Die Chroniken des Doppeldaumens
Teil 1
Eine Frage der Motivation
Der Boden zitterte unter unseren Schritten und ließ den heißen Staub, der wie ein dichter Vorhang vor den Augen hing und knirschend bei jedem Atemzug auf der Zunge brannte, nur noch dichter um uns aufwirbeln. Zur rechten, zur linken, vorn und hinter mir marschierten schwer gepanzerte Krieger, ihre stattlichen Gestalten durch den dichter werdenden Staub nur zu erahnen, obgleich ein jeder auf dem engen Pfad keine Armeslänge entfernt war. Der dritte Tag der Belagerung der Festungswälle um die Weltenschmiede neigte sich bereits dem Ende und immer noch brannte der goldene Wagen unbarmherzig vom blauen Himmel hernieder.
Ich ließ meinen Blick schweifen, über die Banner, die voll Stolz und Hochmut den fünf zackigen Stern vorantrugen und fühlte einen Stich des Gewissens, als ich an mir herabblickend, den grünen Schild des Nordens auf meiner Brust. Wir, nein sie, stritten an einer anderen Front. Ich jedoch, folgte dem Wort eines Verstoßenen, der einst als Held meines Heimatsiegels angesehen wurde und nannte ihn ... meinen Meister.
Vor mir drehte sich der breitkrempiger Lederhut herum und die hellen Augen unter der Krempe strahlen aufmunternd zu mir hinauf. Meine Gedanken fanden wieder zum Zweck dieses Marsches zurück und ein nervöses Lächeln war die Antwort auf diesen strahlenden Blick, der bereits weitergezogen war.
Ein Horn erscholl, Befehle, die mir völlig fremd waren, drangen dumpf durch heißen Dunst heran und wir erreichten die Frontlinie. Dicht, Schild an Schild, Stern an Stern aufgereiht standen Sie da, die Krieger des Westens und erwiderten trotzigen Blickes den Ruf der blauen und schwarzen Truppen, die bereits zum Schutz ihrer Mauern aufmarschiert waren: Rakh Rakh Rakh.
"Das wird ein Gemetzel", kommentierte ich die beiden Schildwälle, die sich von einem Horizont zum anderen erstreckend gegenüberstanden und warf Morgalis einen kurzen Blick zu. "Das ist es doch immer", kam es belustigt unter dem Lederhut hervor und mit einem hellen Klicken, spannte er den Hahn seiner schweren Pistole. Kritisch musterte ich ihn vom Hals bis zu den Stiefeln und wunderte mich, wie so viele Male, wie ein Waffenmeister nur mit einem Hemd und einer Hose am Leib den Verfemten Horden trotzen konnte. Morgalis starrte herausfordernd zurück und grinste schief. "Ich mache das schon viel zu lange. Aber das wirst du auch noch alles erleben. Du hast ja noch einiges vor dir." Er gab ein glucksendes Lachen von sich und nickte zu dem Wappen mit dem Schild der Waffenmeister an meinem Gürtel. Ich hielt nach meinem Meister Ausschau und fand ihn, unbeweglich und mit beiden Klingen in den Händen direkt hinter der Schildreihe stehen. Nach kurzem Zögern gesellte ich mich zu ihm
und noch bevor ich ihn begrüßen konnte, meinte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen: "Es ist gleich so weit. Zeit deinen Wert zu beweisen..." Und dann brach das Schlachten über uns herein.
In einer perfekt geraden Sturmlinie, die jeden Baumeistern vor Neid hätte erröten lassen, traf das Schwarze Eis auf den Schildwall des Westens und er brach nicht. Befehle, Bekundungen von Stärke und Treue, Schlachtrufe und ganz vorzügliche Verunglimpfungen des Feindes erhoben sich und festigten den Willen der Krieger, wo der Schild bereits standhielt. Plötzlich erkannte ich, dass die schwarze Gestalt, deren eigene aufmunternde Art mir stets kalte Schauer über den Rücken jagte, nicht mehr an meiner Seite stand. Eiligen Schrittes und mit festem Griff um das Heft meines Schwertes lief ich die Reihe schreiender und schlagender Schildträger entlang, hin zu der Bresche, wo der Feind es trotz aller Mühen geschafft hatte, durchzubrechen. Und da fand ich ihn. Wütend wie eine Naturgewalt unter den Rakhs, die schwarzen Klingen nur ein rasender Schatten im gleißenden Sonnenlicht. Unaufhaltsam, Schritt auf Schritt und Streich auf Streich drang er tiefer in die feindlichen Reihen ein und ließ die Schlachtreihe der Westarmee hinter sich zurück. Miene Gedanken überschlugen sich. 'Deinen Wert beweisen', 'deinen Meister schützen', 'Seinen Respekt verdienen' ... eine Verwünschung auf den Lippen stieß ich vor, hinein in die Bresche, die sich hinter dem schwarzen Tod zu schließen begann und wurde von überwältigender Waffengewalt des Feindes umgehend zurückgeworfen. Alleine war hier kein Durchkommen, kein Weg ihm zu folgen, kein Weg ... ich trat zurück und überblickte die Situation: Orik schlug sich mit gleich einer Hand voll schwerer Rakhs und unter den mächtigen Hieben seines Streitkolbens brach ein Feind nach dem anderen zertrümmert zusammen, doch Zeit zum Atmen hatte er nicht. Für jeden Rakh, den er erschlug, drängten zwei neue nach. Liandra stand vorne in der
Schildreihe und auch wenn ich den Mut gehabt hätte, nein, so fürchtete ich ihren Zorn in Angelegenheiten des ihr als Heilerin anvertrauten Waffenmeisterns doch noch mehr. Morgalis! Ja, wo war Morgalis? Nach kurzem Suchen fand ich ihn etwas abseitsstehend und Ausschau haltend. "Morgalis!", rief ich, "Morgalis! Wir müssen nach vorne! Tarabas ist bereits durchgebrochen. Wir müssen jetzt hinterher!". Doch er, die Ruhe selbst, drehte mir das Gesicht zu und fragte mit einer Miene, die an der Ernsthaftigkeit seiner Worte keinen Zweifel ließ: "Theo, hast du meine Weiber gesehen?"
Die Welt um mich schien für einen Moment stillzustehen. 'Seine was?' ... 'Seine Weiber gesehen?'. Ich musste mich verhört haben. Doch auch auf meine ungläubige Nachfrage hin wiederholte er nur in gleichem Ton: "Hast du meine beiden Weiber gesehen?" "Was? Nein! Morgalis, ich habe deine Weiber nicht gesehen! Wer sind denn deine Weiber? Und was ist nur los mit dir?!" Die Aufregung in meiner Stimmer konnte die Verzweiflung darin nicht gänzlich überdecken, doch noch bevor ich mir weiter darüber klar werden konnte, welche Wölkchen dieser Waffenmeister dieses Mal durch seinen Schädel wehen ließ, brach die Erkenntnis in Form zweier Weiber über mich herein. Ignigena und Aurigena, die dem Heerzug am Rand gefolgt waren, standen im spärlichen Schatten einer Baumgruppe und winkten und jubelten und der Wind trug ihre anfeuernden Rufe zu uns herüber. "Los Morgalis!
Morgalis auf! Er ist der Größte!" Hoch und Jubelrufe aus ihrer beiden Kehlen drangen an unsere Ohren und die Veränderung unter der breiten Hutkrempe trat sogleich ein. Morgalis streckte den Rücken durch, riss Pistole und Schwert auf dem Gürtel und rannte, mit der Verzückung eines bejubelten Helden auf den Gesichtszügen los, ohne auch nur ein Wort zu verlieren. Immer noch etwas verdutzt schloss ich mich ihm an und unter seinen, mit Präzession und Anmut geführten Schlägen drangen wir bis zu Tarabas durch. Wir fochten lange an diesem Tag und noch als wir Stunden später den Rückzug der Verwundeten deckten und Ruhm und Anerkennung von den Soldaten, die mit uns gefochten hatten, erhielten, ging mir dieses Erlebnis nicht aus dem Kopf. Wenn ich, da nun einige Jahre ins Land gegangen sind, daran zurückdenke, so war dies wohl der Moment an dem mir die Bedeutung der Heroensänger bewusst wurde und ich verstand endlich das Mantra, welches Liandra in jedem lehrreichen Gespräch wiederholte: "Der Waffenmeister ist nichts ohne seinen Tross!"
Niedergeschrieben von Theodor Tiberius Sturm, Waffenmeister Aquas