jedoch nicht, denn es war sehr düster in der Taverne und völlig finster in den Gängen dahinter, und ein Elf mit schwarzer Haut sieht für mich wie der andere aus, besonders wenn sie schwarze Tücher um ihre Köpfe geschlungen haben, wie es bei ihnen Sitte zu sein scheint.
Der Drow forderte uns auf, eine Kette zu bilden, indem ein Jeder die Hand auf die Schulter seines Vordermannes legte. So führte er uns durch die Dunkelheit. Er konnte wohl sehen und hatte keine Schwierigkeiten mit dem Weg, doch wir Tagwesen hinter ihm hatten große Mühen, mit ihm mitzuhalten. Ich selbst prallte immer wieder gegen die rauhen Wände des Tunnels.
Schließlich öffnete sich vor uns eine weitere versteckte Tür, aus der der blasseste Lichtschein drang. In diesem Licht sah ich, wie der Dunkelelf sich umdrehte und in die Richtung deutete, aus der wir gekommen waren. 'Der Feind kommt aus dieser Richtung!' war alles, was er sagte. Dann huschte er durch die Tür, die sich hinter ihm schloss und uns erneut in Dunkelheit zurück ließ.
Ich weiß nicht, wie lange wir dort standen. Es war heiß, die Luft war schlecht, und der Gang war nicht hoch genug, um aufrecht zu stehen. Wasser tropfte von der Decke herab. Meine Füße schmerzten wie verrückt, und die stehende Luft und meine dicke Rüstung machten mir schwer zu schaffen. Irgendwann begann ich sogar, in Panik zu verfallen, und nur die Anwesenheit von guten Kameraden an meiner Seite und die Aussicht, im Dunklen unsichtbaren Feinden in die Arme zu laufen, hinderten mich daran, einfach davon zu laufen.
Wir versuchten, still und leise zu sein, flüsterten nur wenig, rührten uns nicht, und ein jeder von uns verlor das Zeitgefühl in diesem engen, düsteren Gang. Wir alle waren angespannt bis zum Äußersten, hatte man uns doch Feinde angekündigt, uns jedoch kein weiteres Wissen über sie vermittelt.
Als polternd die Tür hinter uns aufflog, jene, durch die der Drow verschwunden war, hätte beinahe mein Herz ausgesetzt. Heraus stürmten alle, die wir vorher hinter der geheimen Tür haben verschwinden sehen, allen voran Ignis und Aeris. Ohne auch nur im Schritt zu stocken rauschte die ganze Gruppe an uns vorbei, und ich konnte einen Blick auf Siobhán erhaschen, deren Gesicht blaß und steinern wirkte.
Wir alle beeilten uns, mit den Avataren Schritt zu halten - eine vergebliche Bemühung für einen Sterblichen - und erreichten nach wildem Irrlauf durch die lichtlosen Tunnel die Oberfläche an einer anderen Stelle als der, an der wir sie verlassen hatten.
Ignis und Aeris waren in ein Zwiegespräch vertieft und schienen die Siedler um sich herum vergessen zu haben. Beide ware aufgeregt, aber Ignis wirkte auch ein wenig wie in Hochstimmung. Ich sollte später erfahren, warum.“
Selbst ein so ungeübter Erzähler wie Alnock weiß offenbar, dass hier eine dramatische Pause angebracht ist. Er geht ein paar Schritte, lässt die Anwesenden jedoch nicht aus den Augen.
„Die Geschichte, so wie sie mir berichtet wurde, ist folgende: Ein Zauberer bat Nyame und Archon des Nordens, im Dungeon ein Ritual abhalten zu dürfen, welches den Dungeon vor dem Untot schützen und Terra stärken sollte. Als sich dieser Zauberer spät nachts ans Werk machte, hatten sich die Herrscher des Nordens zur Ruhe begeben, und obwohl sie den besagten Magier nicht kannten, auch keine Vorkehrungen getroffen, sein Wirken zu überwachen. Ob absichtlich oder aus Versehen - mein Vertrauen in magische Rituale ist an jenem Tag schwer erschüttert worden - hat das Ritual aber das Untote Fleisch gestärkt. Das Ergebnis muss schlimm gewesen sein, so schlimm, dass Archonten, Nyamen und auch Avatare es spüren konnten.
Also hat sich Alles im Dungeon getroffen. Ignis war wohl sehr erbost, und Lord Elkantar, der Archon des Nordens, hat seinen Zorn besonders zu spüren bekommen, jedoch auch seine Nyame Ka'Shalee.
Doch davon möchte ich später weiter berichten. Jetzt, so denke ich, ist es an der Zeit für eine kleine Pause, ein paar Schritte im Sonnenlicht, um die düsteren Gedanken loszuwerden und vielleicht einen Happen zu Essen.“
„Ich habe Euch von unserem Ausflug in den Dungeon berichtet. Und ich habe Euch versprochen, zu verraten, warum Ignis und Aeris so aufgeregt waren, als wir die unterirdischen Gänge schließlich unter ihrer Führung verließen.“
Alnock hat es sich auf einem Stuhl bequem gemacht, die Beine weit von dich gestreckt, die Füße mit den hohen Stiefeln übereinander geschlagen. Seine Hände ruhen auf seinem vorgewölbten Bauch, den er sich mit Eintopf und frischem Brot überreich gefüllt hat. Es beginnt zu dämmern, und hilfreiche Hände haben Laternen entzündet, deren Schein den Raum in behagliches Licht taucht.
„Beide Avatare kamen im Dungeon an, nachdem Archon und Nyame des Nordens geweckt worden waren. Ignis kochte förmlich vor Zorn. Wahrscheinlich suchte er nur nach einer Gelegenheit, handgreiflich zu werden. Als Lord Elkantar nicht schnell genug darin war, ihn mit dem gebührenden Respekt zu begrüßen, da verlor Ignis vollends die Geduld. Wenn es stimmt, was man mir berichtete, zwang er ihn mit buchstäblich flammender Klinge auf die Knie.“
Er klopft während des Erzählens unbewusst auf seinem Bauch herum.
„Die Avatare ähneln in ihrem Äußeren den bekannten Rassen. Sie haben zwei Beine, zwei Arme und einen Kopf. Ihre Augen können drängend, liebevoll, fordernd und traurig schauen, sogar verzweifelt. Ihre Stimme hebt und senkt sich wie die meine oder die Eure. Manch einer mag schon vergessen haben, dass er nicht etwa ein Mitglied eines anderen Volks vor sich hatte - wie etwa einen Elfen, einen Ork, einen Zwerg - sondern eine vollkommen andere Art von Wesenheit. Ich selbst glaube, dass sie uns so ähnlich sind, damit sie uns nicht so fremd erscheinen … nein, dass muss ich erklären: Die Elemente hätten andere Formen wählen können für jene, die mit ihren Stimmen zu den Siedlern sprechen. Terras Avatar hätte ein sprechender Fels sein können, der von Aeris ein Lufthauch oder ein mächtiger Wirbelwind. Aqua hätte ein Teich sein können oder ein leichter Regen. Die Elemente haben jedoch uns zuliebe eine Form gewählt, mit der zu sprechen, in deren Nähe zu leben uns leicht fällt. Sie haben es mit Absicht so eingerichtet, dass wir in Versuchung kommen, sie wie ganz alltägliche Personen zu sehen. In ihrem Zorn jedoch verlieren sie viel von ihrer Menschlichkeit. Sie werden mehr zu den übermächtigen Wesen, die sie sind. Ich jedenfalls beneide den Archon des Nordens nicht für den Moment, in dem er der wenig gezügelten Wut des Herrn des Feuers ausgesetzt war.
Unter dem Einfluss dieses Zorns gestanden Archon Lord Elkantar und Nyame Ka'Shalee Zress' nicht nur ihren Fehler ein, den Zauberer nicht überwacht zu haben. Irgendwie taten beide auch noch die Aussage, dass sie unfähig seien.“
Er macht eine bedeutungsvolle Pause, in der er die Beine an den Stuhl heran und sich selbst in eine aufrechtere Position zieht.
„Ich bin mir sicher, dass sie die Tragweite dieses Ausspruchs nicht erkannten. Und ich bin mir auch sicher, dass sie dieses eine Ereignis meinten, nicht ihre Herrschaft im Allgemeinen, die ich jedoch nicht einzuschätzen vermag. Was sie vielleicht nicht wussten, vielleicht aber auch nur vergessen hatten, war, dass das Eingeständnis der Unfähigkeit von Archon oder Nyame eine der wenigen Möglichkeiten überhaupt ist, diese aus ihrem Amt zu entfernen.“
Alnock fährt sich mit der Hand durch den Bart und reibt sich dann die Nase. Er zeigt ein freudloses Grinsen und sagt:
„Das mag jetzt so klingen, als habe der alte Alnock unzählige Gespräche mit Avataren und dergleichen geführt und würde sich wirklich auskennen, was diese Dinge angeht. Das stimmt natürlich nicht. Nichts davon wusste ich in jener Nacht, doch Aeris selbst und Andere haben genügend Bemerkungen fallen gelassen, dass ich mir das gesamte Bild zusammenreimen konnte.
Nach den Ereignissen dieser Nacht war die Position von Archon und Nyame des Nordens im besten Falle unsicher. Ihre Positionen waren plötzlich angreifbar, und außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft hatten diese beiden mehr Feinde als Freunde. Archon und Nyame konnten herausgefordert werden um ihren Titel, dies erfuhr ich. Es gab Prüfungen zu bestehen, und der amtierende Archon musste vom Herausforderer im Kampf besiegt werden, wenn die Geschichten stimmten. Es fanden sich wohl genügend Männer, die den Archon des Nordens forderten. Einige, weil sein Volk und ihr Volk Feinde waren, andere weil Ignis aktiv all jene ermunterte, die er dazu bewegen konnte. Auch Ka'Shalee Zress' zu fordern drängte der Herr des Feuers, und zumindest Eine fand sich, es zu tun.“
Alnock verhält in seiner Rede, so als zögere er oder wäre unsicher, ob er eine bestimmte Sache aussprechen soll. Schließlich zückt er eine Pfeife und beginnt umständlich, sie aus einem Beutel zu stopfen. Erst als er damit fertig ist, nimmt er den Faden wieder auf. Die nicht angezündete Pfeife ruht dabei in seiner Rechten.
„Große Opfer sind in diesem Sommer im Süden gebracht worden, und Taten, die Eure Dankbarkeit verdienen. Nicht alle davon mag ich hier preisgeben und bitte Euch, mir dies nachzusehen. Sollte es dereinst nötig sein, werde ich Euch einweihen. Bis dahin soll dies schon mehr als genug der Worte zu diesem Thema sein.“
Alnock öffnet die Laterne auf dem Tisch neben sich und entzündet einen Kienspan an ihr. Diesen führt er zu seiner Pfeife. Ein paar Augenblicke lang gilt seine ganze Aufmerksamkeit nur diesem Gegenstand. Schließlich bläst er Rauch sichtlich zufrieden in Richtung der Zimmerdecke.
„Es war wieder einmal die Stunde vor dem Sonnenaufgang, als wir in das Lager der Erde zurück kehrten. Und wieder war der Schlaf, den ich erhaschen konnte, viel zu kurz.“
„Wie genau der zweite volle Tag im Süden begann, weiß ich nicht mehr. Zu Vieles ist in zu kurzer Zeit geschehen in jenen Tagen.
Was ich weiß, ist folgendes: Das Wetter hatte aufgeklart, und eine strahlende Sonne brannte von einem fast völlig klaren Himmel hernieder. Die Nyame des Westens bemühte sich, zunächst mit vielen derer in Kontakt zu bleiben, die einerseits die Banner der Macht von Nuven, Achon des Südens erneut erringen wollten oder die an der Aufklärung des Mordversuchs durch seine Nyame arbeiteten.
Habe ich eigentlich von der Elfe erzählt?“
Sein Blick geht in die Runde, obwohl er die Antwort natürlich weiß.
„Schande über mein Haupt, doch habe ich ihren Namen vergessen. Wahrscheinlich war es einer von diesen schwierigen Elfennamen, mit vielen Th's und Ll's. Diese Elfe jedenfalls war schon am ersten Tag zu Siobhán gekommen. Sie war wohl die Vorsteherin des Hofstaats von Aysa, und sie hat das Schlachten am ersten Abend überlebt. Sie konnte uns viele Dinge berichten, und andere wurden von den eifrigen Siedlern zusammen getragen, die sich ebensowenig Ruhe gönnten wie Siobhán.
Diese Elfe erzählte uns Einiges von den Edalphi, nämlich dass sie ein altes Volk sind und nur sehr wenige Lebensjahre haben. Nuven und die Elfen, die ihn begleiteten, trafen auf die Edalphi, als sie in den Süden kamen. Und diese eine Elfe war die einzige Elfenfrau, die es noch gab von jenen, die in den Süden gezogen waren mit Nuven.
Ich glaube, dass es diese Kunde war, die so manchen hellhörig werden ließ, und die bewirkte, dass die Gelehrten begannen, in die richtige Richtung zu schauen. Sie reimten sich an diesem Tage so einiges zusammen, manches richtig, wie sich herausstellte, manches Unsinn. Doch die Auflösung möchte ich mir für den Schluss aufheben.
An jenem Tag sah ich selbst einige der Edalphi von Nahem. Jede und jeder von ihnen hatte an den Schläfen metallene Auswüchse, Jackenknöpfen nicht unähnlich, und es ging das Gerücht, dass die Edalphi eines der Urvölker seien, die irgendwann auf ihrem Weg den rechten Pfad verlassen und sich der Technischen Ratio zugewandt hatten, dem Widerpart von Magica und das letzte der Antielemente, welches wir noch nicht befreit haben. Nach einer Weile im Dienste der Ratio haben sie jedoch ihren Weg zurück zu Magica gefunden, der sie sehr verbunden sind. Zur Strafe über den Abfall belegte die Technische Ratio sie mit einem Fluch, der ihre Lebensspanne auf wenige Jahre einschränkt. Das zumindest war die Mär, und diese warf weitere Fragen auf, an deren Beantwortung man fieberhaft arbeitete. Dies war der zweite Tag von dreien, die die Elemente die Zeit für Aysa und Nuven angehalten hatten, und die Avatare wurden nicht müde zu betonen, dass eine Lösung gefunden werden musste für das Rätsel, das Aysas Angriff auf ihren Archon darstellte. Mehr stand auf dem Spiel als nur das Leben des Archons oder der Nyame.
Und wie konnte sie, als Mitglied eines der Urvölker, überhaupt Nyame werden, wenn doch Angehörige der Ersten Völker diese Positionen nicht besetzen können?
Nun, es gab viele Fragen an jenem Tag, und viele Antworten zu ihnen, wie schon gesagt manche richtig und andere nicht. Siobhán jedenfalls zog irgendwann vor dem Mittag mit Maedhbh, dem Kantor der Achenar und mir selbst zum Lager Magicas, das nur einen kräftigen Steinwurf von dem unseren entfernt lag.“
Er schmunzelt.
„Die Elfe jedoch, deren Namen ich vergaß, verbrachte viel Zeit im Lager der Namaras. Sinead und Collin glaube ich waren sehr bemüht, sie mit der wilden Art der Kelten einerseits zu erschrecken und sie andererseits mit der Gastfreundschaft und Freundlichkeit Eurer Leute zu verblüffen. Am Ende ging sogar der Scherz, sie in karierte Kleider zu hüllen.“
Nun verfinstert sich sein Gesicht wieder. Er zögert einen Moment, zieht die Schultern hoch wie ein Mann, der sich bereit macht, durch eiskalten Regen zu laufen. Dann:
„Doch ich war dabei, zu erzählen, dass wir ins Lager der Magie gingen. Siobhán wollte mit Magica sprechen, wohl über die Herrscher des Nordens und wie groß die Gefahr wirklich war, dass sie ihre Titel verloren.
Magica jedoch war nicht im Lager. Dafür kamen die Viinshar, lautlos und fremdartig, weder von Tor noch Palisade noch Schild zu stoppen.“
„Schon ganz am Anfang war etwas seltsam im Lager, in der Nähe des Schreins der Magie. Ein aufrecht stehender Stein, übermannshoch, war dort erschienen, und Nachforschungen hatten ergeben, dass er die ganze Zeit dort gestanden hatte, doch von der Leere verschleiert worden war.
Um diese Stele herum waren nun andere Steine aufgetaucht. Wie man mir sagte, bildeten sie zusammen die Teile eines magischen Kompasses - was auch immer das sein mag. Es fehlten noch Teile, doch die Viinshar schienen sich trotzdem für dieses Gebilde zu interessieren.
Sie kamen ins Lager, am hellichten Tage, angeführt von Aniesha Fey. Zwei von ihnen trennten sich von den anderen und begannen, um einen der Steine eine Art Tanz aufzuführen. Gegen die Viinshar hilft weder Stahl noch Magie. Die Naldar jedoch, die Aeris dienen, dem Widerpart zur Leere, kennen ein Lied, welches sie singen, um der Leere zu schaden oder zumindest vor ihrem Einfluss geschützt zu sein.
Dieses Lied hatten Siedler wohl aufgeschnappt von den Naldar, und eine Stimme stimmte es an in diesem Moment. Andere fielen ein, dann immer mehr, bis schließlich eine große Traube von Siedlern den Schrein und die Stele umstanden und dieses Lied schmetterten, um die Leere zu vertreiben. Es ist kein schwieriges Lied, das Lied der Naldar, und selbst ich lernte es schnell. Ich würde es Euch lehren, wenn ich das Gefühl hätte, dass es hilft. Doch unser Gesang irritierte die Viinshar im besten Fall. Es bremste oder behinderte sie nicht, und es vertrieb sie keineswegs. Im Gegenteil. Aniesha Fey ging umher und belegte die Sänger mit Zaubern, die ihnen die Stimme raubten, ihnen das Singen unmöglich machte. Ich selbst schmetterte das Lied aus vollster Kehle. Mein Gesang wird nicht schön gewesen sein, und meine Stimme vor Wut und Furcht zu laut, zu gepresst. Bis die Herrin der Viinshar mir in die Augen blickte und mit einer Handbewegung wie ein sanftes Greifen vor meinem Gesicht meine Stimme stahl.
Siobhán klammerte sich derweil die ganze Zeit förmlich an den Schrein von Magica, erflehte Kraft und Beistand, wie ich annehme und was ich für einen guten Einfall halte, denn es gab im Lager nichts, was den Viinshar widerstand, geschweige denn ihnen entgegen zu treten vermochte.“
Er lacht freudlos und halblaut in sich hinein.
„Würden die Viinshar verletzt werden können von trotzigen Stimmen, dann wären sie wohl allesamt ausgelöscht worden. Doch so wanderten sie frei umher, und alles Singen half nicht.
Dann änderte Anisha Fey ihren Kurs und steuerte direkt auf den Schrein zu, direkt auf unsere Nyame. Maedhbh stellte sich ihr in den Weg, versuchte Siobhán mit ihrem eigenen Körper zu schützen. Ich selbst war hinter der Herrin der Viinshar, und aus einem Reflex heraus versuchte ich, sie an der Schulter zu packen und zurück zu ziehen.
Mein Griff ging ins Leere. Die Viinshar haben Gestalt, doch keine Körper. Ich spürte ungeheure Kälte an jener Hand, die sich dort befand, wo der Körper der Tochter der Leere sein sollte. Ich konnte nicht anders, als meine Hand zurück zu ziehen, als hätte ich mich verbrannt.
Um wie viel schlimmer muss sich Maedhbh gefühlt haben, denn die Viinshar ging einfach durch sie hindurch, als existiere sie gar nicht. Schließlich war zwischen Anisha Fey und Siobhán NiCharthaigh nichts mehr als eine kleine Vogelfeder, die die Nyame der Herrin der Viinshar entgegen streckte, ein Zeichen für Aeris. Sie wankte nicht. Sie blinzelte nicht einmal. Sie fürchtete sich, ganz bestimmt. Aber sie wich diesem seltsamen Kampf - und ein solcher war es, auch wenn keine Fäuste oder Klingen flogen - nicht aus. Dann eine erneute Handbewegung von Aniesha Fey, und Siobhán schloss einfach die Augen und sank wie ein Kinderspielzeug, dessen Fäden man durchtrennt hatte, in sich zusammen, gelehnt an den Schrein Magicas.“
Alnocks innere Erregung überträgt sich auf seinen Körper. Er springt auf und beginnt erneut, im Raum auf und ab zu schreiten.
„Ich hätte schreien mögen, doch ich konnte nicht. Meine Stimme war noch immer ohne Ton. Siobhán lag hilflos, wehrlos am Boden. Doch die Viinshar taten nicht, was ich befürchtete. Statt dessen zogen sie ab, lautlos und fremdartig, so wie sie gekommen waren.“
Man sieht ihm auch jetzt noch an, was für eine Anspannung dieser Moment für ihn gewesen sein musste. Sein Brustkorb schwillt unter einem mächtigen Atemzug an, der seine Lungen bis zum Bersten füllt. Dann stößt er die Luft in einem gewaltigen Seufzer wieder aus.
„Das war der Moment, an dem Malakin zu uns stieß. Malakin, auch wenn wir am Anfang nicht wussten, dass er so hieß. Ein Mann, jung noch an Jahren, gewandet in edle Gewänder. Er sprach zu Siobhán, die aus dem Schlaf erwachte, in den der Zauber der Viinshar sie versetzt hatte. Und er sprach mit der Stimme Magicas, oder so zumindest berichtete mir unsere Herrin. Magica selbst hatte ihn geschickt, um Siobhan zu schützen.
Malakin selbst war wie von Sinnen, wie ein Träumer oder Schlafwandler. Er sprach nicht, aber er reagierte auf seine Umwelt. Er zog von da an mit uns, mehr ein überlaufendes Gefäß purer Magie als ein menschliches Wesen.
Und meine Stimme kehrte zurück, als die Viinshar verschwanden.“
Alnock lächelt schwach und schüttelt seinen Kopf leicht, wie um eine Benommenheit abzuschütteln.
Für einen Moment stellt er sich an eines der Fenster und blickt hinaus in die Dunkelheit, während er weiter spricht:
„Wir zogen weiter auch an diesem Tag, Siobhán, Maedhbh, der Kantor, Malakin und ich selbst, zudem noch zwei der Naldar, aufrechte Männer, ernst, einfach aber voller Ehrhaftigkeit.
Nicht lange danach war es, als wir erfuhren, was durchaus die Naldar auf ewig von unserer Seite in diesem Kampf um Mythodea nahmen könnte. Ich glaube mich zu erinnern, dass wir im Luftlager waren, als wir die Kunde erhielten. Ich selbst hatte nichts Ungewöhnliches wahrgenommen, doch Siobhán sprach mit jemandem, ich glaube hochgestellten Personen unter den Naldar, und verfiel in eine Wut, die ich bei ihr nie für möglich gehalten hätte. Sie fluchte und stampfte mit den Füßen auf, schimpfte alle Siedler unglaubliche Narren und Dummköpfe. Was war geschehen? Wachen des Luftlagers hatten auf Befehl ihres Wachhabenden das Tor räumen, den Weg frei machen wollen. Naldar standen ihnen im Weg. Es gab wohl Mißverständnisse. Ein Kampf entbrannte, ein Kampf, in dem Naldar getötet wurden, unter ihnen der Heerführer der Naldar, Neruhn Sturmreiter. Insgesamt fielen vier der Naldar an diesem Tag durch Waffen der Siedler. Ich kannte keinen von ihnen, und doch war diese Nachricht wie ein Schlag mit gepanzerter Faust in meinen Magen. Die Naldar hatten zu jeder Zeit, zu jeder Gelegenheit gegen die Antielemente gekämpft. Sie allein hatten Portale gegen den Feind gehalten. Ihr Vertrauen in Aeris war grenzenlos. An der Seite der Siedler, für die Siedler hatten sie gestritten, und so war es ihnen gedankt worden.“
Alnock dreht sich wieder der Menge zu und lässte seinen Blick über sie schweifen, sucht hier und dort engeren Blickkontakt.
„Ich weiß nicht viel über diese Angelegenheit. Der Hauptmann der beteiligten Wachen trat soviel ich weiß vor die Naldar und nahm alle Schuld auf sich, zeigte sich bereit, jede Strafe auf sich zu nehmen, um seine Leute zu schützen. An diesem Verhalten kann ich kein Falsch finden. Doch der Schaden ließ sich dadurch nicht mehr gut machen. Die Naldar verfielen in tiefe Trauer oder schäumten vor Wut, je nach ihrem Wesen. Natürlich konnten wir nun keinen derer vom Volk des Windes mehr dazu beanspruchen, Siobhán zu schützen. Sie hatten ihre eigenen Schwierigkeiten und Sorgen, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn die Naldar das Lager Aeris' verlassen und nicht zurück gekehrt wären.
Eine Weile später - ich weiß nicht, was wir noch gemacht haben in der Zwischenzeit - begleiteten wir die Nyame ins Neutrale Lager, wo in den Zelten der Ulu Mulus ein Treffen von Nyamen und Archonten abgehalten werden sollte. Malakin war in der Zwischenzeit wieder zur Besinnung gekommen. Er erzählte uns von seinem engen Band zu Magica und empfahl sich dann, soweit ich weiß. Maedhbh war wie beinahe immer bei ihrer Schwester, wenn auch ebenso gebeugt vor Gram über den Verlust von Neruhn Sturmreiter wie sie. Der Kantor war da und bemühte sich auf seine ruhige, starke Art das Leid zu mildern. Für die Naldar waren die Männer um Allasdair MacManner eingesprungen und sorgten für Schutz.
Das Lager der Ulu Mulus! Was für ein seltsamer Name. Was für ein seltsamer Haufen! Doch gastfreundlich und ohne Fehl. Krieger der Dunkelelfen waren schon dort und bewachten ein Zelt aus schwerem schwarzen Stoff, in dem es so dunkel war, dass es den Drow bestimmt nicht unangenehm war. An dem Treffen nahmen die Nyamen des Westens, Nordens und Ostens teil, sowie der Archon des Ostens. Der Nordarchon war in einem Kampf früher an diesem Nachmittag ernsthaft verletzt worden und konnte der Zusammenkunft nicht beiwohnen. Ker'jac Turach, unser eigener Archon, fehlte ohne Erklärung.
Mir selbst blieb der Zutritt zum Ort der Unterredung verschlossen. Mit den Manners und einigen Drow, sowie Gefolgsleuten des Ostens hielten wir am Zelt Wache. Und ich fühlte mich als einer unter Gleichen. Egal wo wir herkamen, egal wie die Farbe unserer Haut, die Form unserer Ohren, der Klang unserer Namen war, wir waren aus dem gleichen Grund hier, mit dem selben bangen Hoffen, unsere Aufgabe gut zu erfüllen, damit jene, die dort in dem Zelt miteinander sprachen, nicht zu Schaden kämen. Ich fühlte mich in dieser Stunde den Drow verbundener als jenen Siedlern des Luftlagers, die den Naldar ihren unermüdlichen Dienst mit dem Tode gedankt hatten.
Es war ein langer Nachmittag, einer, in dem das Luftlager - vielleicht als Angebot der Sühne - die Aufgabe in Angriff nahm, eines der Portale der Luft zu reinigen, das in die Hände der Antielemente gefallen war. Ich glaube sogar, dass sie Erfolg hatten.
Wir kehrten irgendwann zurück ins Lager der Erde. Von der Lagerstatt der Nyame konnte man den Schrein Terras einsehen, wo zu der Zeit einige Leute versammelt waren. Kurz nachdem wir dort ankamen, ging von dort ein fürchterliches Geschrei los, und ich eilte dorthin, um zu erfahren, was vor sich ging. Wie vor den Kopf gestoßen war ich, als ich sah, dass es meine Gefährten, Zugvögel und ihre Begleiter waren, die dort am Boden lagen: Thane von Rabenfels sah ich dort, Coram, Gayancalian, andere noch. Sie lagen am Boden und schrien aus Leibeskräften, so als würden sie gefoltert, obwohl niemand sie anrührte.“
Alnocks Blick ist eindringlich, sein Mund ein dünner Strich. Vielleicht macht er sich Vorwürfe, dass seine Gefährten leiden mussten, während er nicht da war.
„Von Terra selbst hatten sie ihre Aufgabe erhalten: 'Findet heraus, was mit den Körpern der Edalphi aus dem Hofstaat geschehen ist'.
Und so haben sich Thane und Coram, beides meisterliche Alchemisten, die die Nyame selbst nach Kräften mit Tränken unterstützt haben, um sie zu schützen, daran gemacht, einen besonderen Trank zu bereiten, mit dem sie diese Aufgabe lösen konnten.
Diesen Trank hatten jene eingenommen, die dort lagen und schrien, für lange, ewig lange Augenblicke, in denen ich nichts tun konnte, als die Hände meiner Gefährten zu halten in der Hoffnung, sie könnten meine Nähe fühlen und würden Kraft daraus ziehen.
Irgendwann verstummte das Geschrei, und die Liegenden kamen langsam wieder zur Besinnung. Sie berichteten davon, dass sie die Edalphi hatten finden können in einer Art Traum, und dass den Gesuchten dort schlimmste Qualen bereitet wurden. Die Seelen der Edalphi hatten sie gefunden, und ihre Schmerzen hatten sie geteilt. Daher das Schreien und Winden. Die schreckliche Wahrheit war diese: Die Edalphi wurden gefoltert, und immer wieder hatten sie etwas gerufen wie: 'Nein, ich will nicht das Gefäß für Gerchon Perivar werden'. Und als sie zurück kehrten aus der Anderswelt, in die der Trank ihre Geister versetzt hatte, da hatten sie plötzlich einen einfachen tönernen Krug bei sich, der zuvor noch nicht da war.“
Alnock hebt den Blick zu den Anwesenden und den Finger seiner rechten Hand.
„Ich glaube, jetzt könnte ich einen Schluck Uisce vertragen.“
Die kalte Flüssigkeit erzeugt ein warmes Brennen im Mund und auf dem Weg zum Magen. Alnock schmatzt genüsslich. Seine Hand hält noch immer den winzigen Tonbecher, in dem man ihm das Getränk gereicht hat.
Abwesend nickt er wohlwollend in keine bestimmte Richtung, um seine Zustimmung für das Getränk auszudrücken.
Dann nimmt er den Faden seines Berichts wieder auf:
„Gerchon Perivar war oder ist - so stellte sich heraus - einer der mächtigen Schergen der Knochenkönigin, der Herrin der Untoten. Ein Nekromant, untot vermutlich, soll er zu jenen gehören, die die Armeen der Knochenkönigin mit immer neuen Leibern füllt.
Wie sich herausstellte, war dieser Krug, der so plötzlich erschienen war, ein Gegenstand aus dem Besitz eben dieses Zauberers. Ich habe nicht Alles davon verstanden, aber der Topf war lange im Besitz des Perivars, und die Magier glaubten, mit dem Gegenstand den Eigentümer rufen und hernach vernichten zu können.
Ein Ritual wurde vorbereitet, wieder mit Mitarbeit der Zugvögel, doch unterschätzte man wohl die Gefahr. Gerchon Perivar wurde der Bemühungen, ihn zu finden, gewahr, und am Lagerplatz der Zugvögel tauchte er später, vielleicht am Folgetag sogar, mit einer Horde Untoter aus dem Nichts auf, als nur der Schmied Duncan, der Bogenschütze Leif und der Magier Andronicus dort weilten. Ich war nicht dabei, doch war es wohl nur Andronicus' Magie und schneller Auffassungsgabe zu verdanken, dass die Drei überlebten, bis ihnen schließlich Andere zur Hilfe eilten. Der Nekromant jedenfalls konnte nicht mehr gefunden und vernichtet werden, und ich fürchte um meine Gefährten von den Zugvögeln und die Rache des Perivar.
Andere Kunde von diesem Tag erreichte mein Ohr, Kunde von Siedlern, die bereit waren, sich ihre Dienste von den Antielementen in Münze bezahlen zu lassen. Ich möchte hier nicht viele Worte dazu verlieren. Falls Ihr jemals Gerüchte darüber hört, seid versichert, dass die Gefolgsleute der Nyame dieser stets treu gefolgt sind und ihre Fehler - so sie denn welche gemacht haben - aus eigenem Antrieb berichtet haben. Schlimme Drohungen hängen nun über einigen der Siedler, und mich schaudert bei dem Gedanken, an ihrer Stelle zu sein.
Doch genug davon. Wenden wir uns wieder jenem Abend zu, der noch eine traurige Pflicht bereit hielt: Den Totenzug für Neruhn Sturmreiter und die übrigen gefallenen Naldar. In der Dunkelheit schlängelte sich der Zug von Lager zu Lager, ein gewaltiger Wurm von Menschen und Angehörigen anderer Völker, Siedler wie Urvölker, begleitet von dumpfen Trommelschlag und flackernden Fackeln. Wohl an die Tausend Köpfe waren es, die dieser Zug zählte, und traurig und erhebend zugleich war dieser Augenblick. Der Kantor war wieder oder noch immer bei der Nyame, und natürlich Maedhbh. Der Ordensmann der Achenar erschien mir wie von Sinnen: In jedem Schatten, hinter jedem Busch vermutete er Attentäter am Wegesrand, und er gab nicht eher Ruhe, bis ich mich dort in den Zug eingereiht hatte, wo er meinte, dass ich unsere Nyame am besten schützen konnte.
Der Zug führte durch jedes Lager und endete im Lager der Luft am Schrein Aeris', wo Naldar eine Feierlichkeit vorbereitet hatten. Es war ein besonderer Moment, auch wenn ich keinen der Toten gekannt hatte. Leider wurde er gestört von Kriegern der Schattenstürmer, die keine der Anhänger der Nordnyame in ihrem Lager dulden wollten, die der Feierlichkeit auch beiwohnte. Waffen wurden gezogen, Beleidigungen ausgesprochen, und die Feierlichkeit des Moments schien den Schattenstürmern unwichtig, ja geradezu nichtig zu sein. Das war eine unschöne Wendung, und eine, der mich erzürnt hat. Doch es war auch der Moment, in dem ich S'Ley, Tochter von Archon und Nyame des Südens das erste mal wirklich sah.
Sie stellte sich unbewaffnet und mit ausgebreiteten Armen als Schild zwischen die Drow und jene Schattenstürmer, deren Hass mich unsagbar traurig, aber auch fürchterlich zornig machte. S'Leys Beispiel machte Schule, und der Wall aus Leibern, der so entstand, verschaffte dem Norden Zeit für einen hastigen Rückzug.
Nach der Trauerfeier kehrten auch wir zurück in unser Lager. Gleichwohl ich müde und zerschlagen war, war ich zu aufgewühlt, um zu schlafen. Mit Siegfried, einem der Freunde der Zugvögel, der aus dem gleichen Reich zu stammen scheint wie die Schattenstürmer, redete ich noch lange, und Siegfried versuchte, mir ihren Hass zu erklären. Seine Worte halfen mir, zu verstehen, warum sie diesen Hass hegen, nicht jedoch, warum sie ihn nicht ablegen können.
Als Siegfried und seine Mannen zur Nachtwache schritten, krabbelte ich in meine Schlafstatt. Ich war sicher, noch lange nicht einschlafen zu können, doch der Schlaf fand mich, noch bevor mein Kopf das Kissen berührte.“
Alnock stellt das Gefäß ab, aus dem er getrunken und das er die ganze Zeit in Händen gehälten, mal krampfhaft umklammert, dann wieder spielerisch zwischen den Handflächen gerollt hat.
„Der nächste Tag brach an, ein Tag, der so viele Ereignisse bereit hielt, dass mir noch heute der Kopf bei dem Versuch schwirrt, sie alle zu ordnen.
Wir starteten spät in diesen Tag, und ich hatte viel Gelegenheit, am Lager der Nyame all jene ein wenig besser kennen zu lernen, die sie begleiteten. Schon begann sich spielerische Frotzelei und scherzhaftes Geplänkel zu entwickeln, wie es üblich ist für Gefährten in schlimmer Lage. Ich genoss die Gesellschaft.
Es war ein brüllend heißer Tag mit einer Sonne, die schon früh morgens alles daran setzte, mir die Haut vom Gesicht zu sengen. Ich schwitzte bereits vor dem Aufbruch erbärmlich, und tat dies den ganzen Tag lang, doch hörte ich von den höflichen Damen aus Eurem Land keine Klagen über meinen Geruch.“
Er lacht leise in sich hinein. In den Schatten hinter Alnock entsteht Bewegung. Mit langsamen Schritten kommt ein großer, grau getiegerter Kater ins Licht, den Schwanz steil aufgestellt. Seine gelben Augen reflektieren das Licht der Laternen. Das Tier blickt sich einige Herzschläge lang unschlüssig um, dann wandert es gemächlich zu Alnock herüber, an dessen Beinen es seinen Kopf reibt. Unbewusst geht dieser beim Erzählen zu seinem Stuhl zurück und setzt sich. Kaum dass sein Hosenboden die Sitzfläche berührt hat, springt das Tier mit einem leisen gurrenden Geräusch auf seinen Schoß, sucht sich umständlich eine ihm angenehme Position und lässt sich dann majestätisch nieder. Zum lautstarken Schnurren des Tieres beginnt Alnock ohne es bewußt wahr zu nehmen, den Kopf des Katers mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand zu massieren.
„Das Luftlager versuchte schon früh am Morgen, ein weiteres Portal Aeris' zu reinigen, doch es scheiterte und Schwarzes Eis brach aus dem Portal hervor und musste bekämpft werden. In der Nähe des Lagers der Orks entbrannte ein Kampf, der Stunden andauerte.
In der Nähe des Tors des Erdlagers hingegen trafen zu dieser Zeit die Nyamen aus Osten, Norden und Westen und der Archon des Nordens zusammen. Der Norden hatte starke Leibgarden bei sich, und tat gut daran, denn es war allgemein bekannt geworden, dass Archon und Nyame nicht mehr hoch in der Gunst der Elemente standen. Die Drow schreckten mich nicht sonderlich. Die Krieger des Chaos jedoch, Anhänger des Archons des Nordens, waren schrecklich anzuschauen und benahmen sich mit einer Wildheit und schwer gezügelter Wut, die mich schaudern ließ trotz der Hitze.
Ich weiß nicht, woher sie kamen, doch plötzlich waren die Viinshar da und versetzten Alles in Aufregung. Drow, Chaoskrieger und die Anhänger der Nyamen aus Ost und West versuchten, so gut es ging zwischen ihre Herrscher und die Töchter der Leere zu kommen. Ich selbst wusste in diesem Augenblick nicht, wer neben mir stand oder wo Siobhán war. Alles, was wichtig war, waren die Viinshar, besonders ihre Königin - oder welche Position dieses Wesen auch immer bei ihnen bekleidet.“
Alnock ist unruhig geworden bei diesem Teil der Erzählung. Unstet rutscht er auf dem Stuhl herum, und seine Haltung drückt Anspannung aus. Der dicke graue Kater öffnet seine Augen und blickt ihn vorwurfsvoll an, verkündet seine Mißbilligung durch eine Folge von kurzen Lauten, die fast wie ein Meckern klingen. Der Mann, den sich das Tier als Liegeplatz auserkoren hat, lächelt, und mit diesem Lächeln entspannt sich sein Körper. Er lehnt sich wieder zurück, nimmt sein Kraulen wieder auf und atmet tief durch. Zufrieden schließt der Kater seine Augen wieder und setzt sein tiefes, rumpelndes Schnurren fort.
„Was genau geschehen ist, vermag ich Euch nicht zu sagen. Meine Erinnerungen sind getrübt. Woran ich mich erinnere sind die Augen von Aniesha Fey, schwarze Seen ohne Grund, die mich riefen wie ein Abgrund einen des Lebens Überdrüssigen. Ich muss wohl aus unserer Reihe vorgetreten sein, obwohl ich mich daran nicht erinnere, denn plötzlich stand ich auf Armeslänge vor der Herrin der Viinshar, die doch eben noch einen halben Steinwurf entfernt war.“
Unter dem Einfluss seiner Erzählung hat sich Alnock erneut verkrampft. Sein Kraulen ist unstet geworden. Mit einem protestierenden Aufschrei wirbelt der Kater in einer einzigen Bewegung herum, umklammert Alnocks Arm mit beiden Vorderpfoten und beißt in sein Handgelenk. Dann schießt er von Alnocks Schoß. Einen großen Schritt entfernt setzt er sich hin, schaut Alnock vorwurfsvoll an und beginnt dann, sich zu putzen. Der Gemaßregelte reibt sich noch einige Augenblicke das schmerzende Handgelenk, blickt bedauernd auf den Kater und zuckt schließlich mit den Achseln.
„Für einen Moment war ich klar im Geist und nahm wahr, wo ich war und in wessen Gesellschaft. Ich stand alleine vor der Herrin der Töchter der Leere, die wohl ein halbes Dutzend oder mehr von ihnen bei sich hatte. Dann schlug der Bann ihrer Augen erneut über mir zusammen wie die Fluten eines Sees. Ich konnte ihren Zwang in meinen Gedanken fühlen. Ich wehrte mich, doch meine Bemühungen waren fruchtlos wie die eines Kindes, das mit einem Krieger ringt. Von ihrem Willen wurde ich vor ihr auf die Knie gezwungen. Erneut kniete ich in diesem Moment vor einem Wesen, wenn ich auch nicht weiß, ob die Viinshar Sterbliche sind. Für diesen Moment war war mein Geist erneut frei. Ich war voller Verwunderung und voller Angst. Und dann hörte ich die Stimme Siobháns aus meinem Rücken, die ein Wort rief, meinen Namen, und ich hörte Erschrecken und Angst und Besorgnis aus diesem Ruf heraus und war seltsam bewegt dadurch. In diesem Moment fühlte ich Bedauern. Bedauern vor Allem darüber, dass ich ihr Sorgen und Schmerz bereitet hatte und noch bereiten würde. Denn ohne Zweifel war mein Leben verwirkt. Dann aber sprach Aniesha Fey ein Wort, das ich hörte, an das ich mich jedoch nicht erinnern kann.“
Er schluckt schwer, klatscht dann jedoch in die Hände, was ihm einen weiteren vorwurfsvollen Blick seitens des sich noch immer hingebungsvoll putzenden Katers einbringt.
„Nun, wie ihr seht, lebe ich noch. Das nächste, was ich weiß, ist, dass ich von vielen Beinen umgeben war, dass Hände mich hielten und ein Mann seine Hände auf meinen Schultern hatte. Eine fürchterliche Schwere war in meinen Gliedern, verschwand aber rasch. Der Mann sagte mir, dass ich versteinert worden wäre und er den Zauber der Viinshar aufgehoben hatte. Es beschämt mich, dies zu sagen, doch ich fürchte, ich habe ihm nicht einmal gedankt.“
„Man brachte mich nach hinten, weg von den Viinshar, und alsbald stießen Siobhan und ihre anderen Begleiter aufgeregt zu mir.
Es war der Kantor, der unsere Nyame darauf aufmerksam machte, dass die Leere mich berührt hatte und ich eine Gefahr sein könnte. In diesem Moment war ich sehr erschrocken, und ein wenig hasste ich den Kantor wohl auch, für das, was er sagte. Besonders, weil er Recht hatte. Ich wußte nicht, was mir widerfahren war. Ich wusste nicht, was die Herrin der Viinshar mit mir angestellt hatte.
Da trat eine andere Frau vor mich. Ich hatte sie natürlich schon gesehen, wußte, dies war Tiara Lea, die Nyame des Ostens. Sie kam zu mir und blickte mich an, blickte in mich hinein, hieß mich zu knien und legte ihre Hände auf meine Stirn.“
Alnock macht eine kleine Pause. Während er fort fährt, kehrt der Kater zurück zu Alnocks Stuhl, springt mit einem geschmeidigen Satz auf seinen Schoß und nimmt exakt die gleiche Position ein, die er inne gehabt hatte, bevor er so rüde vertrieben wurde.
„Die Herrin des Ostens ist ebenso eine wahre Nyame wie unsere Herrin, und dennoch ist sie ganz anders. Wo Siobhán klein ist, manchmal beinahe wie ein Kind wirkt, da ist Tiara Lea eine erwachsene Frau von ich würde annehmen durchschnittlicher Größe. Sie wirkt ernster als Siobhán, doch in vielerlei Hinsicht sind sie sich ähnlich.
Meine Untersuchung - denn eine solche war es - durch die Nyame des Ostens dauerte eine kleine Weile. Dann trat sie einen halben Schritt zurück und verkündete für alle in der Nähe Stehenden, dass ich die Berührung der Leere überstanden hatte, ohne dass ich dabei verderbt wurde. Ihr dürft mir glauben, dass ich wirklich erleichtert darüber war. Und ich freute mich über die Erleichterung auf den Gesichtern Maedhbhs und Siobháns. 'Du beschützt meine Schwester?' fragte mich die Nyame des Ostens daraufhin. Alles, was ich tun konnte, war wie ein dummer Junge zu nicken. Da legte Tiara Lea erneut ihre Hände auf mich und sagte 'Sorge Dich nicht. Für die Aufgabe, die Du Dir gewählt hast, will ich Dir Hilfe gewähren.' Und während sie noch so sprach, begann meine Haut zu kribbeln wie von vielen Ameisen. Meine Haare stellten sich auf, und ich fühlte förmlich, wie meine Haut fester und widerstandsfähiger wurde, ohne ihren Tastsinn einzubüßen. Dieser Zauber, den sie auf mich legte, fühlte sich völlig anders an als die Verzauberungen von Aniesha Fey. Wo die Viinshar meinen Geist mit Zwang belegte, mir Gewalt antat, da erfüllte mich die Magie der Nyame mit Kraft und Zuversicht.
Ich begriff, was sie getan hatte. Sie hatte den Schatten des Zweifels von mir genommen vor aller Augen. Sie hatte meine Bemühungen, ihre Schwester aus dem Westen zu schützen, gutgeheißen und gelobt. Und sie hatte mir mit ihrem Zauber Schutz über die Möglichkeiten meiner heißen, verschwitzten Rüstrung hinaus gegeben, geknüpft an diese Aufgabe, die ich angenommen hatte. Noch immer kniete ich, doch in diesem Moment nicht mehr als Verdächtiger oder Unterlegener, sondern als freier Mann und aus freien Stücken, um dieser zweiten Nyame, der ich ins Herz schauen durfte, meinen Respekt und meinen Dank auszudrücken.“
Seine Hand krault abwesend den Kater, der sich alsbald dadurch revanchiert, dass er beginnt, Alnocks Hand zu putzen. Zwei Pfoten mit halb ausgefahrenen Krallen halten diese dabei an ihrem Platz.
„Natürlich musste ich allen, die ich begleitet hatte, erklären, was geschehen war, obwohl ich das nicht wirklich konnte. Alle schienen zufrieden zu sein, dass es mir gut ging. Lediglich der Kantor der Achenar bedachte mich noch eine Weile mit mißtrauischen Seitenblicken.“
Einige lange Augenblicke bleibt Alnock stumm, sinniert im Stillen oder ordnet seine Gedanken, während ihm der graugetigerte Kater hingebungsvoll nicht vorhandenes Fell reinigt.
„Irgendwie zogen wir kurz darauf in Richtung des Portals zwischen den Lagern Aquas und der Orken, dessen Reinigung vergeblich versucht worden war. Die Kämpfe klangen ab, kurz bevor wir dort eintrafen. Ich erinnere mich an zwei Zwerge, die - noch immer vom Kampf berauscht - versuchten, einen Kampf mit den Bewachern des Herrin des Nordens anzuzetteln. Ich versuchte, den Streit zu schlichten, mit dem Ergebnis, dass mich die Drow belächelten und die Zwerge mir die kalte Schulter zeigten. Doch zumindest kam es nicht zum Kampf.
Die ganze Zeit über versuchten die Viinshar, zu Lord Elkantar vorzudringen. Es kam, wie es kommen musste: Irgendwann gelang es ihnen. Zwar war der Herr des Nordens umringt von drei Nyamen, die ihn zu stärken versuchten, das konnte man sehen. Dennoch gelang es Aniesha Fey, an ihn heranzutreten. Viel hörte ich nicht von dem Gespräch, doch wurde es klar, dass die Viinshar wußten um die Lage des Nord-Archons: dass er in Ungnade gefallen war und es Bewerber gab, ihn auf seinem Posten abzulösen. Die Herrin der Viinshar versuchte ihn, bot ihm Beistand an und die Möglichkeit, auf die andere, auf ihre Seite über zu wechseln.
Soviel muss gesagt werden: Zumindest äußerlich wankte der Archon des Nordens nicht in seiner Ablehnung dieser Angebote. Sein Gesicht habe ich nie gesehen, denn immer trägt er eine stählerne Maske, doch auch wenn er eine schwere Last auf seinen Schultern trug, so zeigte er es nicht.
Wie sich herausstellte hatte das Luftlager nicht gewußt, dass die Tore in einer bestimmten Reihenfolge gereinigt werden mussten. Dieses Tor war das falsche gewesen, und alsbald erneuerten die Beteiligten ihre Bemühungen an einem anderen Tor in der Nähe des Erdlagers.
Vorher ereigniete sich noch etwas, das ich bis heute nicht verstanden habe. Es mag nicht von Bdeutung sein, dennoch möchte ich diesen Punkt in meiner Erzählung nicht auslassen. Zwischen dem ersten Ritter der Achenar und ihrem Kantor ereignete sich ein Streit. Ich weiß nicht, was der Anlass war, aber beide waren sehr aufgebracht. Der Herr von Stauffenberg stampfte danach vor Wut schnaubend umher. Als ich mich ihm in den Weg stellte und versuchte, ihn anzusprechen, um ihn zur Vernunft zu bringen, da sprach er kein Wort und blickte mich nur an, als wolle er mich jeden Moment niederschlagen. Ich wußte, dass seine Wut nicht mir galt und ließ ihm die Ruhe, die er wohl brauchte. Der Kantor hingegen zerrte sich seine Roben vom Körper und drückte sie einem anderen Bruder aus dem Orden in die Hand. Als er nur noch in Hose und Stiefeln da stand, sagte er etwas in der Art, dass er den Rest dem Orden später zurückgeben würde. Dann bestand er darauf, dass er nicht mehr Kantor gerufen werden wolle, sondern bei einem anderen Namen, den ich aber wieder vergessen habe. Offenbar hatte er sich mit dem Orden überworfen. Mir erschienen seine Taten wirr und fast vom Wahn geprägt. Offenbar ist dies seine Art: Er neigt zu unverrückbaren Standpunkten und manchmal übertrieben großen Gesten.
In meiner Erinnerung war es Malakin, der besänftigende Worte zu ihm sprach, und einige Zeit später sein Ordensbruder Jadawin, der ihn wieder zur Vernunft brachte. Offenbar konnten die Achenar den Kantor wieder besänftigen, denn einige Stunden später wirkte er verlegen und ein wenig jungenhaft, duldete jedoch wieder, dass man ihn als Kantor ansprach.
Dergestalt war die Lage, als aus dem Lager der Orks schließlich jener kam, den Siobhán seit Tagen und Nächten zu sprechen versucht hatte: Ker'jac Turach, der Archon des Westens. Unser Archon. Siobháns Archon. Er kam in Begleitung zweier anderer Orks, aber auch wenn diese nicht gerade klein zu nennen waren, so überragte er diese dennoch um mehr als Haupteslänge.
Der Archon des Westens ist eine beeindruckende Gestalt. Er ist um einiges größer als der durchschnittliche Mann, und seine Schultern und Arme zeugen von nahezu unmenschlicher Kraft. Sein Gesicht ist fremdartig, wild, aber dennoch spricht eine Schläue aus seinen Augen.
Das Treffen war nicht feindselig, was ich zunächst befürchtet hatte, aber auch alles andere als herzlich. Siobhán, die jedes Recht dazu hatte, Antworten zu fordern und anzuklagen, bemühte sich um eine ruhige Stimme und eine Wortwahl, die keine Deutung als Maßregelung zuließ, denn es ist bekannt, dass der Herr des Nordens stolz ist und von geringer Geduld.
Ker'jac berichtete, dass er in den vergangenen Jahren auf der anderen Seite des Ozeans war, um dort eine Armee zu sammeln. Nun sei er zurück. Es klang nicht so, als wollte er mit Siobhán zusammen arbeiten. Ich glaube vielmehr, eine versteckte Drohung in seinen Worten entdeckt zu haben, dass er den Westen für Seinesgleichen fordert. Alsbald endete jedoch dieses Gespräch, denn eine Abordnung der Schattenstürmer und anderer Kriegerorden kam, um den Archon an eine Verabredung für einen Waffengang zu erinnern, den sie und er hatten.
Dieser Waffengang von 50 gegen 50 unter dem Deckmantel der Ehre war Ker'jac offenbar wichtiger als ein Gespräch mit seiner Nyame. Sichtbar enttäuscht führte Siobhán uns vom Ort dieses Scharmützels fort. Was hätten diese Hundert, die sich dort die Köpfe einschlugen, erreichen können, wenn sie Seite an Seite gekämpft hätten?“
Alnock schüttelt den Kopf, und sein Gesicht drückt Bedauern und Unverständnis aus.
Er seufzt, und das Tier auf seinem Schoß erhebt sich wieder einmal und springt elegant von ihm herunter.
„Diese Geschichte nähert sich langsam ihrem Ende. Vieles habe ich vergessen oder ausgelassen: Die Mormoffel, den Graben des Wasserlagers, meine Gespräche mit Mattis Godeland von den Schattenstürmern, die Anschuldigung, Stimmen der Nyame hätten versucht, Gräber auf dem Friedhof zu schänden.
Vielleicht ist ein andernmal Zeit dafür. Der Abend schreitet voran, und die Kleinen werden bereits müde. Und den Großen geht es vielleicht nicht anders bei dieser langen Erzählung.
Doch möchte ich noch einmal um Eure Aufmerksamkeit bitten, denn nun folgt der wichtigste Teil meines Berichts, und vielleicht der, der am meisten dazu angetan ist, Verwirrung zu stiften.“
Nach diesem Vorwort lehnt sich Alnock bequem zurück und fährt dann fort:
„Auf wehen, müden Füßen schleppte ich mich noch von Lager zu Lager, immer in dem Versuch, die Spitze unseres kleinen Zuges zu bilden.
Schließlich beschloss Siobhán, das Orakel des Südens aufzusuchen, das sich in der Nähe jenes Ortes befand, wo Archon und Nyame noch immer wie Statuen in der Zeit festgehalten standen. Ich hatte bis zu jenem Augenblick nicht einmal von dem Orakel erfahren, doch es war da: Eine Ansammlung von Steinen, seltsame Symbole und eine Frau, die wohl das Orakel war.
Wir waren kaum dort angekommen, da überfiel die Nyame große Unruhe. Ihre Verbindung mit dem Land sagte ihr, dass ein schreckliches Ereignis bevorstand, und sie schickte ihre Begleiter aus, um die Lager zu alarmieren und Krieger zu sammeln.
Die beiden Naldar, die uns, nein die sie begleiteten, zögerten nur einen winzigen Augenblick und kamen der Bitte dann nach, unbeeinflusst von all dem Schlechten, das ihnen von Seiten der Siedler widerfahren war. Ich glaube, ein Siedler namens Pug übernahm die Benachrichtigung des Feuerlagers. Nun, als alle davon geeilt waren außer Maedhbh, dem Kantor und mir, war noch niemand zum Magielager aufgebrochen. Also rannte ich auf wehen Füßen los und überbrachte die Botschaft und schlich auf noch weheren Füßen zurück.
Ich kam an mit den ersten aus anderen Lagern, die Siobháns Ruf gefolgt waren. Es gab bereits eine Menschentraube um das Orakel, und ich hatte Mühe, wieder in Siobháns Nähe zu kommen.
Einige Siedler übergaben dem Orakel einen Trank, der die Leere vertreiben sollte, glaube ich. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Das Orakel fasste sich an die Kehle, dann machte es noch eine letzte Prophezeiung, bevor es tot zu Boden stürzte. Der Neshes'Re des Südens, ein Elf, warf sich daraufhin mit den Worten 'Nein, nicht nach all meiner Arbeit' auf den Magister Perensen aus dem Magielager, der den Trank übergeben hatte . Andere versuchten, den Elf nieder zu ringen oder festzusetzen, doch es gelang ihm zunächst zu fliehen, er wurde jedoch schließlich überwältigt. Und eine Naldar trat zur Hohepriesterin des Orakels und rammte ihr einen Dolch ins Herz. Als man ihrer habhaft werden wollte, entpuppte sie sich als Viinshar.
Den Orakelspruch des Orakels, seine letzten Worte jedoch, hatte kaum jemand gehört. Da kam ein Wind von Aeris auf und brachte die Worte zurück, immer und immer wieder.“
Er blickt eindringlich von Gesicht zu Gesicht.
„Kennt Ihr das Abbild, das helles Licht in Eure Augen brennen kann? Wenn ein Blitz im nächtlichen Himmel oder die Sonne auch dann noch als Abbild zu sehen ist, wenn Eure Augen längst geschlossen, Eurer Blick längst abgewandt ist? Derartig war der Klang der Stimme des Orakels, den Aeris festhielt, damit die Kunde bewahrt wird. Wie helles Licht in die Augen brannten sich die Töne in meinen Geist, doch bedeutete dies nicht, dass ich aus den Tönen Worte hören konnte oder den Sinn verstand.
Später, viel später erst, mit Erklärungen von Siobhán und Maedhbh, verstand ich die Worte und deren Sinn.“
Er erhebt sich ruckartig und schließt die Augen. Aus dem Gedächtnis spricht er weiter, mit veränderter Stimme, heller, weiblicher, unbewußt Tonfall und Satzmelodie der Frau nachahmend, die die Worte vor ihrem Tode gesprochen hatte.
„Gestern und heute ist für mich ein Ort, doch seh’ ich nicht länger voraus in das Morgen. Denn besiegelt waren mit unwahrem Wort, die Tage des Orakels des Südens.
In eiskalter List zerschlug Sharuhn’Ar, was hier seit Äonen geschrieben stand. Und lockte Nuvens Volk hinab in den Süden, wo die knöcherne Herrin begraben war.
Mit Viinshar im Geist und der Warnung zerschlagen Scheiterte eine Jede am Großen Spiel. Und Aysas Edalphi, zu Hilfe geeilt, waren als Kinder des Landes zum scheitern verdammt.
Durch Liebe geblendet kam Nuven zu mir, doch erhielt er nichts, als des Nophobos Lügen. Nur für ein Jahr wirkt für Aysa das Serum, dann werden Fluch und Seele zusammen sich fügen.
Ist dies wieder lesbar und lebt Aysa noch, so zerbricht das Spiel binnen einer Nacht. Und versperrt auf ewig Magicas Siegel, wenn niemand das Serum ohne Lügen erschafft.“
Nach diesen Worten atmet Alnock schwer. Eine Schwäche scheint sich seiner bemächtigt zu haben, denn er stützt sein Gewicht an einem der hölzernen Ständer.
Nach einer ganzen Weile erst richtet er sich wieder auf und atmet tief durch. Er lächelt müde, als er sich den Zuhörern zuwendet.
„Dies war der Orakelspruch, so gut ich ihn behalten konnte. Was er bedeutet - nun, das will ich Eure und meine Nyame selbst berichten lassen. Sie hat diese Worte erklärt, und ich will versuchen, sie so gut wieder zu geben, wie es mir möglich ist. Ihre Worte stammen aus einem Entwurf für einen Ausruf, den sie in allen Lagern verlesen lassen wollte. Leider hat sie dies nicht mehr geschafft. Und dies ist einer der Gründe, warum ich heute hier bin und Euch berichte.“
Er kratzt sich verlegen am Kopf und grinst schief. „Das könnte jetzt ein wenig seltsam werden …“ murmelt er halblaut, während er zu seinem Stuhl tritt und sich auf die Lehne stützt.
Mit übertrieben lauter Stimme - diesmal in seiner eigenen Tonlage -spricht er: „Gestern und heute ist für mich ein Ort, doch seh’ ich nicht länger voraus in das Morgen. Denn besiegelt waren mit unwahrem Wort, die Tage des Orakels des Südens.
Nach diesen Worten tritt Alnock hinter dem Stuhl hervor und spricht dann erst - leiser - weiter:
„Das Orakel war nicht durch die Zeit gebunden, es sah, was geschah, geschieht und geschehen wird. Grausamerweise wurde das Orakel von der Leere korrumpiert. Es muss einer der höchsten Diener der Leere gewesen sein, der in der Lage war das Orakel und auch die Elemente zu täuschen. Viele von euch kennen die Leere nur als Herrin der Angst, doch ist die Leere die Meisterin im Lügen und Intrigieren, im Hintergehen und Täuschen. So sehr Aeris Klarheit schenken kann, so sehr kann die Leere auch den Geist vernebeln. Die Leere hatte das Orakel befallen und gesteuert und zu einer Lüge getrieben, was nicht hätte sein sollen, daher verging das Orakel bereits vor über einem Jahr. Das was wir erlebten war nur eine Täuschung durch die Leere. Ich weiß dass viele dies vermuteten und sich bemühten hinter die Maske der Leere zu schauen, doch ihre Nachforschungen scheiterten. Ein Nophobos ist wirklich ein hoher Diener der Leere, welcher über so viel mehr Macht verfügt, als wir es uns vorstellen können.
In eiskalter List zerschlug Sharuhn’Ar, was hier seit Äonen geschrieben stand. Und lockte Nuvens Volk hinab in den Süden, wo die knöcherne Herrin begraben war.
Der Sharuhn`Ar, der oberste Feldherr des Schwarzen Eises, zerschlug die Tafel auf der diese Warnung, vom Orakel einst ausgesprochen, geschrieben stand. Das Orakel hätte es wissen sollen, dass es gefährlich ist wichtiges Wissen niederzuschreiben und somit tot zu bewahren, aber so ist es nun einmal geschehen. Äonen sollen, so sagen es die Druiden eine unglaublich lange Zeit sein, länger als mehrere Generationen leben können. Der Sharuhn`Ar zeigte Nuvens Volk den Weg in den Süden. Nuven ist der Archon des Südens und sein Volk sind eine Art Sidhe, manche nannten sie hohe Elfen. Durch den Ruf des Sharuhn`Ar fanden sie den Seeweg zum südlichen Kontinent bereits vor über einem Jahr. Die knöcherne Herrin ist jenen bekannt, die im vergangenen Sommer mit beim Shan Meng-Ray waren, jenen die ihre widerliche Erscheinung dort nicht sahen, sei verraten, dass sie die Königin des untoten Fleisches ist. Hier unter dem südlichen Siegel lag sie begraben, so wie auch die anderen verfemten Elemente unter den Siegeln begraben lagen. Die List des Sharuhn`Ar bestand darin, dass er somit ein riesiges Komplott nach den Regeln der Leere eingefädelt hatte, welchem sich die beteiligten nicht entziehen konnten.
Mit Viinshar im Geist und der Warnung zerschlagen Scheiterte eine Jede am Großen Spiel. Und Aysas Edalphi, zu Hilfe geeilt, waren als Kinder des Landes zum scheitern verdammt.
Alle erwachsenen Frauen aus Nuvens Volk stellten sich den Prüfungen zur Nyame, doch starb jede einzelne, da ihr Geist durch die Leere beschmutzt war bei dem Versuch Nyame zu werden. Das Große Spiel so heißt es, wenn ein Siegel entdeckt wird und Nyame und Archon gesucht werden, um es zu öffnen. Aysa ist die Herrin der Edalphi, welche wiederum ein wunderbares Volk der Magie sind. Aysa machte sich nun auf den Weg um zu helfen, doch ist es den Urvölkern Mitrasperas, wie Mythodea früher hieß, untersagt Nyame oder Archon zu werden, sie dürfen es einfach nicht, dies würde das große Spiel gefährden.
Durch Liebe geblendet kam Nuven zu mir, doch erhielt er nichts, als des Nophobos Lügen. Nur für ein Jahr wirkt für Aysa das Serum, dann werden Fluch und Seele zusammen sich fügen.
Nuven liebt Aysa und wollte, dass sie seine Nyame werden kann, so erbat er Hilfe vom Orakel, welches ihm Hilfe durch einen Trank versprach, der Aysas Seele für immer von der Seele Mitrasperas trennen sollte. Wodurch sie nicht länger eine wirkliche Edalphi wäre und somit nicht nur Nyame werden konnte, sondern auch von einem Fluch der Ratio befreit war, der keine Edalphi älter als zehn Jahre werden lässt. Doch das Rezept für den Trank war eine Lüge des Nophobos und sollte nur ein Jahr wirken, danach wäre sie wieder eine verfluchte Edalphi, die nicht auf dem Thron der Nyame sitzen darf und früh sterben würde. Der Sharoun`Ahr wollte, dass das südliche Siegel geöffnet wird, um die knöcherne Königin zu befreien und mit ihr das untote Fleisch an seine Seite zu holen, um gegen die Vertreter der Elemente, also uns, eine Chance zu haben.
An dem Abend, als Aysa ihren Archon angriff, erhielt sie von ihrem Neches Ré, ein Amt, das einige als „ersten Ritter“ bezeichnen würden, diese Prophezeihung vom Orakel und reagierte wie von der Leere heraufbeschworen mit unbändigem Zorn, darüber, dass sie durch einen Fehler ihres Liebsten ganz Mythodea gefährdet hatte und dass sie nun doch nicht ihr langes Leben zurückerhalten hatte und dass auch ihre Tochter nicht von dem Fluch befreit sei und griff Nuven an. Das Orakel wurde ja, wie schon erklärt von der Leere gesteuert und den Verfemten wäre es sehr gelegen gekommen dass zum einen der Archon des Südens verstirbt, denn der Dolch mit welchem Aysa Nuven angriff war, durch noch unbekannte Hand, vergiftet. Zum anderen wäre es den Verfemten sehr gelegen gekommen, wenn Aysa als Edalphi, also Kind Mitrasperas, Nyame ist und somit das große Spiel enorm gefährdet außerdem hätte sie ihren Anspruch auf den Thron der Nyame verwirkt, wenn sie ihren Archon tötet. Ein Siegelgebiet das nicht durch einen Archon und eine Nyame beschützt ist, ist schwach gegen die Verfemten, oder vielleicht wird es deutlicher, wenn ich sage, es stärkt die Verfemten, wenn einer von beiden oder gar beide fehlen. Es muss immer eine Nyame und einen Archon geben.
Beide sowohl Nuven, als auch Aysa hatten durch ihr Handeln ihren Anspruch auf den Thron verwirkt und nur durch eure Hilfe konnte der Anspruch wieder hergestellt werden. Ein jeder von euch der ein Banner der Macht errungen hat, hat dem Archon geholfen und seine Position gestärkt, denn es waren seine Banner und sie mussten zurückerobert werden, damit Nuven wieder im Süden herrschen kann. Und die Aufklärung dieser Verschwörung in Aysas Namen verhalf der Nyame wieder zu ihrer Macht und stärkte ihre Position als Herrscherin des Südens. Die Aufklärung der verworrenen Zusammenhänge und verwirrenden Geschehnisse des letzten Jahres am südlichen Siegel waren unsere Herausforderung, doch wir bestanden sie in Aysas Namen!
Ist dies wieder lesbar und lebt Aysa noch, so zerbricht das Spiel binnen einer Nacht. Und versperrt auf ewig Magicas Siegel, wenn niemand das Serum ohne Lügen erschafft.
Dies ist die Warnung des Orakels, indem es uns mitteilt, dass das große Spiel zerbrochen wäre, wenn wir nicht in der Lage gewesen wären den Trank zum Trennen von Aysa und der Seele des Landes nach dem wahren Rezept zu brauen. Das zentrale Siegel, das Siegel Magicas wäre auf ewig versperrt geblieben. Auch teilt es uns mit, dass wir ohne das Serum vermutlich Aysa hätten sterben lasse müssen.“
Alnock tritt weg von dem Stuhl, um zu verdeutlichen, dass die folgenden Worte seine eigenen sind.
„Siobháns Worte, so gut ich sie wiedergeben konnte. Sie haben das Ende der Geschichte vorweg genommen, schätze ich. Doch lang ist meine Erzählung ohnehin nicht mehr, wie ich Euch gleich beweisen werde.“
„Eine Weile lang herrschte große Aufregung,“ setzt der alternde ehemalige Gutsbesitzer seine Rede fort.
„In meinen Erinnerungen verwischen die Ereignisse. Was ich weiß, ist, dass nun den Verantwortlichen klar war, was getan werden musste: Der Schaden, den die Leere mit ihrem Komplott gegen die Herrscher des Südens angerichtet hatte, musste geheilt werden. Ein Gegengift für den Archon des Südens musste bereit gehalten werden für den Moment seines Erwachens. Ein weiterer Trank musste für die Nyame vorbereitet werden, um sie vollends vom Land zu trennen, als Ersatz für den verdorbenen Trank des Nophobos.
Zum Glück hatten weisere Häupter als meines dies schon lange voraus gesehen und entsprechende Schritte eingeleitet.
Gegen Abend kamen nahezu alle Bewohner aller Lager zusammen an der Mauer mit den Thronen der Herrscher des Südens. Hier trennte mich das Schicksal von Siobhán. Sie reihte sich ein bei jenen, die in einem großen Ritual Nyame und Archon des Südens retten wollten. Ich jedoch erhielt die Anweisung, dieses Ritual zusammen mit den Archonten und Hunderten von Kriegern unter allen Umständen zu schützen.
Und nötig waren diese Schutzvorkehrungen, denn dieses Ritual war noch nicht lange begonnen, da zogen Untote und schwarzes Eis auf, kamen einmal wieder die Töchter der Leere.
Der, der einstmals der Sharun'Ar war und der jetzt als Führer der Horden des Untoten Fleisches den Namen Argus trägt, wanderte nahezu unbehelligt durch die Reihen der Verteidiger. Wo sein Hammer nieder fiel, da brachen die mächtigsten Recken zusammen wie zerbrochene Spielzeuge.
Ein neuer Kommandant führte das Schwarze Eis. Später sagte man mir, dass sein Titel Tool Sharun sei. Auch er forderte Krieger heraus und mähte sie lachend nieder.
Der Fleischgolem des Untots tauchte wieder auf, doch ward er besiegt durch den Feuergolem, den das Lager Ignis' zur Hilfe rief. Ein seltsames rotes Geschöpf mit riesenhaften Hörnern, von Ignis an einer Kette gehalten, bekämpfte Argus und unterlag. Ich selbst führte einen Streich gegen Argus, als er an mir vorüber ging. Meine Waffe vermochte es nicht, seine Rüstung zu durchdringen, und der Herr der untoten Horden widmete mich nur eines abschätzigen Blickes, bevor er weiter zog.
Welle um Welle von Untoten und Rakhs brandete gegen den Schutzkreis des Rituals. Mehr als einmal durchbrachen sie ihn, und stets waren es die Archonten von Norden und Osten, die sie zurück trieben, manchmal beinahe allein. Wo der Archon des Westens war, ob er überhaupt gegen die Verfemten kämpfte, vermag ich nicht zu sagen. Zu groß war das Schlachtfeld, zu groß der Irrsinn, den ich sah.
Ich sah Ritter, die vom Kampf gegen die Verfemten abließen, um Drow hinterrücks anzugreifen. Ich hörte von Menschen, die mit gefälschten Wappen der Achenar in die Reihen der Drow und Krieger des Chaos marschierten, wohl wissend, dass diese die Neutralität des Ordens achten würden, und dann auf Alles loshackten, was sie erreichen konnten. Groß ist die Dummheit jener, die nicht vergessen können und nicht begreifen, dass dieses Land nicht ist wie ihre alte Heimat.“
Hier spürt man den Zorn des Mannes, hört ihn im leichten Zittern seiner Stimme. Er braucht einen Moment, um sich zu sammeln, bevor er weiter berichtet:
„Die Magier im Kreis forderten Alle auf, an den Schutzkreis des Rituals zu treten und diesen mit Hingabe an die Elemente zu stärken. Dort leistete ich meinen Teil, wie so Viele, und mit jedem, der an den Kreis trat, um das Ritual zu stärken, wuchs dieser.
Die Avatare der Elemente selbst stellten sich Argus und dem Tool Sharun auf dem Schlachtfeld, doch keine Seite konnte einen dauerhaften Sieg erringen.
Die Schlacht tobte lange. Es müssen Stunden gewesen sein, und an ihrem Ende verlor ich vollends die Übersicht. Avatare, Nyamen und Archonten stürzten gemeinsam auf Argus zu. Ein Tumult entstand. Argus verschwand, zusammen mit einer jungen Frau, glaube ich.
Und dann war es vorbei. Ruhe setzte ein. Und niemand jubelte. Niemand hatte die Kraft zu jubeln, so schien mir. Ich selbst fühlte, wie die Erschöpfung zurück kam, die die Aufregung der Schlacht verdrängt hatte. Wie Blei in meine Glieder zu fließen schien. Kurz sah ich unsere Nyame zurück zum Kreis gehen, der sich um Archon und Nyame des Südens gebildet hatte. Groß war meine Erleichterung, dass sie unverletzt schien. Mittlerweile war es stockfinster.
Viele der Streiter der Elemente zogen ab, um zu feiern vielleicht, oder um ihre Verwundungen zu pflegen. Ich selbst verbrachte eine lange Zeit in Dunkelheit, am Rande des Kreises derer, die sich um die Szenerie mit Nuven und Aissa geschart hatten. Nur selten konnte ich hören, worum es ging.
Was ich hörte, war dies: Aissa sah ein, dass sie getäuscht worden war. Nuven vergab ihr, und dem Beifall zu urteilen, der von vorn erklang, schloß er sie in die Arme oder kusste sie oder drückte ihr auf andere zärtliche Weise aus, dass der Bruch zwischen ihnen von seiner Seite aus vergeben wurde. Klais Windbringer, Diplomat der Nalder, erhielt das Vorrecht, S'ley zu heiraten, die Tochter des Herrscherpaares, die ihn offenbar liebte. Der Naldar wollte den Posten des Prinzen des Südens nicht, der nach alter Sitte mit dieser Ehe verbunden gewesen wäre. So erhielt ein Sir Brawn Verun diesen Titel, als Kandidat aus dem Lager Terras, dem es gelungen war, mehr Banner des Archons erneut zu gewinnen als alle anderen. Einen Mann aus dem Lager Ignis' mit Namen Ramius machte Nuven zu seinem Stellvertreter auf Drängen des Avatars des Feuers.“
Alnock seufzt. Es sieht aus, als hätte er noch andere Dinge zu sagen zu diesen Ereignissen, doch er schweigt. Schließlich fährt er fort:
„Nach langer Zeit, in der ich die Augen kaum noch offen halten konnte und meine Füße so sehr schmerzten, dass ich hätte weinen mögen, löste sich diese Versammlung auf. Ich fand Siobhán nicht, sondern sie war es, die mich fand und mich bat, meinen Dienst zu beenden und mich im Lager zu erholen. Sie selbst hätte noch Dinge zu erledigen.“
Er grinst schwach, offenbar über sich selbst.
„Ich lehnte natürlich ab und begleitete sie weiter. Begleitete sie zu Totenfeiern für jene, die in der Schlacht ihr Leben ließen im Kampf gegen die Verfemten. Begleitete sie zu traurigen Gruppen, die kalte Leichen umstanden, mit Tränen in den Augen. Und fragte mich, warum ich nicht unter den Toten war.
Als ich schließlich an der Spitze der Begleiter der Herrin des Westens in das Lager Terras zurück kehrte, feierten dort die Lebenden ihr Überleben. Mir selbst war nicht nach Feiern zumute. Ich verabschiedete mich kapp von Siobhán und Maedhbh und den Anderen, kroch in mein Zelt und fiel sofort in tiefen Schlaf.“
Er ist leise geworden, nachdenklich, den Blick zu Boden gewandt. Nun blickt er wieder auf, sucht bewußt den Blickkontakt.
„Dies ist das Ende meines Berichtes. Ich habe erzählt, was ich berichten wollte. Nun hoffe ich, dass die Kunde, die Eure Ohren erreicht hat an diesem Abend, auch Eure Herzen erreicht.
Ihr selbst entscheidet, was Ihr mitnehmt aus dieser Erzählung. Nur Ihr selbst. Ich wollte mit Euch teilen, was ich erlebte im Süden, so wie Ihr mit mir Euer Leben geteilt habt, während wir diese Mühle bauten.“
Er lächelt und schaut voller Wärme auf die Gesichter der Kinder, die größtenteils eingeschlafen sind.
„Es ist spät geworden, und ab morgen liegt eine andere Aufgabe vor mir. Ich danke Euch dafür, dass Ihr meinen Worten gelauscht habt. Nun ist es an der Zeit, dass ich zurückkehre in die Hauptstadt.“
(Dieser Text ist eine Abschrift aus der ursprünglichen Wanderbibliothek der Ouai)
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