Die letzten Worte der Heilerin
Die feindlichen Reihen prallten in einem Gewitter aus dumpfen Schlägen und reißenden Schnitten aufeinander und der viel gepriesene Wettstreit der Elementanhänger verwandelte sich in einem Wimpernschlag zu einem Schlachtfeld der Ideologien. In der darauffolgenden Stunde wurden die unüberwindlichen Grenzen ihrer Weltanschauungen, zwischen der der Terra-Ignis-Allianz und dem Aeris-Aqua-Bündnis, mit frischem Blut erneuert und für kommende Jahre vertieft. Wo Worte schon lange versagt hatten, wurde nun in Stahl verhandelt. Und als Schüler meines Meisters und treuer Anhänger meines erwählten Elementes, focht ich mitten darin.
Doch diese Geschichte beginnt nicht mit der Konfrontation zweier Heroen, die in heldenhaftem Kampfe die Klingen kreuzten, bis der schwächere herniedersank, nur damit der Sieger im Moment seines Triumpfes durch einen verirrten Stoß hinterrücks niedergestreckt wurde. Nein. Diese Geschichte beginnt mit meinem Meister, die heldenhaften Momente des Kampfes bereits durchlebt, welcher mitten auf dem Feld zwischen den sich neuformierenden Fronten im erstickenden Staub lag. Die Wogen der Schlacht hatten uns voneinander fortgetrieben und so sah ich seinen Leib erst nachdem ich meinen brennenden Durst gestillt und einen abschätzenden Blick über die entstellte Ebene geworfen hatte. Ich drückte mich durch die dicht an dicht stehenden Soldaten, roch ihren bitteren Schweiß und wich ihren noch bitteren Blicken aus, welche vergeblich die gefallenen oder verwundeten
Kameraden zu erspähen versuchten. Als ich so die Frontlinie erreichte, fiel mein Blick zuerst auf die Gestalt, welche aufrechten Schrittes und von sich legenden Staub umspielt auf das Niemandsland hinaustrat und geradewegs auf die gefallene Gestalt meines Meisters zuhielt. In den feindlichen Linien machte sich Unruhe breit, ob der einsamen Gestalt, deren reine Willensstärke jedem drohenden Feind zu trotzen schien. Ich sah von Ferne einen Bogenschützen zum Köcher greifen und suchte händeringend und mit wachsender Verzweiflung nach Mitstreitern, die meiner Absicht, ihr zu folgen und sie zu schützen, beikommen wollten. Doch meine Mühen und flehenden Worte blieben ohne Erfolg. Dies war wahrhaftig nicht der Tag für Worte. Und so lief ich ihr nach, den Schild erhoben so gut es eben ging und erreichte sie schließlich, wie sie sich über seinen Leib gebeugt niederkniete.
„Liandra“, keuchte ich und spuckte ob des trockenen Staubes Luft aus, „Liandra, wir müssen zurück. Hier draußen sind wir des Todes!“ Doch als sich unsere Blicke trafen, da wusste ich, dass keine Rede dieser Welt diese Frau dazu bewegen würde, ihren anvertrauten Herren, ihren Schutzbefohlenen, im Dreck liegen und sterben zu lassen. Ihre strahlenden Augen sprachen in nur einem Blick über ihre Pflicht und ihren Stolz, diese in den vergangenen Jahren tadellos erfüllt zu haben. Sie würde niemals und gerade jetzt nicht damit brechen. Der erste Pfeil schlug neben uns ein und zersplitterte beim Aufprall gegen das hartgetretene Erdreich und als ich aufsah, kamen eine Handvoll feindlicher Soldaten auf uns zugestürmt. Von Rückzug konnte nun wirklich keine Rede mehr sein. Gerade erreichten sie uns, da erhob sich Liandra, strich in einer routinierten Bewegung das Zeichen ihres Amtes, die Insignien der ehrwürdigen Heilerschaft, sauber und trat souverän vor die Ankömmlinge. „Die Heilerschaft bewahrt das Leben der Niedergeschlagenen, wo Euresgleichen blutig zu Werke geht. Dies sind unsere ehrenvolle Pflicht und unsere erwählte Bürde. Erinnert euch an diese Worte, wenn auch Ihr eines Tages im Staube niedergestreckt daliegt und das Antlitz Eures Heilers der letzte Funke an Hoffnung ist, den Ihr erblickt, bevor die gnädige Finsternis Euch umfängt.“ Der Ansturm der Soldaten kam zum Erliegen und Stille legte sich über die Fronten, als der Wind ihre Worte über das Schlachtfeld trug. Mehr sprach sie nicht, sondern wandte sich von den Soldaten ab und bedeute mir, ihr beim Transport des Gefallenen zu helfen. Man ließ uns gewähren und nach nicht einmal einem Dutzend schwerer Schritte, liefen uns die Kameraden entgegen und wir teilten die Last des stattlichen Kriegers, welchen wir zum Lazarett trugen.
An diesem Tag wurden die Kämpfe nicht fortgesetzt und beide Seiten lasen ihre Verwundeten und Erschlagenen auf, denn in aller Ohren klangen sie stetig wieder, die letzten Worte der Heilerin.